nilchPremieren in Frankfurt 1/2: MILCHZÄHNE;  gleichzeitig Teil 13 der am 21. November anlaufenden Filme

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – In einer Woche gleich zwei Premieren in Frankfurt, eine sogar eine Welturaufführung, da mausert sich Frankfurt also zur Filmstadt. Wird auch Zeit und ist absolut angemessen. So wunderte einen auch nicht, daß die Regisseurin des einen und der Regisseur des anderen Films jeweils besonderen Dank an die HessenFilm äußerten. Schließlich ist die öffentliche Förderung von Landesanstalten, von Rundfunkhäusern, von anderen Vereinigungen meist die einzige Chance, die Filmemachern, vor allem jungen Filmemacherinnen bleibt, ihre Ideen, ihre Konzeption, ihr Drehbuch für einen Film auch in Dreharbeiten umsetzen zu können. 


regisseurin milchWie lange sie schon mit MILCHZÄHNE beschäftigt sei, konnte die Regisseurin Sophia Bösch (Foto links, leider sehr dunkel im Kino) , die am Drehbuch mitschrieb, das nun wiederum auf einen Roman von Helene Bukowski zurückgeht, eindrucksvoll ausführen: viele Jahre. Deutlich wurde, daß sie mit ihrem Film keine Deutung des Romans vornimmt, keine Deutung des Gehalts, denn das Geschehen, das sie auf die Leinwand bringt, stellt einem viele Fragen, von denen man annimmt, der Roman könne sie einem beantworten und im Geist schon sofort den Roman bestellen und lesen will. Doch antworten die Regisseurin und auch die anwesende Darstellerin der zur Trunksucht neigenden Tochter des Dorfchefs, Lola Dockhorn, daß der Roman ebenfalls keine Erkärung, keine Erläuterung zur vorgefunden abgeschlossenen Gemeinschaft bringe, sondern diese nur beschreibe. Und genau dies tut der Film auch.


Einer der Produzenten war mitgekommen und stellte die erste Frage, wie das gewesen sei, ob sie auf das Buch gekommen oder das Buch zu ihr gekommen sei. Letzteres sei gewesen, antwortete sie, das sei auf einmal eine Option für einen Film gewesen, weshalb sie die Rechte an der Verfilmung erworben habe. Sehr großzügig sei die Autorin gewesen und ihr auch filmische Freiheiten gelassen, wenn sie diese brauchte.


milch3Dabei habe sie gegen grundlegende Regeln im Filmgeschäft verstoßen: Niemals mit Kindern, niemals mit Tieren, niemals mit Waffen. In ihrem Film spielen alle drei gleichzeitig eine große Rolle. Darum wurde sie von Filmkennern sofort als naiv eingeschätzt. Was die Kinder angeht, gibt es strenge Bestimmungen, Kinder werden geschützt, sie sollen nicht mehr als 5 Stunden täglich am Set dabei sein und nicht mehr als drei Stunden arbeiten, also drehen. Und nicht nur das. Ein Jahr habe sie nach der Hauptdarstellerin gesucht und erst, als sie Mathilde Bundschuh traf, sofort gewußt: das ist sie! Insgesamt habe sie sieben Jahre für die gesamte Planung und Durchführung des Films gebraucht!


Eine immer wieder angesprochene Frage waren die Drehorte, die, man hört es mit Staunen, in vier Bundesländern liegen. Im Film sieht das völlig harmonisch, also einheitlich  aus, was als wilder Wald, hübsches Försterhaus mitten im Wald, Seegebiet, wie wir dachten, was aber ein wilder breiter reißender Strom ist oder so was wie Hochgebirge rüberkommt. Auch war es ein so heißer Sommer, daß vieles anders kam, als geplant. Sechs Wochen ohne Regen ließ alles verdorren, auch da, wo eigentlich Feuchtigkeit im Wald hätte sein sollen. Andererseits sei es deshalb aber auch so angenehm gewesen, in der Natur zu drehen, fügte die Darstellerin hinzu. Längst als die Filmcrew am Walddrehort wieder weg war, blieb der Regen weiterhin aus. Was im Film als Wald zu sehen ist, existiere heute gar nicht mehr. Sei abgestorbene fläche.


Nach dem Schluß richten sich die Fragen der Zuschauerinnen an die Regisseurin, denn nachdem das Geschehen, wie in der Filmrezension wiedergegeben, von Skalde reflektiert wird, weiß diese, daß sie in dieser Gemeinschaft von Ängstlichen, Abergläubischen, im Hirn und der Seele Eingeengten nichts verloren hat. Zudem ist ihre Mutter gestorben, weshalb sie das versteckte Boot nutzt und mit dem Kind über den Fluß in die andere, die offene Welt gleitet. Doch da sieht man noch jemanden schwimmen. Wen? Und um was geht es insgesamt? Das soll der Zuschauer selbst interpretieren, ist die eindeutige Haltung der Regisseurin. 


milch1Die Regisseurinm, die 2011 mit Kurzspielfilmen anfing und hier ihren ersten langen Kinospielfilm vorlegt, hat eine interessante Biographie, da sie in der Schweiz aufwuchs, wo ein Elternteil zu Hause ist, das andere in Schweden, wo sie auch lebte, aber eben auch in Berlin, so daß man sie als deutsch-schweizerisch-schwedisch bezeichnen kann.


Die Frage nach Zusammenhängen mit dem Film DIE WAND (20212) , die ebenfalls eine Literaturverfilmung ist und wodurch Marlene Haushofer, eine Hausfrau aus Oberösterreich, die längst gestorben ist, erstmals zu Recht als Autorin bekannt wurde, spielt Martina Gedeck diese Frau, vor der sich im Wald plötzlich eine Wand aus Glas auftut, die sie nicht durchschreiten kann. Man hat beim Zuschauen des neuen Films im dichten Wald dieselben Gefühle wie bei DIE WAND, eine gewisse  Klaustrophobie angesichts der Abgeschlossenheit der Einzelperson/der Gruppe, vor allem aber der Rolle, die in beiden Filmen die Natur übernimmt: sie wird vom Objekt, wie wir Menschen sie in der Regel begreifen, zum Subjekt, zum Mitspieler in dieser Welt.


Das ist unheimlich. Und unheimlich bleibt deshalb auch MILCHZÄHNE! Aber dies ist eben kein Horrorfilm, sondern eine Dystopie, was einfach etwas anderes ist. Sehr interessant auf jeden Fall dieser Film und die Diskussion am letzten Donnerstag im Frankfurter Kinokmplex METROPOLIS.

Im Presseheft kann ich dann nachlesen, was die Regisseurin dort als ihren Regiekommentar abdruckt: 
"Aufgewachsen in einem Umfeld, das ihre Mutter verachtet, hat Skalde gelernt, dass sie nur dazugehören kann, wenn sie nicht so ist wie ihre Mutter. Sie hat sich an die Regeln und Werte der Gemeinschaft angepasst. Erst als sie ein fremdes Kind vor den Gesetzen retten will, denen sie selbst sich zuvor unterworfen hat, wird ihr klar, wovor ihre Mutter sie zu schützen versucht hat. „Milchzähne“ erzählt von Müttern und Töchtern, von der Angst vor dem Fremden, und von der Sehnsucht nach Zugehörigkeit."

Fotos:
©Redaktion


Info:
Stab
Regie: Sophia Bösch
Buch: Sophia Bösch, Roman Gielke
Darstellerinnen:
Mathilde Bundschuh
Susanne Wolff
Ulrich Matthes
Viola Hinz
Karin Neuhäuser
Lola Dockhorn u.a.