4Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. November 2024, Teil 3

Redaktion 

Paris (Weltexpresso) - Wer ist Emilia Pérez?

Mit Emilia Pérez ist es ein bisschen so, als wären die Schöne und das Biest in denselben Körper eingesperrt. Zu Beginn des Films ist sie Manitas, eine Frau, die in einem Leben gefangen ist, in das sie nicht gehört, die aber an einem Punkt in ihrem Leben angelangt ist, an dem sie die Möglichkeit hat, dieses Leben hinter sich zu lassen – ein Leben, von dem sie nichts mehr wissen will. Manitas ist in einer Welt aufgewachsen, in der die Eltern ihre Söhne lieber als Verbrecher bezeichnen würden als als „Schwuchteln“. Er ist also in beiderlei Hinsicht gefangen – in der Kriminalität und in einer Männlichkeit, mit der er nichts anfangen kann.


Also beschließt er, alles hinter sich zu lassen, um er selbst zu werden...

Ja, das ist die Geschichte der Menschheit – wir müssen immer etwas aufgeben, um etwas anderes zu gewinnen. Aber es ist seine letzte Chance, und er beschließt, ein für alle Mal aufzugeben, obwohl er seine Entscheidung im Laufe des Films überdenkt und versucht, das zu behalten, was ihm am wichtigsten ist – seine Kinder.


Waren Sie mit dem Werk von Jacques Audiard vertraut, bevor Sie anfi ngen, mit ihm zu arbeiten?

Kaum – und ich wollte mir auch keinen seiner früheren Filme ansehen. Sein Film WO IN PARIS DIE SONNE AUFGEHT (2022) kam heraus, als wir bereits mit der Arbeit an EMILIA PÉREZ begonnen hatten, und ich beschloss, ihn nicht zu sehen. Ich wollte mich in keiner Weise beeinfl ussen lassen. Ich mag die Freiheit zu sehr. Ihn als Gott oder Genie zu sehen, hätte meine Arbeit behindert – und stattdessen entwickelte ich keine freundschaftliche, sondern eine familiäre Beziehung. Eines der ersten Dinge, die ich ihn fragte, als wir uns trafen, war: „Wie werden wir kommunizieren?“ Er gab mir eine sehr schöne Antwort: „Telepathisch!“ Und es stimmte – es funktionierte! Er ist der beste Schauspielregisseur der Welt, und ich liebe ihn so sehr. Wir haben eine gemeinsame Leidenschaft für die Kunst.


Haben Sie das Gefühl, dass Jacques Audiard die Komplexität Mexikos eingefangen hat – ein Land, das Sie sehr gut kennen, weil Sie einen Teil Ihrer Karriere dort aufgebaut haben?

Ich finde schon. Was er vor allem verstanden hat, ist, wie sehr Frauen die Macht haben, die Welt zu verändern, und das ist der Kern des Films. Mexiko ist ein Land, das einen in seinen Bann zieht – man sieht Dinge, die wirklich hart, aber auch schön sind. Die Menschen haben etwas Sanftes und Warmes an sich, und es ist ein Land, in dem ich wirklich glückliche Momente erlebt habe und tiefe, herzliche Beziehungen zu sehr lieben Freunden aufgebaut habe.


Als Sie das Drehbuch gelesen haben, fühlten Sie sich sowohl als Frau als auch als Transfrau verstanden?

Auf jeden Fall. Jacques hat lange über dieses Projekt nachgedacht – er hat lange über diese Fragen nachgedacht. Er hat sich von den wirklich üblichen Fallstricken ferngehalten, einschließlich der Pronomenfehler.


Wie herausfordernd war es, die Szenen von Manitas emotional und technisch darzustellen?

