maSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. November 2024, Teil  6


Eileen Byrne 

Berlin (Weltexpresso) - Sie geben mit MARIANENGRABEN Ihr Debüt als Spielfilmregisseurin. Warum sollte es dieser Stoff sein? Was hat Sie an der Romanvorlage von Jasmin Schreiber gepackt?

Mich hat das Thema – der Tod des kleinen Bruders und die Schuldgefühle der Hauptfigur – tief berührt. Ich habe selbst drei jüngere Geschwister und habe eine tiefe Liebe und einen starken Beschützerinstinkt ihnen gegenüber. Deshalb habe ich da sofort eine Verbindung gefunden. Ich habe in den letzten Jahren auch einige tragische Todesfälle in meinem engeren Bekanntenkreis miterlebt und gespürt, wie hart es für die Hinterbliebenen ist, mit dem Verlust umzugeben. Ich bewundere ihre Kraft und ihren Lebenswillen trotz der tiefen Trauer, die seitdem ihr Begleiter ist. Was mich aber auch nach nur wenigen Seiten beeindruckt hat, ist, wie gekonnt Jasmin Schreiber sich auf dem schmalen Grat zwischen Tragik und Komik bewegt. Ich hatte das Gefühl, dass da endlich jemand die Sprache spricht, die ich so liebe und schon lange vergeblich in Romanen oder Drehbüchern suche.


Sie führen nicht nur Regie, sie haben auch das Drehbuch geschrieben. War Ihnen das wichtig? Wie sind Sie vorgegangen? Was war Ihnen bei der Adaption wichtig? Haben Sie mit Jasmin Schreiber gesprochen – und worüber? Wie sah der Prozess aus?

Die Tragikomödie hat mir sofort Lust gemacht, selbst Hand anzulegen und den Roman in eine filmische Sprache umzusetzen. Allerdings hatte ich die Arbeit anfangs ein wenig unterschätzt, denn der Roman funktioniert sehr stark über innere Monologe der Hauptfigur und Flashbacks zu Momenten mit ihrem kleinen Bruder. Da Jasmin auch große Lust hatte, an der Entwicklung des Drehbuchs beteiligt zu sein, haben wir eine erste Treatmentfassung gemeinsam geschrieben. Als sie allerdings wegen anderer Projekte aussteigen musste, habe ich mit Unterstützung meiner Dramaturgin alleine weitergearbeitet. Jasmin war aber sehr offen und hat mir bei der weiteren Entwicklung vertraut. Das Schwierige war, zum Kern der Geschichte durchzudringen, um dann Wege zu finden, ihn in eine filmische Dramaturgie zu übersetzen. Dadurch sind leider viele Szenen aus dem Roman weggefallen, aber auch einige neue hinzugekommen. Unser Ziel war es aber immer, dem emotionalen Kern des Romans treu zu bleiben.


Gab es einen Punkt, an dem Sie gemerkt haben: Das ist jetzt nicht mehr der Roman, das ist jetzt MEIN Film? Was macht MARIANENGRABEN zu IHREM Film?

Für mich fühlt es sich inzwischen wie ein Ganzes an, ich kann manchmal gar nicht mehr sagen, welche Szenen oder Dialoge von mir und welche von Jasmin waren. Das ist, glaube ich, das Ziel: Dass die Figuren irgendwann ein Eigenleben bekommen und auch außerhalb des Romans existieren, so dass es sich natürlich anfühlt, auch neue Szenen für sie zu schreiben. Ich hatte mir aber natürlich viele Momente und Dialoge aus dem Roman rausgeschrieben, die ich unbedingt behalten wollte, weil sie einfach so großartig sind. Was mir besonders wichtig war, war dem Kern treu zu bleiben und den schmalen Grat zwischen Humor und Drama genauso fein zu zeichnen, wie Jasmin das im Roman getan hat. Ich hoffe sehr, dass mir das gelungen ist. 


MARIANENGRABEN erzählt die Geschichte zweier in ihrer Trauer zutiefst erschütterten Menschen, die als Zufallsbekanntschaft auf eine unvorhergesehene Reise gehen. Wer sind diese beiden? Was gefällt Ihnen an den Figuren? Was macht sie spannend?

Mich haben die Verluste der beiden Figuren und ihre Umgangsweise mit ihrer Trauer sehr berührt. Paula geht ganz anders damit um als Helmut. Sie gibt sich ihren Emotionen auf eine sehr offene, fast naive Art hin und kann einfach nicht akzeptieren, dass das Leben ohne ihren Bruder weitergehen soll. Helmut hat bereits zwei enge Menschen in seinem Leben verloren und mit der Zeit Schutzmauern aufgebaut, um nicht von seinen Gefühlen aufgefressen zu werden. Beide finden in dem anderen zum ersten Mal jemanden, der ihn/sie wirklich versteht, aber ganz anders mit dem Erlebten umgeht. Und sie lernen etwas Wichtiges von der jeweils anderen Figur, das ihnen zu einer neuen Leichtigkeit und neuem Lebensmut verhilft.


Der Film steht und fällt mit der Besetzung: Wie sind Sie auf Luna Wedler und Edgar Selge gekommen? Warum waren Sie die Richtigen für die Geschichte?

