schnittberichte.comcalSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. November 2024, Teil 3

Redaktion


Berlin (Weltexpresso) - Seine Premiere feierte der Film bei einer Privatvorführung während des Cannes Filmfestival 1979. Im November desselben Jahres erschien „Caligula“ in Italien in den Lichtspielhäusern. Es folgte eine breite, internationale Vermarktung in den USA, Westeuropa, Südamerika und Asien. Zwar fand der Film bei den Kritikern kaum Anklang, an den Kinokassen war er jedoch umso erfolgreicher, darunter in Frankreich, Deutschland und Japan. Als der Film jedoch den Jugendschützern und Zensoren vorgelegt wurde, waren die Gemüter schnell erhitzt.


Eine Kopie, die zwecks Alters-Einstufung 1980 nach Großbritannien geschickt wurde, wurde vom Zoll beschlagnahmt. Auf Nachfrage des Verleihers antwortete man, dass der Film keinesfalls außerhalb der Einrichtungen des British Board of Film Classification gezeigt werden dürfte, wenn bestimmte Szenen nicht umgehend herausgeschnitten würden.

Also machten sich Gucciones Anwälte, ein Schnittmeister und der Leiter des BBFC, James Ferman, daran, eine Neufassung zu schneiden. Erst fielen zehn Minuten der Schere zum Opfer, dies stellte Ferman und seine Kollegen jedoch nicht zufrieden und sie verlangten nach mehr Schnitten. Vier weitere Minuten wurden geschnitten – insgesamt also 14 Minuten. Als der Film schließlich freigegeben wurde, fehlten all die skandalösen Szenen, die für so viel Aufmerksamkeit in der Presse gesorgt hatten, sehr zum Verdruss des Publikums. In Japan wurde der Film erst nach 330 Schnitten zugelassen und nach seiner Veröffentlichung war es mit dem Ärger noch nicht vorbei. 

Nach nur fünf Tagen verschwand er wieder aus den italienischen Kinos, weil sich zwei erzkonservative Parlamentsmitglieder darüber beschwert hatten. In den USA, unter anderem in Boston, kam es erst zu nichtautorisierten Vorführungen, ehe der Film von den Behörden beschlagnahmt wurde.

1981 erschien eine weitere Fassung, gänzlich ohne explizite Sexszenen. 

Im Juli 1985 sendete Canal+ eine nichtjugendfreie Version, was zu einem Anstieg der Abonnements führte und den Sender dazu veranlasste, fortan auch Pornografie zu senden. 

In den Jahrzehnten seit seiner ersten Veröffentlichung gab es weltweit verschiedenste Versionen, mit verschiedenen Laufzeiten, manchmal mit bisher nie veröffentlichten Szenen und in verschiedenen Schnittfassungen. 

„Caligula“ wurde ein Kultfilm, der Amateure und Filmfans seit seinem Erscheinen in seinen Bann zieht. Doch seit den späten 1970ern gibt es diese eine Frage:

Wie wäre er geworden, hätte sich Bob Guccione nie eingemischt? 

Mit dem neuen Jahrtausend machte man sich in unterschiedlichen Projekten daran, eine alternative Version herauszubringen. Keine davon ist je veröffentlich worden... bis jetzt.

Caligula – Die ultimative Fassung
Im Januar 2020 wurde in einer Ausgabe des Penthouse Magazine bekanntgegeben, dass das Originalmaterial von „Caligula“ gefunden wurde. Autor und Archivar Thomas Negovan wurde damit beauftragt, eine neue Fassung des Films zu erstellen, die zu Gore Vidals Originaldrehbuch passt. Zu Ehren seines 40-jährigen Jubiläums entstand so „Caligula – The Ultimate Cut“, der auf dem Film Festival in Cannes 2023 seine Premiere feierte. In nie dagewesenem Umfang zeigt der „Ultimate Cut“ neue Darstellungen, erweiterte Szenen und erzählt die Geschichte, wie sie ursprünglich erzählt und gespielt werden sollte.

Was ist neu?

