Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Aus dem römischen Schuldschungel kann sich der langjährige, darum ältliche Grundschullehrer Michele Cortese (Antonio Albanese) in die Einsamkeit der Abruzzen retten. So kommt es ihm vor, als er in seinem nicht wintertauglichen Auto im frühen Winter zum Dorf Rupe in den Abruzzen fährt. Er kommt nicht an. So beginnt es. Denn die gebrauchten Winterreifen, die ihm sein römischer Schulleiter für 90 Euro andrehte, taugen nichts, er rotiert im Schnee und läßt darum das Auto einfach stehen, was auch möglich wird, da ihm die Stellvertretende Schulleiterin Agnese (Virginia Raffaele) mit ihrem Auto entgegenkommt, um ihn abzuholen.
Das kennt sie schon, diese Typen aus der Großstadt, die vom herben Landleben nichts wissen und sich ahnungslos auf die Vertretungsstelle bewerben und dann noch nicht mal den Weg hochkommen.Perplex betrachtet Michele die hübsche und resolute Kollegin, die nicht lange fackelt, sondern Hand anlegt. Tolle Person, gute Rolle, perfekte Darstellung, den privat hat Hübsche mit ihrem Mann einen Latin Lover am Bandel, der dauernd seine Affären hat, was ihr über ist. Und wie!
Endlich eine einheimische Grundschullehrerin, (für die Rolle mußte die Schauspielerin erst den dortige Dialekt erlernen), die mehr weiß, mehr Erfahrung hat, ihre Arbeit kennt und das heißt, die Schülerinnen und Schüler wirklich zu fordern und dadurch zu fördern und die den Ton angibt in dieser „anderen Welt“, die sie dem Neuankömmling begreiflich zu machen versucht. Dazu gehört in erster Linie, daß der Neue seine im Schnee albernen Mokassins gegen echte Schneeschuhe austauscht und seine ausgeleierte schwärzliche baumwollene Lehrerkluft gegen feste Hosen und dicke Pullover sowie eine dicke Jacke und vor allem eine Strickmütze eintauscht, die sein doch fast kahles Haupt bedeckt.
Sagen wir es gleich. Dieser Film funktioniert, weil er zwei Grundregeln von Filmen beherzigt: Er zeigt einerseits genau das, was wir erwarten und dann zwischendurch gerade solches, was wir nicht erwarten. Und beide Male kann so etwas zum Lachen animieren und gelacht wird kräftig in diesem Film, dem man also genauso gut 08/15 vorwerfen wie Eigenständigkeit und Phantasie loben kann. Hervorragend die Darsteller, die beiden Hauptfiguren sind professionelle Schauspieler, vor allem er äußerst bekannt und beliebt. Es gibt noch einige professionelle Schauspieler, aber die überwiegende Masse der Einheimischen wird von Einheimischen gespielt, aber nicht direkt, da wäre eine echte Bäckerin eben nicht die Bäckerin im Film, sondern vielleicht die Mutter eines angeblich behinderten Kindes. Oder, ein wirklich gutes Beispiel, eine Sozialarbeiterin spielt die entscheidende Verwaltungsbeamtin der Schulaufsicht, die über Wohl und Wehe der Schule entscheidet.
Aber da sind wir unserer Zeit voraus, denn erst einmal läßt sich der Film mit Ruhe auf den Unterricht und auf die so verschiedenen Schüler und Schülerinnen ein, die für den Kollegen aus Rom von einem Liebreiz, einer Geduld und einer Aufmerksamkeit für den Lehrstoff und den Lehrer sind, die Cortese völlig neu sind. Und ihn begeistern, wo doch die Schüler im Wechselgesang über den Hirtenpoeten, der ihrer Schule den Namen gab, berichten können und seine Gedichte aufsagen, wo die Schüler und Eltern seiner Schule in Rom deren Namensgeber Alberto Moravia (1907-1990) in der Regel nicht einmal kannten. Welche Kulturschande!
Immer wieder knallen die Einschätzungen von Cortese auf eine andere Wirklichkeit und grundsätzlich lernt er, daß die Kinder mehr wissen als er selber, wenn es um das Leben und Überleben im einsamen Dorf geht. Das sind lustige Szenen, die, wie gesagt, entweder funktionieren, weil man das Sujet kennt oder gerade aus dem anderen Grund, daß man nämlich etwas erwartet hatte, was nicht eintritt. Oft sogar das Gegenteil.
