Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. Oktober 2024, Teil 4
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – 1942 versucht Gabriele Münter (Vanessa Loibl) in ihrem Haus in Murnau hektisch Bilder aus Rahmen zu schneiden und sie dann zu verstecken. Vor der Tür steht – mit Verstärkung - ein Abgesandter der Reichskunstkammer, der auf der Suche nach ″entarteter Kunst″ ist, genauer gesagt sucht er nach Bilder von Wassily Kandinsky, die sie als Ex-Geliebte des Volksfeindes vermutlich versteckt habe. Doch sie sind im Keller so gut versteckt, so dass er nur unter Mitnahme eines Bildes von Gabriele Münter selbst wieder abziehen muss. Sie meint zu sich, dass sie das nicht aus Liebe zum Maler, sondern zur Kunst machen würde.
Schon früh zeigt sich bei Gabriele Münter ihr künstlerisches Talent. Um die Jahrhundertwende ist die junge Frau dann fest entschlossen, selbst Malerin zu werden. Da es noch nicht möglich war, an einer Akademie zu studieren, besucht sie in München immer wieder Kurse für Frauen. Doch sie hat das Gefühl in diesen Veranstaltungen nicht voranzukommen.
Da erfährt sie von den Kursen der Phalanx, in denen auch Frauen unterrichtet werden. In einem Aktzeichenkurs trifft sie auf den russischen Dozenten Wassily Kandinsky (Vladimir Burlakov), der sofort von ihr fasziniert ist. Auch Gabriele ist interessiert und so beginnt sie mit dem 11 Jahre älteren Mann recht schnell eine Liebesbeziehung. Allerdings teilt Kandinsky ihr mit, dass er bereits seit 1892 mit seiner Cousine Anna Chimiakina verheiratet sei und er sich gerade nicht scheiden lassen könne. Obwohl er immer noch verheiratet ist, verlobt sich Kandinsky aber sogar mit Gabriele Münter.
Um dem Münchner Gerede zu entkommen, unternehmen sie mehrere Reisen u.a. nach Frankreich, danach kauft Münter von ihrem elterlichen Erbe in Murnau ein Haus, das von beiden restauriert wird. Auch wenn die Beziehung nicht ganz konfliktfrei ist, arbeiten beide dort und treffen sich auch mit Maler-Freunden wie Alexej von Jawlensky (Alexey Ekimov) und seiner Lebensgefährtin Marianne von Werefkin (Monika Gossmann), Franz Marc (Felix Klare) oder August Macke (Jonas Friedrich Leonhardi).
Nach einem Konzert von Arnold Schönberg beginnen die Künstler sich von der gegenständlichen Malerei zu lösen und gründen die ″Neue Künstlervereinigung München″ (N.K.V.M.) und später, da sie ihnen zu spießig wurde, ″Den blauen Reiter″. Bei ihren Bildern geht es dabei immer weniger um eine realistische Abbildung der Wirklichkeit, sondern es geht vor allem um Stimmungen während des Malvorganges.
Nach Misserfolgen bei Ausstellungen in München, erhält Münter eine Einladung zu einer Einzelausstellung vom Galeristen Herwarth Walden (Hendrik Heutmann), der einer der wichtigsten Förderer der deutschen Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts war, in der Sturm-Galerie auszustellen. Diese Ausstellung war ein großer Erfolg, die auch in Schweden und Dänemark großen Anklang fand. Sie machte Münter auch in Skandinavien sehr bekannt.
Gabriele Münter und Wassily Kandinsky werden 13 Jahre zusammen bleiben und sich gegenseitig inspirieren. Allerdings besteht die Beziehung nicht nur aus Leidenschaften, sondern auch aus Streitereien, denn Kandinsky wird sein Eheversprechen nie wahr machen. Doch gleichzeitig werden sie zusammen mit ihren Künstlerfreunden den Wandel einer Kunstepoche am Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Beginn des 1. Weltkrieges prägen.