  • Bild für Bild wurde restauriert und sämtliche Kratzer und Schäden entfernt.
  • Über 90 Stunden Originalnegative wurden in hochauflösendem 4k gescannt und entsprechend dem Originaldrehbuch zusammengeschnitten.
  • Kraftvollere, packendere und gefühlvollere Darstellungen wurden ausgewählt und völlig andere Kamerawinkel kamen zum Einsatz.
  • Eine völlig neue Tonlandschaft, vom Sound bis zur Musik, wurde kreiert.
  • Alle Dialoge des „Ultimate Cut“ basieren auf Aufnahmen von den Dreharbeiten. Mittels KI und neuester Audio-Technik wurden Störgeräusche entfernt. So konnten Originalaufnahmen von 1976 gerettet werden, die andernfalls verloren gegangen wären.
  • In anderen Versionen wurde die Stimme von Schauspielerin Teresa Ann Savoy durch die einer unbekannten Schauspielerin ersetzt. Im „Ultimate Cut“ erhält Savoy ihre eigene Stimme zurück.
  • Einschränkungen während der Produktion führten dazu, dass einige Kulissen nicht fertiggestellt, mit Vorhängen verdeckt, oder durch Hintergrundbilder ersetzt wurden. Dank neuester VFX-Technik erstrahlt das antike Rom nun in völlig neuem Glanz.
  • Im Originaldrehbuch gab es eine Eröffnungssequenz, die nie gedreht worden ist. Im „Ultimate Cut“ gibt es einen animierten Vorspann, erstellt von Graphic-Novel-Künstler Dave McKean, bekannt als Regisseur von „Mirrormask“.

 

Thomas Negovan – Interview mit dem Produzenten des „Ultimate Cut“

2016 entdeckte und erkannte ein Fan kistenweise unbekannte Filmrollen. Seitdem überschlugen sich die Gerüchte, was wohl aus diesem Material werden würde. Was ist zwischen 2016 und heute passiert?

Hier haben wir es wieder mit einem Mythos zu tun. Es war nicht wirklich so, dass man irgendwo Kisten gefunden hätte. Es war eher wie das Paar Schuhe, das man im Schrank liegen, aber vergessen hat.
Es gab auch die Geschichte, dass ein ehemaliger Eigentümer des „Penthouse“ den Film vernichten wollte. Auch das stimmt nicht, ist aber eine gute Geschichte. Bob Guccione hatte behauptet, den Film nach New York geschmuggelt zu haben, indem er sich die Rollen um die Arme gewickelt hatte. Wir reden hier von einem LKW voller Filmrollen! Wie viele Leute und wie viele Trips würde man bitte dafür brauchen? Stimmt also auch nicht, hört sich aber gut an! 

 

 

 

In Wahrheit wussten die Leute von „Penthouse“, dass der Film da war. Aber es war allen egal. Die Firma hatte sich mehr und mehr in Richtung reiner Pornografie entwickelt und hatte mehrfach die Eigentümer gewechselt. Während er also an der „Imperial Edition“ auf Blu-ray arbeitete, schickte man Nathaniel Thompson ins Lager, gab ihm jedoch nur zwei Stunden Zeit.

Also schnappte er sich alle Filmrollen, die er tragen konnte, und dieses Material landete auf der alten Blu-ray. Und dann, ... es ist kompliziert für mich, zu erzählen, was wirklich passiert ist, weil die Geschichte einige Leute schlecht dastehen lassen könnte. Außerdem will ich nicht derjenige sein, der mit dem Finger auf andere zeigt. 

In Wahrheit lag es am schlechten Management und erst der neue Besitzer von „Penthouse“ ermöglichte das Projekt überhaupt. Eine Management-Firma in New Orleans hatte großes Interesse daran, sich die Hände schmutzig zu machen und herauszufinden, was sich alles in ihrem Besitz befand. Vielleicht gab es ja etwas Lohnendes. 

Als ich mich auf die Suche nach Leuten machte, die mir bei diesem Projekt helfen konnten, waren es weit weniger, als ich gedacht hätte. Ich las die Geschichte, dass es „Penthouse“ zerstört hätte und dass unser Investor all sein Geld in die Scans der Filmrollen investiert hätte. Das war alles erfunden, die wahre Geschichte war einfach irgendeine Konzernscheiße. Die Geschichte ist total langweilig, denn es ging nur um einen Konzern, der Material fürs Streaming rumliegen hatte. Niemanden interessierte es.

Dann wechselte mehrfach der Eigentümer, wobei der letzte Eigentümer eine Management-Firma in New Orleans engagierte, die mich schließlich kontaktierte. Die sagten im Grunde: „Das Zeug gehört uns, willst du es dir mal ansehen? Ist es gut?“ Ich fuhr hin und fühlte mich wie bei „Jäger des verlorenen Schatzes“, bei all den staubigen, unbezahlbaren Reichtümern.

Ich bin ein Fan von Malcom McDowell, hatte „Caligula“ aber nie gesehen, weil er mir sagte, ich solle es lassen. Aber ich kannte die Geschichten, dass es ein ernstgemeinter Film war. Ich saß also vor einem Haufen staubiger, dreckiger Kisten. Ich dachte nur: „Woran kann ich mich hier festketten, damit das nicht wieder für 40 Jahre im Archiv verschwindet?“ Ich machte ihnen einen Vorschlag, und sie akzeptierten. 

