teuSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. November 2024, Teil 6

Redaktion

Wien (Weltexpresso) - EINEN HISTORISCHEN FILM UM DAS THEMENFELD DEPRESSION KREISEN ZU LASSEN, IST, GELINDE GESAGT, UNGEWÖHNLICH. WIE HABT IHR EUCH DIESER HERAUSFORDERUNG ANGENÄHERT?

SF Unter einem Historienfilm stellt man sich häufig einen Kostümfilm vor, über die Reichen und Schönen. Aber unserer ist definitiv nicht NAPOLEON von Ridley Scott, sondern ein Film über bäuerliches Leben, Depression, Einsamkeit. Wir wollten dabei das historische Phänomen, das dem Film zugrunde liegt, nicht von außen betrachten, wie in einem Lehrfilm. Wir wollten der Melancholie der Agnes vielmehr schrittweise nahe kommen, ihren Ängsten und ihren Sorgen, um es für den Zuschauer erlebbar zu machen.


DES TEUFELS BAD WILL DEMNACH, WIEWOHL ER MITTE DES 18. JAHRHUNDERTS SPIELT, ETWAS ÜBER UNSERE GEGENWART ERZÄHLEN?

VF Ja, auch. Agnes funktioniert nicht in ihrer Welt. Und die unterscheidet sich gar nicht so sehr von unserer heutigen, wenn man den Leistungsanspruch betrachtet. Menschen mussten arbeiten, ihren Pflichten nachkommen. Wenn sie dem nicht gewachsen waren oder anders tickten, rief das großes Unglück hervor und das ist, denke ich, ein sehr zeitgemäßes Thema. Das NichtFunktionieren ist auch heute noch ein riesiges Tabu. Das ist eine der zentralen Fragen, finde ich: Können wir einander nicht einfach Schwächen, Fehler und Versagen zugestehen und uns trotzdem lieben?

SF Etwas anderes, das in die Gegenwart weist, ist die Maßnahme, zu der Agnes dann greift, der mittelbare Selbstmord. Das hat sich in der Geschichte immer wiedergewandelt und ist auch heute noch vorhanden. In den USA etwa als “suicide by cop”, wenn man sich von einem Polizisten erschießen lässt. Auch über den islamistischen Terrorismus gibt es Studien, dass ein Teil der Menschen, die sich bei einem Selbstmordattentat in die Luft sprengen und Unschuldige mitreißen, depressiv ist und letztendlich nur einen Weg sucht, sterben zu dürfen, der gleichzeitig von der Religion anerkannt ist – Selbstmord quasi mit Gottes Segen. Wie bei Agnes auch.


WIR SIND JETZT SCHON MITTENDRIN IM THEMA EURES FILMS, ABER WAS HAT DAS PROJEKT URSPRÜNGLICH ANGESTOSSEN?

SF Wir sind auf einen Podcast gestoßen, in dem die US-Historikerin Kathy Stuart von dem Phänomen des mittelbaren Selbstmordes im 17. und 18. Jahrhundert gesprochen hat und wir wussten sofort: Das ist eine Geschichte, die wir erzählen wollen. Einerseits, weil sie noch nicht erzählt worden ist, andererseits weil sie sich mit historischen Figuren beschäftigt, die normalerweise keine Stimme haben, nicht im Kino und auch nicht in der historischen Überlieferung. Es sind Frauen aus sehr armen Verhältnissen, von deren Leben man heute nur deshalb weiß, weil sie schreckliche Verbrechen begangen haben.

VF Wir haben dann viele der alten Verhörprotokolle aus Österreich und Deutschland gelesen, die uns Kathy zur Verfügung gestellt hat. Und eines ist uns sehr, sehr zu Herzen gegangen. Darin befragt der Inquisitor die Oberösterreicherin Ewa Lizlfellner dreimal sehr ausführlich, weil er ihr Motiv für die Tat wirklich wissen wollte. Ihre Antworten gingen uns sehr nahe, denn man liest direkt von einer Frau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, die einem ihre Geschichte erzählt, was ihre alltäglichen Hoffnungen, Ängste, Träume, Verletzlichkeiten und auch Abgründe sind. Was mich außerdem sofort fasziniert hat, war das Thema von Frauen, die physische Gewalt ausüben. Das schreibt man im Klischee sehr oft nur Männern zu.


