marianen

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. November 2024, Teil  4


Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - 11.000 Meter unter dem Meer, wo es kein Licht mehr gibt. Keine Farben, kaum noch Sauerstoff. Wo die Tentakel aus der Schwärze kommen, die mich tiefer nach unten ziehen. Der Druck hier unten ist so hoch, dass ich Angst habe, zu implodieren.

Der Albtraum ist immer derselbe, immer wieder lässt er Paula (LUNA WEDLER) nachts hochschrecken, raubt ihr den Schlaf, ihre Energie und mehr und mehr ihren Willen zu leben. Paula kann einfach nicht verkraften, dass ihr kleiner, geliebter Bruder Tim (WILLIAM VONNEMANN) nicht mehr da ist – ertrunken, gerade einmal neun Jahre alt, aus dem Leben gerissen. An nichts anderes kann sie denken. Wie er sich gefühlt haben muss in seinen letzten Momenten, entsetzt von dem Bewusstsein, dass seine große Schwester nicht da sein wird, um ihm zu Hilfe zu kommen. Wie hypnotisiert zieht es Paula mitten in der Nacht auf den Friedhof, wo Tims Körper liegt. „Tim López“ steht da auf dem Grabstein, „Abenteurer und Meeresforscher“. Es ist sein Geburtstag; zehn Jahre alt wäre er geworden. Paula spricht mit ihm. Aber es fühlt sich nicht richtig an.

Als sie versehentlich das Grablicht umstößt und es zerbricht, wird Paula unversehens angesprochen von einem Mann, der ebenfalls nachts auf dem Friedhof ist: Was sie denn da mache? Das ist Helmut (EDGAR SELGE). Er müsse seine Frau Helga aus dem Grab holen, sagt er, ob Paula ihm nicht helfen könne? Nach kurzem Zögern willigt sie ein, gräbt mit Helmut die Urne mit ihrer Asche aus. Von Friedhofsarbeitern werden sie entdeckt und fliehen gemeinsam aus dem Friedhof, mit der Urne, Hals über Kopf… Mit Helmuts Wohnmobil gelingt die Flucht, gemeinsam mit Helmuts Schäferhund Judy, der im Wagen gewartet hatte. Er erzählt Paula, dass er die Urne nach Südtirol bringen wolle. Das ist Musik in ihren Ohren: Sie selbst will auch nach Italien, an den Urlaubsort an der Adria, wo Tim gestorben ist. Die beiden entscheiden kurzentschlossen, die Reise erst einmal gemeinsam anzutreten. An der Grenze aber will Paula dann den Zug nehmen, um ans Ziel zu kommen.

Jetzt erst haben sie die Gelegenheit, sich einander vorzustellen. Nur stockend kommt ein Gespräch zwischen den beiden Sonderlingen zustande, zumal Helmut kurz angebunden und ziemlich schroff ist. Bei einer Pause an einem Parkplatz raucht Paula allein eine Zigarette. Wie immer, wenn sie allein ist, hört sie die Stimme ihres Bruders, der sich mit ihr unterhält. Und wie immer antwortet sie auch. Weiter geht es in Richtung Süden. Helmut will wissen, wessen Grab Paula auf dem Friedhof besucht hat. Erstmals entsteht ein kurzer Moment der Vertrautheit. Auf ihrem Smartphone sieht sich Paula den einzigen kleinen Film an, den sie von Tim hat. Und schläft dabei ein.

Am nächsten Tag halten sie an einem kleinen See an. In einem akribisch vorbereiteten Ritual verstreut Helmut dort ein wenig von der Asche seiner Frau und will dabei nicht gestört werden. Dass ausgerechnet in diesem besonderen Moment eine Gruppe von FKK-Sonnenanbetern vorbeikommt und sich dort niederlässt, um zu baden, bringt Helmut völlig aus der Fassung. Ein langanhaltender Hustenanfall besorgt Paula: Stimmt etwas nicht mit Helmut, der sie barsch anblafft, als sie nachfragt? Aber auch sie hat ein Geheimnis, von dem Helmut nichts weiß. Kurz blitzt unter ihren langen Ärmeln ein Verband hervor, der um ihren Unterarm gewickelt ist, als die beiden schweigend wieder im Wohnmobil sitzen und die Fahrt fortsetzen: Paula hat bereits einen Selbstmordversuch hinter sich.

Wenn ich an dich denke, setzt mein Herz kurz aus. Das Blut sackt in die Beine. Die Ohren rauschen. Als würden alle Meere dieser Welt darin zusammenfließen. Ein Sturm braut sich zusammen und reißt meine Seele in eine Million kleine Stücke.

