Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. Dezember 2024, Teil 12
Karin Schiefer
Wien (Weltexpresso) - TONI UND HELENE wird von zwei weiblichen Hauptfiguren getragen: Helene – einiges über 80, dargestellt von Christine Ostermayer sowie die etwas jüngere Toni, dargestellt von Margarethe Tiesel. Es handelt sich um ein sehr ungleiches Gespann. Wie lässt es sich charakterisieren?
SH: Frauen jenseits der 50/60 sind sowohl in Österreich als auch international im filmischen Erzählen sehr wenig präsent – und wenn, dann meist als homogene Gruppe, die auf einem Bankerl sitzend ins
goldene Herbstlaub schaut. Allein schon deshalb war es uns sehr wichtig, zwei sehr konträre Individualistinnen zu zeichnen: Helene ist eine gealterte Film- und Fernsehdiva, die lebensüberdrüssig in einer Seniorenresidenz für betuchte Insass*innen wohnt; Toni hingegen kommt aus prekären Verhältnissen, hat zeitlebens als Pflegerin gearbeitet, allein einen Sohn großgezogen und musste aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig in Pension gehen. Sie musste sich ihr Leben lang durchkämpfen, hat sich dabei aber die Fähigkeit bewahrt, Gelegenheiten beim Schopf zu packen und sich nötigenfalls auch einmal etwas zu ermogeln oder zu ertrutzen.
GE: Gerade in ihrer Unterschiedlichkeit gelingt es beiden, ihre eingefahrenen Lebensmuster aufzubrechen. Gerade die unterschiedlichen Herkunftsmilieus eröffnen ihnen gegenseitig Wege, die weder für die eine noch für die andere alleine gangbar gewesen wären. Es braucht das kathartische Zusammentreffen dieser ungleichen Figuren.
Neben der Frage der Sterbehilfe ist ein weiteres wesentliches Thema von TONI UND HELENE die Lebensbilanz. Man ist veranlasst, von den beiden konträren Lebensgeschichten, die eine als Erfolgsgeschichte, die andere als ein eher nicht so geglücktes Leben zu betrachten. Es wird aber auch gleich klar, dass für eine Frau, egal aus welchem Milieu sie stammt, die Entscheidung für etwas, gleichzeitig den Verzicht auf etwas anderes bedeutet.
SH: Eine Karriereentscheidung ist in der Tat auch heute für Frauen noch nicht annähernd so einfach wie für Männer. Hätten wir männliche Protagonisten, dann stände es außer Frage, dass ein alternder
Star neben seiner großen Karriere auch eine Familie haben kann. Und unter Alleinerzieher*innen kenne ich in erster Linie Frauen, von denen immer noch erwartet wird, dass sie alleine zurechtkommen.
Wie ist die Entscheidung gewachsen, die Geschichte der beiden als Roadmovie zu erzählen?
GE: Das Genre Roadmovie begleitet uns schon seit dem Anfang unserer filmemacherischen Aktivitäten. Außerdem haben wir ein Faible für den amerikanischen Independent-Film. Das Roadmovie, das Genre der Freiheit und Selbstbestimmung, zieht sich durch unsere gesamte Filmarbeit, es ist einfach eine unserer großen Vorlieben. Insofern hat es sich perfekt getroffen, dass wir die Thematik, die uns bewegt hat, mit diesem Genre kombinieren können und sowohl das Thema als auch unsere Hauptfiguren on the road bringen.
Wie wichtig war es, in dieser Erzählung, in der es um die letzten Fragen geht, den Ton der Komödie dominieren zu lassen?
GE: Das war uns sehr wichtig. Wir denken, dass gerade Humor eine große Chance bietet, den letzten Lebensabschnitt aus der tabuisierten Ecke zu holen. Es wäre sinnlos, einen Film über Sterbehilfe
deprimierend zu erzählen. TONI UND HELENE soll ein sehr vitaler Film über das Sterben-Müssen werden.