JETZT IST DES TEUFELS BAD ABER KEIN GERICHTSFILM, AUCH KEINER ÜBER VERHÖRE ODER INQUISITIONEN, SONDERN IHR ERZÄHLT AUS DEM BÄUERLICHEN ALLTAG DER FIGUREN. WIE IST DENN DIESBEZÜGLICH DIE RECHERCHE VONSTATTEN GEGANGEN?

SF Wir haben mehrere Historiker:innen beschäftigt, um zu erfahren, wie es damals, 1750 in Oberösterreich, wirklich war. Und eine davon, Barbara Zuber-Goldstein, hat uns dann den erlösenden Satz gesagt: Es gibt so wenige Quellen, dass man keine absoluten Aussagen treffen kann. Nehmt einfach aus all dem Wissen, das ihr angesammelt habt, was als das Richtige erscheint. In Wirklichkeit war die akkurate Recherche also ein Akt, der uns befreit hat.

VF Ja, und wir haben in Großbuchstaben über alles geschrieben: MENSCHEN SIND MENSCHEN. Menschen haben Fehler, Lüste, Ängste, Sehnsüchte, ob sie im 18. Jahrhundert leben oder jetzt. Natürlich haben wir uns bei Details wie etwa den Farben der Gewänder, die aus Naturmaterialien waren, an den historischen Begebenheiten orientiert. Wir haben mit Kostümbildnerin Tanja Hausner auch beschlossen, dass immer etwas Unperfektes dabei sein soll, dass ein Fehler drin sein muss. Kleidung wurde damals ja weitergegeben, war zu groß, zu klein, geflickt. Und nur eines nicht: ein perfektes Filmkostüm.


DIE ECHTHEIT, DIE EUREN FILM DURCHDRINGT UND IHN PRÄGT, BEDEUTET AUCH ENTSPRECHENDE ANFORDERUNGEN AN EURE DARSTELLER:INNEN. WIE HABT IHR SIE UND WIE HABEN SIE SICH SELBST AUF DAS „LEBEN“ IM 18. JAHRHUNDERT VORBEREITET?

VF Die Schauspieler:innen haben zur Vorbereitung im Dreh-Haus übernachtet, ohne all die Annehmlichkeiten des modernen Lebens wie Strom oder Gas, mit Dunkelheit und Kälte und vielen ungewohnten Geräuschen, von Mäusen etwa. Anja Plaschg und Maria Hofstätter haben auf dem alten Herd auch wirklich ihre Breie gekocht…

SF …und auch die Küche selbst eingerichtet, so wie sie es am Praktischsten fanden. So imitiert man nicht die Historie, sondern erkennt eine Notwendigkeit und macht dann deshalb das Gleiche wie die Leute früher. Wie etwa, wenn Anja sich als Agnes den brennenden Holzspan in den Mund steckt, um beim Kochen im Finsteren etwas sehen zu können. Bei frühen Testscreenings ist uns manchmal entgegen geschlagen, dass man fast das Gefühl hat, es sei am Anfang ein Dokumentarfilm. Das ist auch ein schönes Kompliment dahingehend, dass man echte Menschen bei echten Arbeitsprozessen sieht.


ANJA PLASCHG STEHT ALS AGNES GANZ IM ZENTRUM VON DES TEUFELS BAD. ES IST EINE ROLLE, DIE JEDER AUSGEBILDETEN SCHAUSPIELERIN ALLES ABVERLANGEN WÜRDE. WAS HAT EUCH VON ANJA ÜBERZEUGT?

