Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 31. Oktober 2024, Teil 6
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Der aufgeheizte Diskurs in einer Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen Polarisierungen, allgemeiner Political Correctness und Selbstoptimierungswahn bildet die Grundlage für ALTER WEISSER MANN. Die Geschichte ist eine präzise Beobachtung unserer Zeit, des Miteinanders, der fehlerhaften Kommunikation, die voll ist von Fallstricken und Fettnäpfchen und anfällig ist für Missverständnisse. „Die meisten Menschen sind mittlerweile ziemlich verunsichert, wie sie sich bei manchen Themen korrekt ausdrücken sollen, was genau sie noch sagen dürfen, ohne schnell in manch diffamierende Schublade gesteckt zu werden. Das ist natürlich ein wunderbares Komödienfeld“, meint Verhoeven.
Der Begriff „alter weißer Mann“ ist für Verhoeven dabei Synonym für viele ähnlich gelagerte „Kampfbegriffe“, seien es „Ökokriegerin“ oder „Gutmensch“, die längst zu politischen Schlagwörtern geworden sind, zu Kampfansagen. Weil Menschen sich eben gerne gegenseitig in besagte Schubladen stecken. Verhoeven will sie da herausholen. Er plädiert für eine differenziertere Haltung, für das Feiern von Unterschieden, von Individuen, will zeigen, dass es viel sinnvoller ist, gemeinsam zu lachen – auch über sich selbst! – und Brücken zu bauen, anstatt zu separieren und Lager zu bilden. „Der Film ist ein Versuch, eine zersplitterte Gesellschaft zusammen an einen Tisch zu setzen und sie streiten zu lassen, aber sich auch als Menschen begegnen zu lassen“, unterstreicht Kirstin Winkler.
Gleichzeitig hält Verhoeven fest: „Ich mache natürlich eine große Unterscheidung zwischen progressivem Denken, das sensibel ist hinsichtlich Diskriminierungen, bei dem man sich selbst auch in Frage stellt, und einem radikalen Zeitgeist von einigen wenigen, die es völlig übertreiben und jeglichen Willen zur Verständigung außerhalb der eigenen Blase verlassen haben. Diese radikale, pseudoreligiöse Sorte von Wokeness, ist es, die ich in meiner Komödie, neben vielem anderem, auf die Schippe nehme. Diese rigorose Zuspitzung der Ideologie von manchen schadet in Ihrer Radikalität letztlich eher demokratischen Anliegen und hilft nur Rechtsaußen.“
ALTER WEISSER MANN hat dabei die Chuzpe, auf diesem Minenfeld zu tanzen, und auch in manche Fettnäpfchen zu tappen. „ALTER WEISSER MANN ist sicherlich kein gefälliger Film, der einfach nur eine wohlfeile Message rausposaunt. Das interessiert mich nicht.“ Verhoevens Geschick, das er mit Filmen wie MÄNNERHERZEN oder WILLKOMMEN BEI DEN HARTMANNS bewiesen hat, liegt darin, durchaus schwierige, widersprüchliche und heikle Themen mit viel Humor anzupacken und seine Figuren als imperfekte, liebenswerte Menschen in ihren Irrungen und Wirrungen darzustellen, mit denen viel man lachen kann, wenn man denn auch über sich selbst lachen kann. „Lachen kann befreiend sein!“
Eine Betrachtung unterm Brennglas
„Es herrscht einfach eine… gewisse Nervosität. Bei uns allen. Aber wo herrscht denn keine Nervosität heutzutage? Wer hat denn heute keine Panikattacken? Klima. Kriege. Viren. Putin. Trump… und dazu noch die ganzen Avocado Toasts überall und die Hafermilch, und die Influencer… die uns erzählen wollen, wie wir unser Leben leben sollen!“
– Heinz Hellmich
Es gibt verschiedene Aspekte, die Simon Verhoeven bei der Drehbucharbeit beschäftigt haben. Der Titel ist Programm. Der Begriff „alter weißer Mann“ hat ihn schon immer fasziniert, weil durch diesen Ausdruck pauschal ein Anti-Bild aufgebaut wurde, mit dem vielen Menschen Unrecht getan wird.