SH: Ich glaube, dass es in der Gesellschaft auch eine Alters- und Sterbekultur geben sollte. Es handelt sich ja auch nur um einen Lebensabschnitt. Wie Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter, sollte auch das Alter und die letzte Lebensphase ein Abschnitt sein, der gestaltet werden soll und nicht tabuisiert und abgeschottet im kleinen Kämmerchen durchgestanden werden muss. Es war eine wesentliche Motivation für uns auch hier Lebensfreude zu vermitteln.
GE: Zumal ja jetzt auch eine ganz andere Generation ins Altersheim „eincheckt“. Die 68er-Generationen hat eine andere Vorstellung von Freiheit und Selbstbestimmung als vorherige Generationen. Es hat sich mittlerweile zwar schon einiges geändert, aber noch nicht genug.
Was hat sich konkret geändert?
SH: Es gibt ein anderes Selbstbewusstsein, ein Bedürfnis mobil zu sein, Reisen zu machen und sich dabei nichts dreinreden zu lassen. Die sogenannten Best Ager – die noch mobile Altersgeneration – ist eine sehr kaufkräftige Gesellschaftsschicht, die sich nicht von einem Tag auf den anderen aufs Abstellgleis stellen lässt. Hier bleibt aber Vieles immer noch eine Frage des Geldes.
GE: Altersarmut und Einsamkeit bleiben riesige Themen. Mit den entsprechenden Mitteln Best Ager zu sein, fällt nicht so schwer. Für den Großteil der Bevölkerung sieht es aber anders aus.
Helene erlebt die Theaterprobe ihrer Lieblingsschülerin, die eine Rolle in einem Theaterstück von Simone de Beauvoir spielt, in der einst auch sie selbst brilliert hat. Wie fiel die Wahl auf dieses einzige Theaterstück der französischen Autorin?
SH: Das wenig bekannte Stück Die unnützen Mäuler wurde von uns für TONI UND HELENE quasi wiederentdeckt. Es erzählt von einer Stadt im Belagerungszustand, in der die “Stadtväter” beschließen, die Alten, Frauen, Kinder und Schwachen dem Feind auszuliefern, um so das Überleben der Stadt zu gewährleisten. Letztlich entscheiden sich die Bewohner*innen gemeinsam gegen diese Maßnahme, die bedeuten würde, nicht mehr die Stadt, die Gesellschaft zu sein, die sie sein möchte. Das Stück spiegelt damit mit umgekehrten Vorzeichen unsere filmische Grundfrage: Wer hat das Recht, über das Leben und Sterben der anderen, der Schwächeren zu entscheiden? Ist es letztlich eine Gesellschaft der Stärkeren? Oder gehen wir mit Alten und Schwächeren mit Sorgfalt und Respekt um? Simone de Beauvoir hat ja neben Das andere Geschlecht das ebenso umfassende Werk Das Alter geschrieben, in dem sie dieser Frage nachgeht und eine Gesellschaft daran bemisst, wie diese mit ihren Alten umgeht.
TONI UND HELENE spricht nicht nur das Thema Alter ganz allgemein an, es berührt über die Rolle der Helene auch die Frage, was Älterwerden für eine Schauspielerin bedeutet. Insofern erzählt Christine Ostermayer in ihrer Interpretation der Helene unweigerlich auch von sich selbst.
SH: In die Rolle der Helene ist natürlich auch viel Persönliches von Christine eingeflossen. Wir haben damals schon vor und während Anfang 80 oft mit ihr gesprochen und waren auch während des jetzigen Drehbuchprozesses mit ihr im Austausch. Daher sind natürlich einige ihrer Erzählungen und Gedanken zum Tod und zum Verlust vieler Kolleg*innen und Altersgenoss*innen in den Film eingeflossen.
Foto:
©Verleih
Info:
Besetzung
Helene. Christine Ostermayer
Toni. Margarethe Tiesel
Thea. Julia Koschitz
Josef. Manuel Rubey
Ferdinand. Thomas Mraz
Heimleiterin Petra Morzé
Stab
Regie und Drehbuch. Sabine Hiebler und Gerhard Ertl
Dramaturgie. Karoline Bochdansky
Interview: Karin Schiefer | AUSTRIAN FILMS April 2023