Und jetzt kommt es absehbar zum Schulkampf. Die Schulerzahlen allein sind die Gewähr für Schulen: ob sie erhalten bleiben oder Schulen schließen müssen. Und da im folgenden Schuljahr vier Kinder die Grundschule verlassen und keiner nachrückt, ist die Rechnung einfach: Die Schule muß geschlossen werden.
Dem Direktor der Schule im größeren Nachbarort ist das sowieso recht, er ist der offizielle Schulleiter dieser kleinen Schule und kann zukünftig deren Schüler bei sich verbuchen , was den Verbleib seiner Schule absichert. Er wird massiv und auch nicht witzlos alle Bestrebungen, die Grundschule in Rupe zu erhalten,was jetzt Thema des Films wird, torpedieren.
Nachdem erst einmal tiefste Melancholie herrscht und die Eltern nichts unternehmen, weil sie hoffen, daß ihre Kinder aus Rupe wegziehen und eine bequemere Zukunft haben als sie selber, geht durch die beiden Grundschullehrer ein Ruck und sie werdenin einem Maße kreativ, so daß am Schluß die vier nötigen Schüler vorhanden sind. Mittel dazu sind Abwerbungen von einem nordafrikanischem Kind und seiner Familie und von drei ukrainischen Kindern, die mit ihren Elten nach Rupe zugeordnet werden, nachdem das Paar Agnese und Michele dafür sorgten. Ach so, und dann fehlt doch noch einer, weil eine der Familien einfach abgehauen war. Alles für die Katz?!! Doch dann - Idee von Michele und Agnese - wird einem der Schüler von der Tierärztin attestiert, leicht zurückgeblieben zu sein, was Sonderbedarf und einen eigenen Lehrer bedeutet. Die Schule ist gerettet, für dieses Schuljahr zumindest.
Bleibt das Private. Schon mit dem ersten Auftauchen der attraktiven Agnese beim auf der verschneiten Straße liegengebliebenen Cortese, weiß man, daß diese am Schluß ein Paar werden. Weil das bei Komödien, auch bei Tragikomödien einfach so ist. Und es bleibt ja trotzdem spannend, wie das geschieht. Aber da unterläuft dem Drehbuchschreiber und Regisseur meiner Meinung nach eine Fehleinschätzung. Er läßt nach dem Ende des Schuljahrs und dem Beginn der Ferien den Lehrer seelenruhig, ja sogar zufrieden, ohne jeglichen Protest nach Rom zurückfahren. Wir sind dabei, wenn er abhaut und mit zunehmendem Vergnügen über das frühlingshafte, dann sommerliche Gebirge schaut, die Sonne, die Tiere, die Wiesen, die Blumen, seine Zufriedenheit, daß die aufgelassene Turnhalle renoviert wird, die Sportplätze auch, alles geht voran. Dann sehen wir ihn im Auto halten, umkehren, zurückfahren in die Arme von Agnese, was nicht nur eine zu dick aufgetragene Schlußharmonie erzeugt, wo wir doch alle wußten, daß es so ausgeht, sondern auch so tut, als sei nur die Gegend das Movens, was ihn so plötzlich zum Umkehren und Bleibenwollen bestimmt.
Nein, Herr Drehbuchschreiber, wir hätten die Variante vorgezogen, daß ihm völlig klar ist, daß er hierbleiben will, im Dorf und bei seiner Liebsten, daß aber beispielsweise die Schulverwaltung ihm einen Strich durch die Rechnung macht und er und Agnese nun irgendwas unternehmen müssen, daß er bleibt, was auf jeden Fall gelingt. So hätte es uns besser gefallen und wäre auch nicht so dicht am Kitsch geblieben.
Fotos:
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Info:
13. Februar 2025 Im Kino | 1 Std. 53 Min. | Tragikomödie
Regie: Riccardo Milani |
Drehbuch: Riccardo Milani
Besetzung: Antonio Albanese, Virginia Raffaele, Elisa di Eusanio
Originaltitel: Io sono in un mondo a parte