In welchem Zustand befanden sich die Negative, als du sie entdeckt hast?
Sie waren in makellosem Zustand. Ich war schockiert. Keine der Chemikalien hatte sich zersetzt. Sieht man sich eine alte DVD von „Caligula“ mit all den Haaren und Kratzern darauf an, könnte man denken, dass es am schlechten Zustand des Materials lag. Doch es lag an den Kameranegativen. Offenbar hatte man das Filmfenster beim Dreh nie kontrolliert und so sieht man Insekten auf den Negativen, weil diese tot in der Kamera lagen. Es war also seltsam, makellose Negative zu haben, die so schmutzig waren. Wir begannen mit einer Bild-für-Bild-Restauration und nun ist alles makellos. Aber es war ein riesiger Haufen Arbeit. 

Hast du versucht, mit den Leuten Kontakt aufzunehmen, die damals am Film beteiligt waren?
Mein ursprünglicher Gedanke war: „Warum sollen wir nicht alle zusammenarbeiten?“ Aber es hat einfach nicht funktioniert. Meine ersten E-Mails schickte ich an Tinto Brass, erfuhr jedoch erst acht Monate später, dass er meine Nachrichten zwar erhalten hatte, mich jedoch schlicht ignorierte, weil es um „Caligula“ ging.

 

 

 

Schließlich sagten seine Frau und sein Anwalt, dass Tinto mit daran arbeiten würde. Dann sah ich jedoch eine Dokumentation, in der es hieß, Tinto wäre dement. Ich willigte zwar in ihre Bedingungen ein, bat jedoch darum, mit Tinto zu sprechen. Sie lehnten ab. Ich sagte: „Ich verstehe das, „Caligula“ war eine grauenhafte Erfahrung, aber wenn wir euch schon bezahlen, will ich mit ihm reden.“ Erneut lehnten sie ab und die Verhandlungen waren beendet.

Meine zweite Mail ging an das Management von Malcolm McDowell. Ich schrieb, dass er am Projekt mitwirken sollte, bekam jedoch keine Antwort. Je tiefer ich in die Materie eindrang, desto mehr verstand ich, wie brutal es für alle gewesen sein muss. In einem Interview sagte McDowell: „Ich weiß, wie es sich für eine Frau anfühlt, vergewaltigt zu werden.“ Ich trat einen Schritt zurück und erkannte, dass ich alles von einem neutralen Standpunkt aus betrachtete. Alle anderen konnten das jedoch nicht. 

Ich erkannte, dass der Film nie einen echten Produzenten hatte. Du kannst nicht Tinto Brass gerecht werden, oder Bob Guccione. Du musst den Schauspielern gerecht werden. Wer auch immer sich in der Chefetage prügelt, steht nicht vor der Kamera. Also wollte ich eine Struktur schaffen, die Malcolm McDowells schauspielerische Leistung unterstützte.

Bob Guccione war zwar kein typischer Produzent, aber mit Jack Silverman und Franco Rossellini, Roberto Rossellinis Neffen, gab es ja zwei Produzenten am Set.
Jack Silverman kam aus Amerika, von New Yorks Bühnen und aus Hollywood-Filmen. Und einen Tinto Brass, der Oralsex mit einer Schauspielerin hatte, um zu zeigen, wie es ging, gab es einfach nicht in seiner Welt. Als der Dreh abgeschlossen war, hatte er sich mental komplett verabschiedet. Es war einfach zu verrückt für ihn. Doch zu Tintos Verteidigung: Er war ein Künstler und ein Verrückter. Ich denke, keiner der Beteiligten konnte diese Brücke zu ihm schlagen. Bob Guccione war berüchtigt dafür, schwierig zu sein. Ebenso wie Gore Vidal und Tinto Brass. Silverman und Rossellini waren beide nette Kerle, die nicht in diesen Mahlstrom geraten wollten. Das Verbrechen war es, dass es niemanden gab, der sie zur Zusammenarbeit bringen konnte. Niemand hat gesagt: „Gore, du bist ein großartiger Autor! Malcolm hat eine sehr gute Idee, vergiss mal dein Ego und hör ihm zu!“

Bob hatte ein unglaubliches Gespür für Marketing, und das mit Erfolg: Wir reden noch 40 Jahre später über den Film. Ich denke, Tinto kam mit dem großen Budget nicht zurecht und fühlte sich bei kleineren Filmen künstlerisch einfach besser aufgehoben. Sicherlich hatte er viel zu bieten, der Film laugte ihn jedoch aus. Bei Bob war es mit Sicherheit so, denn er hat nie wieder einen Film gedreht. 