Kandinsky muss 1914 Deutschland verlassen und geht über die Schweiz nach Russland zurück. Die Beziehung wird zunehmend kompliziert und toxisch. Gabriele Münter und Wassily Kandinsky werden sich nur noch einmal 1916 in Stockholm treffen. In Skandinavien malt Münter vor allem Bilder von Frauen, so auch 1917 von der dänischen Autorin und Musikerin Anna Roslund-Agaard (Sidsel Hindhede). 1920 ist Gabriele Münter dann allerdings wieder nach Deutschland zurückgekehrt.
Während des Krieges wird Kandinsky mit Nina Nikolajewna Andreevskaja (Alexandra Sinelnikova) eine 30 Jahre jüngere Frau heiraten und von Paul Klee (Julian Koechlin) das Angebot erhalten, zum Bauhaus nach Dessau zu gehen. Gabriele Münter wird sich nie wieder mit Wassily Kandinsky treffen…
″Münter & Kandinsky″ porträtiert detailgetreu die gemeinsamen Jahre von Gabriele Münter (1877 – 1962) und Wassily Kandinsky (1866 - 1944), einem außergewöhnlichen Künstler- und Liebespaar. Daneben lässt der Film auch die Schwabinger Bohème kurz nach der Jahrhundertwende wieder aufleben. Denn beide gingen als Mitbegründer des Künstler-Almanachs ″Der blaue Reiter″ in die deutsche Kunstgeschichte ein, der zuerst Mitte Mai 1912 herausgegebenen wurde und dessen Redaktionsteam in den Jahren 1911 und 1912 zwei Ausstellungen mit nicht allzu großem Erfolg in München organisierte. Dabei stand Gabriele Münter noch lange Zeit im Schatten von Kandinsky.
Es ist überhaupt der erste Spielfilm über Gabriele Münter, nachdem es nach der Wiederentdeckung ab den 1990er Jahren schon einige Dokumentationsfilme gegeben hat. Das Drehbuch stammt von der Journalistin, Historikerin und Filmproduzentin Dr. Alice Brauner, die auch für die Produktion verantwortlich ist. Es stützt sich auf Briefwechsel, Tagebucheintragungen und verfassten Schriften von Münter und Kandinsky sowie von ihren Künstler- und Künstlerinnenfreunden. Dabei sind viele der Dialoge Originalzitate, die aus Briefen stammen, die den Akteuren aber in den Mund gelegt wurden.
Regisseur ist Marcus O. Rosenmüller, der bereits 2011 bei dem von Alice Brauner und ihrem Vater Artur Brauner produzierte Historiendrama ″Wunderkinder″ Regie geführt hat.
Dabei wird die Authentizität mit Originalgemälden, historischen Hinterglasmalereien und einem Kostümbild unterstrichen, das auf Originalfotos von Gabriele Münter zurück geht, denn Münter war auch eine begabte Fotografin.
Der Regisseur zeichnet die Lebens- und Liebesgeschichte von Münter und Kandinsky atmosphärisch dicht nach. Deshalb hakt das Drama die einzelnen Stationen nicht einfach ab, sondern der Film entwickelt einen Erzählfluss, in dem sich das expressive und zunehmend abstrakte Malen für Münter und Kandinsky als zwingende Konsequenz nachvollziehen lässt. Das wird besonders deutlich, als Beide mit Franz Marc und dessen Frau Maria (Ines Honsel) zu einen Konzert von Arnold Schönberg gehen und Kandinsky die Töne während des Konzerts in Gedanken nachzeichnet.
Neben wunderschön komponierten Bildern mit Naturaufnahmen aus den Bergen von Kameramann Namche Okon, zeigt der Film auch Detailaufnahmen, in denen jedem Pinselstrich gefolgt wird. Dadurch wird der kreative Prozess mit sehr dynamischen Bewegungen eingefangen. Das schafft eine Stimmung, in der sich die spannende und nie konfliktfreie Beziehung von Gabriele Münter und Wassily Kandinsky in Kunst und Realität treffen.
