ei4Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. Oktober 2024, Teil 12

Beatrice Minger & Christoph Schaub

Schweiz (Weltexpresso) - Im Mittelpunkt dieses Films steht ein ungelöster Konflikt. Man kann argumentieren, dass Le Corbusier nichts falsch gemacht hat. Eileen Gray war schon weg, als er auftauchte. Jean Badovici gab ihm die Erlaubnis für die Wandmalereien und ermutigte ihn sogar. Aber ist es in Ordnung, die künstlerische Vision eines anderen Künstlers zu verletzen und sich anzueignen?

Natürlich nicht, würde ich argumentieren. Ich fühlte ein Unbehagen bei diesem Konflikt, eine Empörung, die ich nicht ganz rational erklären konnte. Ich sah darin einen interessanten Ansatzpunkt für einen Film. Für mich geht die Verletzung weit über die weißen Wände eines Hauses hinaus. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Künstlerinnen auf die Künste beschränkt, die sich mit Innenräumen befassten - Möbel und Innenarchitektur, Malerei oder Schreiben. Eileen Gray verließ die Enge des Innenraums und betrat das äußere, männliche Territorium - die Architektur. Le Corbusier - der Zeus der französischen Moderne - reagiert darauf und weist sie in ihre Schranken. Abgesehen von den historischen Geschlechterrollen handelt es sich hier um einen Konflikt um die Darstellung eines grundlegend anderen Standpunkts, einer anderen Stimme. Zum einen sind Le Corbusier und Eileen Gray sehr unterschiedliche Künstler. Le Corbusier ist der Inbegriff des männlichen Genies, wettbewerbsorientiert und ein brillanter Selbstdarsteller. Daraus hat er eine herausragende Karriere und ein Vermächtnis aufgebaut. Eileen Gray hingegen ist eine stets suchende, ständig hinterfragende Künstlerin, die sich in der Öffentlichkeit unwohl fühlt. Sie sah sich mehr als Medium denn als Schöpferin. Vor allem aber würde sie immer die künstlerische Freiheit über die Einschränkungen eines Systems - oder einen Kampf um Status und Macht - stellen. Le Corbusier eignete sich das Haus von Gray nicht an, weil sie eine Frau war. Er konnte ihre andere Sichtweise - ihre tiefe Sensibilität, ihre künstlerische Kraft, ihre Freiheit - nicht ertragen und musste sie sich zu eigen machen. Eileen Gray und Le Corbusier Experten und Akademiker sind sich in der Frage der Urheberschaft und der Verantwortung immer noch uneins. Auch der Renovierungsprozess des Hauses war von den gegensätzlichen Meinungen der beiden Lager geprägt. Heute ist „E.1027“ ein Museum, das einer breiten Öffentlichkeit zugänglich ist. Beide Standpunkte stehen sich gegenüber, sind miteinander verwoben. Damit geht die Debatte weiter.

KOMMENTAR VON CHRISTOPH SCHAUB

Bevor ich mit Beatrice an dem Projekt Eileen Gray arbeitete, hatte ich bereits mehrere Filme mit dem Schwerpunkt Architektur gedreht. Die Filme deckten ein breites Spektrum an Inhalten, Themen und Filmstilrichtungen ab. Eileen Gray und das Haus E.1027 eröffneten mir neue, reiche und unerwartete Gestaltungsmöglichkeiten. Ihr Haus, ihre Kunst, ihre Möbel, die Zeitgeschichte, ihre Persönlichkeit - all diese Facetten haben uns dazu bewogen, ihre Geschichte zu erzählen. Eileen Gray musste sich als eine der ersten Architektinnen in einer von Männern dominierten Welt behaupten. Als Künstlerin brachte sie ihre eigene Position in die modernistische Architekturdebatte ein. Um diese Geschichte zu erzählen, mussten klare künstlerische Entscheidungen getroffen werden: keine Zeitgenossen, keine Experten, keine Suche nach dokumentarischer ‚Wahrheit‘. Stattdessen haben wir uns für einen entscheidenden Schritt in die Abstraktion entschieden. Wir wollten einen filmischen Raum schaffen, in dem die Geschichte inszeniert und erlebt werden kann. Einen Raum, in dem sich Emotionen abspielen, in dem Fragen gestellt werden können. Und wo Eileen Gray sich selbst in Frage stellen kann. Wir haben eine herausfordernde Reise zu neuen Orten unternommen. Was könnte interessanter sein?

Foto:
©Verleih

Info:
E.1027 - EILEEN GRAY UND DAS HAUS AM MEER
Besetzung
EILEEN GRAY.     NATALIE RADMALL-QUIRKE 
JEAN BADOVICI.    AXEL MOUSTACHE
LE CORBUSIER.      CHARLES MORILLON
CHARLES MORILLON.     VERA FLÜCK LOUISE

Stab
Regie: Beatrice Minger
Ko-Regie: Christoph Schaub
Drehbuch: Beatrice Minger in Zusammenarbeit mit
Christoph Schaub
KINOSTART: 24. OKTOBER 2024
SCHWEIZ 2024, 89 MIN, FARBE
IMAGE: 1.6:1 / 1.33:1
SOUND: 5.1
SPRACHE: ENGLISCH, FRANZÖSISCH
UNTERTITEL: DEUTSCH