Über Jahre gab es Gerüchte und Fantasien über einen „Tinto Brass Caligula“, also eine Neufassung nach der Vision des Regisseurs. Das war nicht dein Ziel?
Ich kam zu diesem Film, weil ich ein Fan von Tinto Brass bin. Als wir fertig waren, war aber der Cutter nicht mehr ein so großer Fan von ihm, weil Kameras unscharf waren oder jemand bei einer schönen Zeitlupe gegen das Dreibein gestoßen war. Der Film fühlte sich oft recht amateurhaft an. Niemand hatte das Bildfenster überprüft, also gibt es immer Dreck auf den Negativen. Doch wir konnten durch die technischen Einschränkungen, die Beschränkungen dessen, was gedreht worden ist und die unfertigen Kulissen hindurchnavigieren. Das Wichtigste war es jedoch, dass die Schauspieler zur Stelle waren, um kraftvolle Darstellungen abzuliefern. Und das haben sie gemacht.

Ich glaube, Tintos Fassung wäre erschienen und in Vergessenheit geraten. Sie wäre unsinnig und blöde dahergekommen und als Randnotiz der Geschichte geendet. Damals wurde ein wunderschöner Film gedreht, aber die Hauptakteure haben einander gehasst. Ein guter Produzent hätte zu Bob gesagt: „Halte dich verdammt nochmal zurück und mach hier nicht alle wahnsinnig!“ Ich hätte Tinto gesagt, dass dieser Kerl sein Geld investiert, damit er etwas Wunderschönes erschaffen kann, dass nicht total beschissen reaktionär ist.

Ich respektierte die Tatsache, dass die Schauspieler an dem ganzen Drama nicht beteiligt waren. Diese Schnittfassung ist also für die Schauspieler. Und selbst wenn man den Film hasst, ist es ein Geschenk und die Zeit absolut wert, eine zuvor nie gesehene Darstellung von Helen Mirren aus dem Jahre 1976 zu sehen. Sie war außergewöhnlich und warum sollte man diese junge, schöne Schauspielerin zu Beginn ihrer Karriere nicht sehen wollen? Selbst Bob Guccione hat gesagt, dass sie für ihn der wahre Star des Films war. Er hat das damals bereits erkannt.

Außerdem ist es für mich Malcolm McDowells bestes Spiel. Er war als Schauspieler in Höchstform, wurde jedoch alleingelassen. Für diese Rolle musste er härter arbeiten als für andere Rollen. Ich liebe „Uhrwerk Orange“, der ohne Frage ein großartiger Film ist, aber hier war er so kraftvoll, weil er sich auf den Erzählbogen der Figur voll konzentrierte.

Ich habe all das Material schon so oft gesehen, etwa 90 Stunden unbekannter Aufnahmen: Niemand bringt mehr Herzblut in den Film ein als Malcolm McDowell, mehr als Tinto Brass oder Bob Guccione. Er hat auch angemerkt, dass Gore Vidals Drehbuch sehr eindimensional war. Caligula war einfach nur verrückt und das ist langweilig für einen Schauspieler. Er und Tinto einigten sich darauf, dass sich die Figur entwickeln müsse. Diese Entwicklung fehlt jedoch im Originalfilm, da ist er einfach nur verrückt.

Nun erfahren wir es im ersten Drittel: Er ist ein verängstigter junger Mann. Er ist nicht verrückt, er ist ein Überlebenskünstler, doch er weiß, dass Tiberius ihn tot sehen will. Dieser hat seine gesamte Familie ermordet und als einziger Fels bleibt ihm seine Schwester. Dadurch bekommt nicht nur der Inzest mehr Kontext, in der ersten Stunde fühlen wir auch mit ihm, weil er weiß, dass er jeden Moment sterben könnte.

In der zweiten Stunde kommt er an die Macht, was sich Gore Vidal vorgestellt hatte, wie ein Kind, das sein Spielzeug kaputtmacht, weil es keinerlei Disziplin hat. Der Tod seiner Schwester reißt ihn schließlich völlig aus der Realität. Der einzige Mensch, dem er noch vertrauen konnte, ist fort. Da er absolute Macht besitzt, keinerlei Disziplin und von der Realität völlig entkoppelt ist, wird er wahnsinnig.