„Mein Vater, der vor einigen Monaten verstorben ist, war auf dem Papier ja auch ein alter weißer Mann. Er war aber im Herzen wesentlich jünger und auch progressiver als viele junge Männer heutzutage – egal welcher Hautfarbe. Mich irritiert, dass dieser ganze Diskurs aus Schützengräben heraus geführt wird, befeuert durch Social Media, wo jeder auf seiner eigenen Insel lebt und sich von Likes ernährt. Das beschäftigt und besorgt mich.“
Besonders ein Vorkommnis ist dem Filmemacher in Erinnerung geblieben, nämlich als sein Vater auf einer Podiumsdiskussion mehrmals korrigiert wurde, weil er nicht gegendert hat. „Das fand ich so übergriffig, von einer jungen Person meinem Vater gegenüber. Da haben sich bei mir erste Zweifel geregt: Wie menschlich, wie klug sind manche Teile dieser Bewegung, wenn sie einen älteren Mann, einen linken, sozialkritischen Filmemacher mit solch aggressiver Überheblichkeit und Schärfe angeht?“
Auch den Aktionismus an seiner alten Filmuniversität in New York City, wo bestimmte Filme nicht mehr gezeigt werden dürfen, verfolgt Verhoeven mit Besorgnis. „Mein ehemaliger Professor erzählte mir, dass er von einigen Filmen mittlerweile die Finger lassen muss, weil sich sonst manche Studenten beim Direktor beschweren würden, dass Ihre Gefühle verletzt wurden. Das finde ich schon ziemlich besorgniserregend, besonders für Filmstudenten.“ Gerade an Universitäten müsse es doch darum gehen, zu lernen, auch andere oder kontroverse Meinungen auszuhalten, oder auch irritierende oder gar verstörende Kunstwerke oder Filme zu sehen und in ihrem zeitlichen Kontext zu verstehen.
„Kunst darf natürlich unangenehm, provokant und widersprüchlich sein. Sie darf auch politisch unkorrekt sein. Und wenn unliebsame Meinungen mit Trillerpfeifen niedergemacht werden – ist das etwa progressiv?“, fragt sich Verhoeven.
„Ich bin der erste, der sagt: ich möchte dazulernen. Ich bin ein anderer Mensch, was Sprache angeht, was Diskriminierungsbewusstsein angeht, als vor zehn oder 20 Jahren. MeToo, Black Lives Matter – das sind alles wichtige Bewegungen. Aber von den Übertreibungen eines kleinen Kreises von Menschen, die den Rest der Gesellschaft von oben herab unerbittlich erziehen und belehren wollen, bin ich kein großer Fan. Die Verwirrung und Verunsicherung der Menschen, die teils durch dieses Klima und diese Rigorosität gestiftet werden, bietet natürlich ein großes Feld für eine Komödie, die auch versöhnlich wirken kann“, so Verhoeven. „Am Ende des Films steht die Hoffnung, dass die Dinnerrunde und die Familie wieder mehr zu sich finden kann, genau wie die ganze Gesellschaft.“
Produzentin Kirstin Winkler unterstreicht diesen Aspekt: „Ich mag an Simons Stoff, dass es ein Versuch ist, auf humorvolle Weise zu versöhnen, eine neue Sprache füreinander zu finden, ohne die ständigen Kampfbegriffe. Ich lebe in den USA, aber hier wie dort: Die Gesellschaften sind unglaublich gespalten, werden immer polarisierender. Simon drückt in seinem Film die Hoffnung aus, dass wir trotz Unterschiede, diverser Meinungen und Blickwinkel, wieder mehr zueinander finden können.“ Winkler stellt fest, dass sich heutzutage jeder in seiner Bubble befindet, in seiner sozialen Gruppe, wo nur das bereits bestehende Verständnis gefüttert wird. „Im Amerikanischen sagt man confirmation bias, die Leute glauben das, was sie glauben wollen. Es ist aber wichtig, den Dialog zu öffnen, Leute symbolisch, aber auch wortwörtlich an einen Tisch zu bitten. Das macht Simon in ALTER WEISSER MANN. Eine spannende und mutige Idee.“
Foto:
©Verleih
Info:
„Alter Weißer Mann“, Deutschland 2024.
114 Minuten.
FSK ab 6,
Filmstart 31. Oktober 2024
Regie: Simon Verhoeven.
Mit Jan Josef Liefers, Nadja Uhl und Elyas M’Barek.