toni4Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. Dezember 2024, Teil 11

Karin Schiefer

Wien (Weltexpresso) - “Auch das Alter ist ein Lebensabschnitt, der gestaltet werden soll.” Helene, eine der beiden Hauptfiguren, eine betagte, ehemals sehr erfolgreiche Schauspielerin, sagt an einer Stelle: Als ich über 80 war, wurde ich nur noch als „dement“, „alt und krank“ oder „alt und sterbend“ besetzt. War der Wunsch, eine schöne und reizvolle Rolle für eine Schauspielerin im hohen Alter zu schreiben, eines der Motive für das Drehbuch von TONI UND HELENE?

Sabine Hiebler (SH): Christine Ostermayer hat schon in unserem Film Anfang 80 eine Hauptrolle
gespielt. Mit ihr noch einmal zu arbeiten, war schon sehr bald unser Wunsch und als wir dann die Idee hatten, eine Art Thelma & Louise-Geschichte für zwei ältere Frauen zu schreiben, haben wir sie sofort gefragt, ob sie mitspielen würde. Wir freuen uns sehr, dass sie zugestimmt hat und auch, dass es jetzt mit der Finanzierung des Projekts rasch geklappt hat.



Ihr Film Anfang 80, die Geschichte einer Liebe im Alter mit Christine Ostermayer und Karl Merkatz, war 2011 ein großer Erfolg an den Kinokassen. Welche Gedanken und Erfahrungen haben Sie aus diesem Film ins neue Projekt mitgenommen?

Gerhard Ertl (GE): Wir haben enormes Feedback auf Anfang 80 bekommen und uns wurde bewusst,
dass die Auseinandersetzung mit Alter, Alterdiskriminierung, dem Umgang mit dem letzten
Lebensabschnitt im Kino für uns noch nicht auserzählt ist.

SH: Die Rückmeldungen haben uns gezeigt, wie sehr der Film, sowohl im familiären als auch im
institutionellen Bereich, Vielen als Gesprächsbasis gedient hat, zum Beispiel als Diskussionsansatz mit Großeltern, aber auch im professionellen Pflegebereich. Viele wählen diesen Beruf ja, um sozial tätig zu sein und müssen dann erleben, wie das System kaputtgespart wird. Umso mehr stellt sich die Frage, wie man das Bewusstsein und die Sensibilität für die Bedeutung dieses Bereichs bei Menschen stärken kann, die selbst noch nicht in diesem Alter angekommen sind.



War in Anfang 80 Liebe im Alter das zentrale Thema, so schrauben Sie nun inhaltlich die Geschichte
bis zur letzten, zur endgültigen Frage weiter. Wie lässt sich das Kernthema von 80 PLUS auf den Punkt bringen?

GE: Vor dem Hintergrund der Themen Sterbehilfe und Altersdiskriminierung handelt TONI UND
HELENE in erster Linie von Freundschaft und es ist uns sehr wichtig, diesen Inhalten auch mit Humor
zu begegnen.

SH: Unserem Genre, dem Roadmovie, geschuldet, gehen damit die Aspekte Freiheit und
Selbstbestimmung einher. Das sind große Themen, die im Alter sehr schwer zu bewältigen, aber aus
unserem Alltag nicht wegzudenken sind. Jede*r von uns ist auf der einen oder anderen Seite mit diesen Fragestellungen konfrontiert. Jede*r möchte ein möglichst hohes Maß an Selbstbestimmtheit leben, es auch seinen alten Familienmitgliedern zugestehen, oft bleibt aber keine andere Möglichkeit, als bevormmundende Schritte zu setzen. Es ist sehr schwer abzuwägen, wann eine Maßnahme zum Schutz der älteren Person geschieht und wann dies bereits eine Bevormundung darstellt. In TONI UND HELENE geht es um die Selbstbestimmung bis hin zur letzten Entscheidung, nämlich der Inanspruchnahme von Sterbehilfe und dem familiären Konflikt, den dieser Schritt auslösen kann. Das Thema wird in Österreich sehr kontrovers gesehen. Es sind inzwischen zwar gesetzliche Schritte gesetzt, de facto ist Sterbehilfe hierzulande aber nur sehr schwer in Anspruch zu nehmen. Die Schweiz hat in dieser Hinsicht eine längere Tradition und einen anderen gesellschaftlichen Umgang damit.

GE: Sterbehilfe bleibt ein brisantes Thema. Wer darf sich anmaßen, über Leben und Tod, über ein selbstbestimmtes Lebensende zu entscheiden? Es stehen auch institutionelle und wirtschaftliche Interessen dahinter: Das System der Altenversorgung ist nicht daran interessiert, dass Menschen eigenständig darüber entscheiden, ihrem Leben vorzeitig ein Ende zu setzen. Pflege ist auch ein hochkommerzieller Faktor. Pflegebetten wollen ausgelastet sein. Auch diesen heiklen Punkt wollen wir mit unserem Film einmal berühren und vor Augen führen, wie die Gesellschaft mit dem Sterben und einem selbstbestimmten Lebensende umgeht.



Ist dem Drehbuch eine eingehende Recherche in diesem Bereich vorangegangen?
SH: Selbstverständlich, und man trifft bei vielen, in der Pflege tätigen Menschen, auf ambivalente
Positionen und Bedenken – nämlich, dass Angehörige drängen könnten oder betroffene alte Menschen sich bedrängt fühlen, weil sie niemandem zur Last zu fallen wollen, sei es aufgrund der hohen Kosten oder aufgrund des Betreuungsbedarfs. Ich betrachte diese Frage – natürlich aus der bequemen Position heraus, weder Gesetze noch medizinische Vorkehrungen schaffen zu müssen – ähnlich wie die Fristenlösung: Es sollten die Voraussetzungen für eine Wahlmöglichkeit geschaffen und diese für alle zugänglich gemacht werden. In Österreich ist es aktuell so, dass die gesetzlichen Rahmenbedingen zwar geschaffen sind, in der Praxis findet man jedoch kaum Ärzte, noch ist für eine kranke, pflegebedürftige Person der Behörden-Parcours zu bewältigen. Auch in der Schweiz ist der Schritt zur Sterbehilfe einer, der sich nicht leichtfertig machen lässt, auch wenn man gerne etwas hemdsärmelig von „Sterbetourismus“ spricht. Niemand, der diesen Schritt plant, kann das spontan entscheiden. Niemand, der diesen Schritt in Erwägung zieht, macht das ohne massive Gründe.

GE: Aktuelle Erfahrungsberichte bezeugen einen sehr mühsamen Hürdenlauf, um diesen letzten Akt
auch praktisch umzusetzen. Es herrscht starker Gegenwind seitens der Palliativmedizin, seitens der
katholischen Kirche und, wie bereits erwähnt, auch seitens der Behörden. Dieser ganze Instanzenlauf
ist noch immer kaum bewältigbar.

SH: Was uns allerdings schon bei der Arbeit an Anfang 80 überrascht hat und was sich in diesen letzten zehn Jahren nochmals verstärkt hat, ist die hohe Befürwortung seitens der Bevölkerung.