SF Wir hatten über Jahre eine andere großartige Schauspielerin für den Film vorgesehen, mit der wir auch schon geprobt und Dialoge improvisiert haben, mit der man aus terminlichen Gründen am Ende nicht zusammenkam. Das war natürlich niederschmetternd. Und dann war da Anja. Wir hatten sie für die Filmmusik angefragt, und sie hat sehr intensiv auf das Drehbuch reagiert. Also haben wir sie gefragt, ob wir sie casten dürfen. Anja hat sich dabei sofort als Supertalent herausgestellt. Sie hat auch viele Ideen eingebracht: Die Figur der Agnes hat ja auch eine künstlerische Seele. Sie ist musikalisch, singt gerne, hört Musik, wo andere nur Geräusche wahrnehmen. Heute wäre Agnes vielleicht, wie Anja Plaschg, eine gefeierte Künstlerin.

VF Wir wussten natürlich, dass Anja keine klassisch ausgebildete Schauspielerin ist und wollten einfach mit ihr auf diese Reise gehen und sehen, wo sie uns hinführt. Anja war und ist ein großes Geschenk für uns, weil sie einerseits enorme Disziplin hat, gleichzeitig aber auch das Talent, sich emotional öffnen zu können. Man sagt ja oft, dass sich Schauspieler:innen in die Hände von Regisseur:innen begeben. Ich hatte eher das Gefühl, dass ich mich Anja anvertraue. Wahrscheinlich war es ein gegenseitiges Halten und Stützen und Umarmen.


DAVID SCHEID UND MARIA HOFSTÄTTER SIND IN DEN BEIDEN ANDEREN WESENTLICHEN ROLLEN DES FILMS ZU SEHEN.

SF Bei David Scheid dachten wir uns anfangs ehrlich gesagt, dass er als Kabarettist und Niederösterreicher womöglich nicht gut für die Rolle des oberösterreichischen Wolf passt. Beim Casting hat sich dann herausgestellt, dass er großes Talent für Dialekte hat und dass er nach der TV-Serie DAVE auch nach einer ernsthaften Rolle sucht. Überzeugt hat uns neben seiner Improvisationskunst auch seine Sensibilität. David merkt, wann er anderen Schauspieler:innen Raum lassen muss, und das hat das Ganze zum Blühen gebracht. VF Maria Hofstätter ist ja in einer sehr religiösen, oberösterreichischen Bauernfamilie aufgewachsen und war von Anfang an insgesamt eine große inhaltliche Stütze. Wir verdanken ihr nicht nur bäuerliche Essensrezepte von früher, sondern zum Beispiel auch die Idee zur Szene des Steineklaubens vom Acker, das sie als Kind oft selbst machen musste. Maria hat uns mitgegeben, dass das Wichtigste im bäuerlichen Alltag das Pragmatische ist: Alles musste nützlich sein und effizient. Man sollte sie einfach in jedem Film dabei haben: Sie sieht nicht ihre eigene Karriere, sondern immer den ganzen Film. Das ist sehr uneitel und selten bei Schauspieler:innen.


FALLSTRICKE LIEGEN IM BESONDEREN IM GENRE DES HISTORISCHEN FILMS AUCH IN DER BILDGESTALTUNG. WAS WAR EUCH BEI DER UMSETZUNG VON AGNES’ GESCHICHTE BESONDERS WICHTIG?

VF Was das Licht betrifft, so hatten wir dramaturgisch vorgesehen, dass die Hochzeit noch im Sonnenschein liegen sollte, im „Goldenen Herbst“, und ab da sollte es immer finsterer, düsterer und nebliger werden. SF Wir wollten insgesamt einen sehr dunklen Film machen, was beim Drehen auf 35mm nicht ganz einfach ist. Man sieht das, was man aufgenommen hat, erst Tage später, wenn es aus dem Kopierwerk zurückkommt. Das ist natürlich ein höheres Risiko. Aber Martin Gschlacht ist ein Vollprofi, und wir hatten das Gefühl, wenn wir ihn vor unlösbare Aufgaben stellen, ist er am Besten, dann macht er etwas Besonderes.