Luna hatte ich bereits beim Schreiben im Kopf. Ich hatte sie in ein paar Filmen gesehen, wo sie mich zutiefst berührt hatte. Da ich mich aber nicht auf meinem ersten Impuls ausruhen wollte, habe ich mehrere Castingrunden mit tollen, jungen Schauspielerinnen gemacht – aber am Ende wurde es trotzdem Luna. Sie arbeitet sehr intuitiv und natürlich und spielt immer mehrere emotionale Ebenen auf einmal. Das hat mich tief beeindruckt! Die Rolle von Helmut wollte ich erst mit einem österreichischen Schauspieler besetzen, da er im Roman aus Österreich stammt. Als ich dann doch entschied, einen deutschen Schauspieler zu besetzen, fiel meine Wahl sofort auf Edgar Selge. Er ist ein wahnsinnig sensibler und intelligenter Mensch. Wir hatten viele tolle Gespräche über seine Figur und er hat mir teilweise auch geholfen, Helmut besser zu verstehen. Er hat sich sehr intensiv mit der Figur auseinandergesetzt und vieles hinterfragt, was auch für mich sehr hilfreich war. Und er war sehr geduldig mit mir, obwohl er schon so viel Erfahrung hat. Es hat einfach großen Spaß gemacht, mit beiden zu arbeiten.


Wie haben Sie den Dreh erlebt? Was waren die besonderen Herausforderungen? Was hat besonders gut geklappt, was war weniger einfach?

Der Dreh war wie die meisten Drehs natürlich sehr intensiv – wir hatten einen hohen Zeitdruck, haben komplett achronologisch in drei verschiedenen Ländern gedreht und die Fahrszenen im Wohnmobil waren eine große logistische Herausforderung. Es war aber auch eine wunderschöne Zeit mit ganz tollen Menschen um mich herum – sowohl aus dem Cast als auch aus dem Team. Ich habe mich sehr verstanden und unterstützt gefühlt und denke mit sehr positiven Gefühlen an die Zeit zurück. Die schöne Landschaft hat natürlich auch ein bisschen dazu beigetragen.


Ihr Film ist auch ein Roadmovie – das bedeutet immer auch Bewegung, von etwas weg, zu etwas hin: Was gefällt Ihnen an der Form? Warum ist sie ideal für die Geschichte von MARIANENGRABEN?

Dass das Roadmovie eine lange Tradition in der Filmgeschichte hat, liegt ja daran, dass die äußere Reise immer auch die innere Reise der Helden widerspiegelt und somit äußerlich verbildlichen kann, was im Inneren vorgeht. Zwei Figuren, die sich auf den Tod nicht ausstehen können, aber gemeinsam in einem Gefährt aneinandergefesselt sind, birgt auch immer komödiantisches und dramatisches Potenzial. Das Besondere bei MARIANENGRABEN ist, dass die Hauptfigur Paula, die sich seit dem Tod ihres Bruders in einer Art inneren Lähmung befindet, gezwungen wird, in Bewegung zu kommen. Das Leben ist Bewegung und wer sich nicht bewegt, riskiert, innerlich zu sterben. Die Reise nach Südtirol, in die Berge, läuft hier auch parallel mit ihrem Aufstieg aus dem Stillstand – versinnbildlicht durch den Marianengraben – in den sie durch ihre Trauer geraten ist. Es ist also eine Reise zurück ins Leben.


Ist MARIANENGRABEN der Film geworden, den Sie vor Augen hatten, als Sie mit dem Dreh begonnen haben? Worauf sind Sie besonders stolz? Was ist Ihre bleibende Erinnerung?

Ich glaube nicht daran, dass der Film am Ende das sein kann, was man anfänglich im Kopf hatte. Zumindest funktioniert das bei mir nicht so. Das Schöne am Film ist ja, dass er in vielen Schritten erzählt, teilweise sogar neu erzählt wird. Er passt sich an – an Motive, die man findet, an Schauspieler, die man castet, an unvorhergesehene Ereignisse, die in der Vorbereitung oder am Set geschehen. Und Film ist immer Team-Arbeit. Er wird vom Drehbuchautoren erzählt, vom Regisseur, vom Editoren, Musiker, Sound-Designer etc. Ich freue mich über jede Idee und jeden neuen Blick, die ich von meinem Cast und meinen Team-Mitgliedern bekomme. Was in meinem Kopf steckt, ist eine Version des Films – aber es ist nicht unbedingt die Beste. Ich bin einfach stolz auf den Film. Er ist mein erster Langfilm und er ist die beste Version von dem Film, den ich zu diesem Zeitpunkt – auch dank vieler anderer Menschen – machen konnte. Und das ist ein tolles Gefühl.


Foto:
©Verleih

Info:
Besetzung & Stab

Paula.             LUNA WEDLER
Helmut           EDGAR SELGE
Tim                 WILLIAM VONNEMANN
Ulrich             MARTIN MARIAABRAM
Nackte Frau   KATHARINA GRABHER
Nackter Mann MARKUS STOLBERG
Polizistin         CELINA TERÁN GÓMEZ
Polizist           DOMINIK RANEBURGER
Italienischer Autofahrer.      ANTONIO SALMERI
Paulas Mutter.        ANNA STIEBLICH
Judy                  WOLKE VOM GEISTERSCHLOSS
                          KAYLA
                          HABBY
Lutz                   HENRIETTE

Regie, Drehbuch          EILEEN BYRNE
Basierend auf dem Roman von JASMIN SCHREIBER
Dramaturgin         ANGELIKA MÖNNING

Abdruck aus dem Presseheft