In der Regel spiele ich gerne Figuren, die so weit wie möglich von mir entfernt sind – und Manitas hat nichts mit mir zu tun. Aber natürlich spiegelten sich Dinge in mir wider, insbesondere sein tiefer Wunsch nach Veränderung und seine Liebe zu seinen Kindern. Ich liebe ihn, weil er frei ist, während Emilia eher unterwürfi g ist. Was auch immer die Leute sagen mögen, die gesellschaftlichen Normen setzen die Frauen unter Druck, obwohl diese innerlich freier sind – und während der Produktion war es viel schwieriger, Emilia darzustellen. Ich musste ein Korsett tragen, das mich in meinen Bewegungen einschränkte, eine Perücke, die meinen Kopf fest umschloss, und hohe Absätze. Bei Manitas konnte ich mich nach dem Schminken und dem Anbringen der Prothesen im Gesicht frei bewegen, wie ich wollte.


Wie haben Sie an Ihrer Stimme gearbeitet, um die sehr tiefe Stimme von Manitas und die von Emilia, die viel höher ist, zu erreichen?

Meine eigene Stimme liegt auf halbem Weg zwischen der von Manitas und der von Emilia, aber ich synchronisiere leidenschaftlich gerne. Auch im richtigen Leben macht es mir immer wieder Spaß, Stimmen für Leute zu erfi nden. Für Manitas habe ich an John Rambo gedacht, den ich als Kind mit meinem Bruder im Fernsehen gesehen habe. Für Emilia, die einen leichteren Tonfall hat, um ihre Sanftheit zu betonen, habe ich mich von der Stimme der britischen Sängerin Samantha Fox inspirieren lassen.


Wie sind Sie an die Gesangspartien herangegangen?

Ich habe Jacques und dem Rest der Crew sofort gesagt, dass ich weder eine Sängerin noch eine Tänzerin bin. Zum Glück bin ich eine harte Arbeiterin, und wir hatten viel Zeit für die Vorbereitung – mehr als ein Jahr vor den Dreharbeiten. Mit dem Choreografen Damien Jalet haben wir uns auf Manitas‘ und Emilias Handbewegungen konzentriert. Mit den Komponisten Camille und Clément war es eine Herausforderung, besonders für Emilias Lieder, die in einer hohen Tessitura liegen. Aber Jacques ist klug genug, sich auf die Fähigkeiten und Grenzen jedes Einzelnen einzulassen.


Wie war es, mit Zoe Saldaña und Selena Gomez zu arbeiten?

Wenn man mir vor zwanzig Jahren gesagt hätte, dass ich in einem Film von Jacques Audiard neben Zoe Saldaña und Selena Gomez spielen würde, hätte ich das nie geglaubt! Mein Trick, um mich von der Situation nicht einschüchtern zu lassen, ist, sie als Schwestern und als ihre Figuren zu betrachten. Ich muss wie eine Verrückte ausgesehen haben, denn ich war so in den Film vertieft, dass manchmal die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwamm – als ich Selenas Szenen mit Édgar Ramirez sah, der ihren Liebhaber spielt, konnte ich Emilias Eifersucht spüren.


Welche Szenen waren am schwierigsten zu spielen?

Die Krankenhausszene, als Emilia nach ihrer Operation aufwacht, war eine der ersten Szenen, die wir gedreht haben, und sie war emotional sehr herausfordernd. Und dann die Szene mit Emilia und ihrem Sohn im Kinderzimmer, in der mir plötzlich klar wurde, wie tief die Rolle war. Als ich mich hinlegte und die Lichter an der Decke beobachtete, wusste ich, dass ich am Ende der Dreharbeiten eine Art Exorzismus brauchen würde, denn was ich erlebte, war wirklich intensiv. Ich bin eine Mutter und war früher ein Vater. Für mich war dieser Aspekt des Films emotional sehr intensiv, aber auch leichter zu begreifen.

Foto:
©Verleih

Info:
Stab
Regie und Drehbuch.   Jacques Audiard 
Originalmusik und Songs.    Clément Ducol,  Camille 
Choreographie.    Damien Jalet
Kamera      Paul Guilhaume, AFC

Darsteller
Rita.  Zoe Saldaña
Emilia.    Karla Sofía Gascón
Jessi.      Selena Gomez
Epifania.     Adriana Paz
Gustavo Brun      Édgar Ramirez

Frankreich 2024, ca. 130 Minuten