VF Es gibt ein berühmtes Selbstporträt von Rembrandt, in dem sein halbes Gesicht im Schatten liegt, das ich Martin Gschlacht mal geschickt habe als Referenz. Es gibt jetzt ein Bild im Film, in dem Agnes auf dem Bett liegt, in dem Martin das wieder aufgreift. Grundsätzlich bereiten wir alles immer sehr genau vor, machen eine detaillierte Auflösung. Doch dann, beim Dreh, ist es wieder ein gebündelter, intuitiver Akt. Man sammelt im Vorfeld alles zusammen, alles ist im kreativen Fluss. Und dann springt man gemeinsam in den Wasserfall.


DES TEUFELS BAD NIMMT EINE AUSSERGEWÖHNLICHE STELLUNG IN EUREM SCHAFFEN EIN, DA ER WOHL GENRE-ELEMENTE AUFWEIST, IM GEGENSATZ ZU „ICH SEH ICH SEH“ UND „THE LODGE“ ABER KEIN HORRORFILM IST. ENTWICKELT IHR EUCH ALS REGIE-DUO WEG VOM KLASSISCHEN GENREKINO?

SF Wir fragen uns eigentlich nie, in welche Schublade ein Film gesteckt werden wird, wenn er mal fertig ist. Insofern steckt kein größerer Karriereplan dahinter. Der einzige Plan ist es, das Thema des Films und seine Figuren ernst zu nehmen. Wir arbeiten ja nicht nach vorgegebenen Rezepten. Und ja, wir haben uns am Anfang schon überlegt, ob wir daraus einen Gerichtsthriller oder einen Horrorfilm machen wollen… aber es hat sich dann einfach nicht richtig angefühlt.


THEORETISCH SOLLTE SICH AUCH DAS PUBLIKUM DER KÜNSTLICHKEIT UND GEMACHTHEIT EINES FILMS BEWUSST SEIN, DENNOCH WERDEN VIELE MIT TRIGGER WARNINGS VERSEHEN, NICHT ZULETZT WENN ES UM DARSTELLUNGEN VON SELBSTMORD GEHT. WIE STEHT IHR DAZU?

SF
Wir haben versucht, die Geschichte von Agnes so ehrlich wie möglich zu erzählen, weil wir glauben, dass sie sowohl historische als auch gesellschaftliche Relevanz hat und sie zu Menschen auf einer emotionalen Ebene spricht. Ob man Trigger Warnings anbringt oder Notrufnummern für suizidgefährdete Personen anführt, das ist denen zu überantworten, die den Film herausbringen. Wir wären nicht auf die Idee gekommen, das Thema anders zu verhandeln, weil manche Menschen sensibel darauf reagieren könnten.

VF Ich denke, echte Hilfe kann immer nur durch Auseinandersetzung mit dem Thema entstehen. Man muss darüber sprechen. Insofern finde ich, dass der Film einen Beitrag zu leisten versucht und daher nicht davor gewarnt werden sollte. Kunst hat die Aufgabe, uns zu konfrontieren, uns auch widerzuspiegeln, damit wir uns auseinandersetzen, mit der Welt und mit uns selbst. Agnes ist als Figur ja auch so spannend, weil sie zugleich Opfer und Täterin ist. Ich bin schon sehr neugierig, wie die Menschen darauf reagieren.

Foto:
©Verleih

Info:
von Veronika Franz & Severin Fiala
Österreich / Deutschland 2024Deutsch, Untertitel: Englisch121'Farbe

Stab
Regie
Veronika Franz, Severin Fiala
Buch Veronika Franz, Severin Fiala
Kamera
Martin Gschlacht

Besetzung
Anja Plaschg (Agnes)
David Scheid (Wolf)
Maria Hofstätter (Schwiegermutter Gänglin)

Abdruck aus dem Presseheft