 

 

 

Das ist jedoch nicht Tinto geschuldet, sondern Malcolm. Und wir sehen einen derart derben und verletzten Malcolm, dass ich es nun verstanden habe. Nicht nur stimmte etwas mit dem Film nicht, in dem er mitgespielt hatte. Auch hatte er in einem Film gespielt, den niemand je zu sehen bekam.

In deiner Version gibt es weit weniger Blut und Sex als im Original. Auch gibt es keine pornografischen Szenen. Warum hast du dich dazu entschieden, diese Aspekte zurückzuschrauben?

Wir haben nichts zensiert, haben aber auch nichts nur des Schocks wegen hinzugefügt. Es gibt keine Welt, in der dieser Film für jemanden unter 18 Jahren geeignet wäre, er ist immer noch in vielerlei Hinsicht sehr erschreckend, was die Brutalität angeht. Doch in der ersten Version ging es nur darum, zu schockieren. So war etwa die Orgien-Szene ganze 12 Minuten lang. Das muss sie aber nicht sein. Man weiß, dass es eine Orgie ist, und es gibt reichlich nackte Haut und Blut. Die Frage war aber: Wollten wir einen völlig unnötigen Witz aus der Sache machen, oder die Geschichte voranbringen? Wir hatten immer die Erzählung von „Caligula“ im Blick und alles, was am Original wirklich interessant war, ist noch immer drin. Noch immer gibt es die dreistöckige Enthauptungsmaschine, ebenso die Fisting-Szene. Wenn man die Orgie von 12 auf fünf Minuten kürzt, erzählt man eine Geschichte und blickt nicht auf die Uhr und fragt sich: „Was mache ich noch hier?“ In mancher Hinsicht ist unsere Version sogar noch beunruhigender, weil unsere Gewalt mit einer emotionalen Erzählung verbunden ist, ich denke, sie ist dadurch härter.

 

Welche Elemente finden sich in deiner Version, die in der Fassung von 1980 nicht zu sehen waren?

Im Original sahen wir Bestechungen, aber nicht, wie es dazu kam. Wir sahen den Tanz der Soldaten, ohne zu wissen, dass Caligula sich damit nur über sie lustig machen wollte. Auch sah man immer wieder einen Vogel, es war jedoch nicht klar, dass dieser immer dann auftauchte, wenn jemand stirbt. Am Ende des Films erkennt Caligula, dass Rom viel größer ist als er selbst, und dass er Teil eines unendlichen Spiels ist. All dies gab es in der Fassung von 1980 nicht. Es gibt eine sehr kraftvolle Szene: Im Original stieg er die Treppe zum Senat empor, dann folgte jedoch ein Schnitt auf etwas völlig anderes. Doch in unserem Material sieht man, wie er die Treppe hinaufgeht, auf der Empore steht, die römischen Siegel berührt, sich zum großen, leeren Senatssaal umdreht und zu weinen beginnt. In diesem Moment berührt der Riese, der ihn begleitet und alles tut, was er tut, sein Gesicht und beginnt ebenfalls, zu weinen. Ihm wird bewusst, dass er sterben wird, er weiß jedoch, dass das Imperium fortbestehen wird. Er ist Teil des Kreislaufs, der in der Eröffnungssequenz gezeigt werden sollte, die nie gedreht worden ist. Diese zeigen wir nun als Animation. Es gibt viele wiederkehrende Elemente, darunter der Vogel. Als Caligula den Vogel zum ersten Mal sieht, dreht er durch. Denn dieser Vogel verkündete Tiberius‘ Tod. Der zweite Vogel versetzt ihn in Panik, weil er weiß, dass er den Tod bedeutet. Dann stirbt seine Schwester. Beim Erscheinen des dritten Vogels dreht Caesonia durch, Caligula jedoch blickt ihn nur an und atmet tief durch.         In der finalen Szene gibt es ein Stück über das ewige Leben, Tod und Wiedergeburt. Das alles gab es schon, jemand musste es nur zusammenfügen. Meine Wurzeln liegen im Symbolismus des 19. Jahrhunderts, also fand ich es sehr spannend, solche starken Themen im Rohmaterial zu finden. „Caligula“ ist ein symbolhafter, dramatischer, metaphysischer Film, wie eine seltsame europäische Graphic Novel aus den 1970ern. Dieser Film zeigt nun Caligula als den allegorischen Archetypen, der mit seiner Vorstellung der Realität ins Reine kommt. 

Worin bestand die größte Schwierigkeit bei der Arbeit an der neuen Fassung?
Es war wohl die Einsicht, dass das nie zuvor gemacht worden ist. Ich konnte mich an nichts orientieren. Ich ke