Der Film lebt natürlich vor allem von den beiden Hauptdarstellern, Vanessa Loibl als Gabriele Münter und Vladimir Burlakov als Wassily Kandinsky. Kandinsky wird von Burlakov zwar als sensibel darstellt aber auch als egoistisch, der immer wieder auf seinen Vorteil bedacht ist. Er sieht sich als Künstler, der sich von aller Realität befreien will, er arbeitet dabei lieber mystisch als gegenständlich. Gabriele Münter braucht Jahre, bis sie erkennt, dass sie in dieser Beziehung viel mehr gegeben als erhalten hat. Vanessa Loibl spielt Gabriele Münter als eine Person, mit der es aber auch nicht immer einfach war, auszukommen. Letztendlich war das gemeinsame Leben der Beiden zwar eine künstlerisch produktive, aber privat eher fatale Verbindung, in der Münter immer verzweifelter und Kandinsky immer missmutiger und distanzierter geworden ist.
Aber auch die Nebenrollen sind hervorragend besetzt mit Felix Klare als Franz Marc, Monika Gossmann als Marianne von Werefkin, Alexey Ekimov mit dickem russischen Akzent als Alexej von Jawlensky und Julian Koechlin mit schweizer Akzent als Paul Klee. In einer weiteren Nebenrolle ist Marianne Sägebrecht als Münters Zimmerwirtin Frau Mayr zu sehen.
Regisseur Marcus O. Rosenmüller und Drehbuch-Autorin Alice Brauner haben den Film bewusst ″Münter & Kandinsky″ genannt, denn obwohl Beide als Mitbegründer der Künstlerbewegung ″Der blaue Reiter″ in die deutsche Kunstgeschichte eingegangen sind, stand die unterschätzte Gabriele Münter noch lange Zeit im übergroßen Schatten von Kandinsky.
Insgesamt ist ″Münter & Kandinsky″ ein sehenswertes Filmdrama, das auch in die Schwabinger Bohème kurz nach der Jahrhundertwende eintaucht, das aber vor allem die Werke der beiden Künstler und ihre Wirkung auf die Malerei des frühen 20. Jahrhunderts zeigt, daneben aber auch die zerstörerische Liebe zwischen der begabten Malerin und dem russischen Künstler. Deshalb beschränkt sich die Biografie auch im Wesentlichen auf die gemeinsamen Jahre zwischen 1900 und 1916. Es ist lobenswert, dass dieses historisch fundierte Filmdrama in erster Linie einer unterschätzten Künstlerin gewidmet ist. Es lohnt, sich das unterhaltsame Biopic im Kino anzusehen.
Zusatz: Die Drehbuchautorin Alice Brauner hat zusammen mit Heike Gronemeier passend zum Film das Buch Münter & Kandinsky - Von der Macht der Farben und einer fatalen Liebe verfasst,.Darin zeigen die beiden Autoren die Lebens- und Liebesgeschichte von Münter und Kandinsky in einem neuen Licht. Es erscheint am 23. Oktober 2024 bei Penguin als gebundenes Buch und eBook, passend zum Starttermin des Filmes.
Foto 1: Gabriele Münter (Vanessa Loibl) und Wassily Kandinsky (Vladimir Burlakov) © Camino Filmverleih
Foto 2: v.l.n.r.:Franz Marc (Felix Klare), Gabriele Münter (Vanessa Loibl) und Wassily Kandinsky (Vladimir Burlakov) im Garten des Münterhauses © Camino Filmverleih
Foto 3: Gabriele Münter (Vanessa Loibl) mit der Gastwirtin Frau Mayr (Marianne Sägebrecht) © Camino Filmverleih
Foto 4: Wassily Kandinsky (Vladimir Burlakov) beim Zeichnen in Kallmünz © Camino Filmverleih
Info:
Münter & Kandinsky (Deutschland 2024)
Originaltitel: Münter & Kandinsky
Genre: Biopic, Biografie, Drama, Maler, Bauer Reiter, Romanze
Filmlänge: ca. 125 Min.
Regie: Marcus O. Rosenmüller
Drehbuch: Dr. Alice Brauner
Darsteller: Vanessa Loibl, Vladimir Burlakov, Julian Koechlin, Felix Klare, Alexey Ekimov, Monika Gossmann, Lena Kalisch, Ines Honsel, Hendrik Heutmann, Marianne Sägebrecht u.a.
Verleih: Camino Filmverleih
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 24.10.2022