Helmut bildet sich ein, dasssich die Kinder seiner Frau an ihre Fersen geheftet hätten. Sie hatten darauf gedrängt und gegen Helmuts Willen durchgesetzt, dass Helgas Überreste in Deutschland bei ihnen beerdigt wird. Deshalb habe er die Asche gestohlen, um sie wieder bei sich zu haben. Und nun rechnet er damit, dass die Kinder ihnen die Polizei auf den Hals gehetzt haben. Kurz vor der österreichischen Grenze kommen sie tatsächlich in eine Kontrolle. Helmut rast mit Karacho an ihnen vorbei. Als sie gestoppt werden, ist es Paulas Geistesgegenwart zu verdanken, dass sie nicht eingebuchtet werden. Während sie noch warten, spielt Paula mit dem Gedanken, Helmut zurückzulassen und auf eigene Faust weiterzureisen. Die Erscheinung ihres Bruders Tim redet ihr jedoch ins Gewissen: Habe sie denn noch nicht gemerkt, dass Helmut schwerkrank ist und diese Reise seine letzte sein wird? Sie bleibt bei Helmut und sitzt fortan am Lenkrad.

Nur zögerlich ist Helmut bereit, sich Paula anzuvertrauen. Er erzählt von seinem Sohn, der vor langer Zeit, 1971, im Alter von elf Jahren gestorben war, ebenfalls ertrunken. Im Schmerz und in ihrer Trauer sind sich diese beiden Zufallsbekannten auf einmal ganz nah, ohne darüber reden zu müssen. Auf freier Strecke bremst Paula und nimmt ein angefahrenes Huhn mit, das sie „Lutz“ tauft. Sie glaube nicht an Geschlechterzuordnungen. Sie erzählt, dass sie Biologie studiert, ihren Master in Meereswissenschaften aber nie beendet habe. Die Stimmung im Wohnmobil ist spürbar weniger angespannt als zuvor. Für Paula zu entspannt: Sie will keine weiteren Pausen machen, will unbedingt weiter nach Triest. Helmut lässt sich nicht beirren. Mitten in unberührter Natur stoppt er. In einem stillen Moment beginnt Paula zu weinen und sagt ihrem Bruder, sie habe heute eigentlich zu ihm kommen wollen.

Helmut spürt, was in Paula vorgeht. Er erzählt ihr, auch manchmal noch mit seinem Sohn zu reden. Paula öffnet sich Helmut und erzählt ihm vom Tod Tims, dass sie an seinem Geburtstag bei ihm in Triest hätte sein wollen. Sie wolle nicht, dass das Leben einfach weitergehe, das sei unfair. Helmut lässt Paula wissen, dass er ihren Plan ahnt. „Ihr Bruder wird es Ihnen nicht krummnehmen, wenn sie ein bisschen später kommen.“ Ganz weich und verständnisvoll ist der ältere Mann auf einmal, so anders als vorher, zwei verwandte Seelen. Helmut habe sogar selbst einmal versucht, sich das Leben zu nehmen. Nur seiner Frau war es zu verdanken, dass er gerettet wurde. Es ist ein zärtlicher Moment der gegenseitigen Anteilnahme. Helmut packt medizinisches Marihuana aus – gegen die Schmerzen. „Sie haben mich wohl für spießig gehalten“, sagt er schelmisch. Gemeinsam kiffen. Das vereint. Erstmals müssen sie von Herzen lachen. Paula tanzt unbeschwert. Helmut muss mitmachen. Ein schöner Moment.

Der nicht lange währt. Helmut hat einen erneuten Anfall, braucht seinen Sauerstoff. Sie sehen sich an und wissen: Auf dieser Fahrt wird es um alles gehen. Dabei hat sie gerade erst angefangen, und die richtig großen Abenteuer und Überraschungen liegen noch vor ihnen…

Hoffentlich hast Du einen Fisch gesehen, einen Gespensterfisch oder einen Mehrzahnfisch. Hauptsache, du hast nicht an mich gedacht. Bitte nicht. Bitte nicht.

Foto:
©Verleih

Info:
Besetzung & Stab

Paula.             LUNA WEDLER
Helmut           EDGAR SELGE
Tim                 WILLIAM VONNEMANN
Ulrich             MARTIN MARIAABRAM
Nackte Frau   KATHARINA GRABHER
Nackter Mann MARKUS STOLBERG
Polizistin         CELINA TERÁN GÓMEZ
Polizist           DOMINIK RANEBURGER
Italienischer Autofahrer.      ANTONIO SALMERI
Paulas Mutter.        ANNA STIEBLICH
Judy                  WOLKE VOM GEISTERSCHLOSS
KAYLA
HABBY
Lutz HENRIETTE

Regie, Drehbuch          EILEEN BYRNE
Basierend auf dem Roman von JASMIN SCHREIBER
Dramaturgin         ANGELIKA MÖNNING

Abdruck aus dem Presseheft