wim wendersARTHAUS präsentiert  in einer Box 10 vom Regisseur ausgesuchte Filme,  Teil 1

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das muß sich gut anfühlen, möchte man Wim Wenders gratulieren, wenn er innerhalb eines Jahres einen solcher Preissegen  erlebt. Andererseits war und ist Wim Wenders immer schon ein sehr akzeptierter Regisseur gewesen, der sich zur Regie-Ikone gemausert hat und den man ohne Übertreibung einen Welt-Regisseur nennen kann. Für Filmbegeisterte ist die Möglichkeit der 'Zehn auf einen Streich' einfach eine tolle Gelegenheit, die Entwicklung eines Regisseurs durch eigenes Anschauen mitzuerleben, mitzubeurteilen.

Was man als Erstes bei den frühen Filmen, heute fast ein bißchen staunend, feststellt, ist die ungeheure Verbundenheit mit den USA, vor allem New York. Ja, das war so, die Siebziger Jahre brachten nach der Abrechnung mit den Amerikanern wegen des Vietnamkrieges eine tiefe Amerikasehnsucht, wobei erst die USA gemeint waren, später dann, mit ganz anderen Voraussetzungen Lateinamerika. Was sich im ersten der zehn Filme, in Wirklichkeit sein zwölfter,  ALICE IN DEN STÄDTEN (1973) noch so äußert, daß er den Film in New York beginnen läßt und die Kamera fast süchtig das Städtefluidum einfängt. Spätestens seit diesem Film wird deutlich, daß Wim Wenders die Kamera, das Bild viel wichtiger nimmt, als die Geschichte, um die es geht. 

Das sieht man einfach. Aber genau wissen kann man es nun auch wegen einer Besonderheit dieser ARTHAUS Edition, die sie ungewöhnlich, ja einzig macht. Wim Wenders hat nicht nur diese zehn Filme persönlich für diese Edition ausgewählt, sein Lebenswerk in zehn Filmen, die zudem alle technisch hochgerüstet sind und aufwendig in 4K restauriert wurden, sondern er hat in den Boni neben anderen Materialien die Geschichte der Films, ihre Entstehung, die Absicht, den Dreh, die Schauspieler so ausführlich dargelegt, daß immer wieder allein dieser Teil der Boni, nämlich die Aussagen des Regisseurs zu seinem eigenen Film, in Minuten oft länger, ja sehr viel länger sind  als der eigentliche Film. Von daher ist diese Edition unverzichtbar für denjenigen, der mehr über Wenders Filme wissen will, als er auf der Leinwand/der Projektionsfläche/dem TV-Bildschirm oder Rechner und  Mobilem normaler Weise sehen kann. 

Diese zehn Filme in einer Box gibt es als DVD- oder Blu-ray-Edition:

• Alice in den Städten (1973)
• Im Lauf der Zeit (1976)
• Der amerikanische Freund (1977)
• Der Stand der Dinge (1982)
• Paris, Texas (1984)
• Der Himmel über Berlin (1987)
• Lisbon Story (1994)
• Am Ende der Gewalt (1997)
• The Million Dollar Hotel (2000)
• Perfect Days (2023)

BEST OF WIM WENDERS – Mit Bruno Ganz, Otto Sander, Nastassja Kinski, Solveig Dommartin, Dennis Hopper, Harry Dean Stanton, Peter Falk, Rüdiger Vogler, Lisa Kreuzer, Mel Gibson, Milla Jovovich, Tim Roth, Peter Stormare, Hanns Zischler, Samuel Fuller, Dean Stockwell, Bill Pullman, Andie MacDowell, Kōji Yakusho u.a.

Zurück zu den Preisen von diesem Jahr. Gerade ist Wenders von der Europäischem Filmakademie  für seine Lebenswerk ausgezeichnet worden. Auch der Große Deutsch-Französische Medienpreis 2024 ging vor wenigen Tagen an den Filmemacher, "dessen Filme mit seinen poetischen Betrachtungen der Welt und deren Menschen seit Jahrzehnten das Publikum begeistern." In Japan wurde er als bester Regisseur mit dem Japan Academy Prize für PERFECT DAYS bedacht, in Berlin bekam er den BERLINER BÄREN und den Julius-Posener-Preis. Alles in diesem Jahr. 

Fragt man im Ausland nach zeitgenössischen deutschen Regisseuren, wissen viele, daß es Rainer Werner Fassbinder gab, aber dann kommt schon Wim Wenders, um einmal seine internationale Bdeutung einzuordnen. Wie man dem Überblick über seine Schauspieler entnehmen kann, spielen so viele Darsteller aus anderen Ländern eine Rolle wie bei keinem anderen deutschen Regisseur. Das zeigt erneut und extrem der letzte Film, PERFECT DAYS, der als deutsch-japanischer Oscar-Kandidat 2024 ausgewählt wurde. 

So richtig Fahrt nahm seine internationale Karriere mit DER AMERIKANISCHE FREUND (1977) nach dem Kriminalroman von Patricia Highsmith auf, wobei er sehr kreativ mit der Vorlage umging. Er selber erzählt zusammen mit Dennis Hpper auf Englisch mit deutschen Untertiteln die filmreifen Versuche, einen Roman von Patricia Highsmith für's Kino zu adaptieren. Vergeblich war das. Die Rechte all ihre Romane waren schon vergeben, verkauft.  Wenders war schon ganz verzweifelt, als ihm ein Freund riet, die in der Schweiz lebende Amerikanerin doch aufzusuchen. Und dort zog Patricia Highsmith ein Manuskript aus der Schublade und sagte ihm, davon wüßte noch nicht mal ihr Verleger, diese Geschichte könne er haben. Und es war der dritte Ripleyroman Ripley's Game, DER AMERIKANISCHE FREUND, der ihr übrigens beim ersten Anschauen als Film überhaupt nicht gefiel und beim zweiten außerordentlich gut. Vor allem die Darstellung der Zimmermann-Rolle durch Bruno Ganz hatte es ihr angetan, die ja auch herzerweichend ist.  So erfährt man in den Gesprächen nach dem Film eine Fülle von Details, auch einmal etwas zu den Finanzen. Wieviel er für den Verkauf seines Films für bestimmte Regionen nehmen sollte, wußte Wenders nicht. So hat er für 50 000 DM damals den Spaniern die Rechte an den Aufführungen von DER AMERIKANISCHE FREUND vergeben. Die Verleiher wurden Millionäre, denn beispielsweise spielte der Film in Madrid über ein Jahr und in Barcelona sogar eineinhalb Jahre. Das waren enorme Einnahmen. 

Und dann kam erneut der Welterfolg mit PARIS, TEXAS, der Film, der aus besonderem Grund in dieser Edition eine Doppelrolle spielt.  PARIS, TEXAS ist einerseits eingeordnet in diese Zehneredition, hat andererseits auch einen Solo-Auftritt, der in Teil 2 gewürdigt wird. Dieses Solo hat den Hintergrund, daß dieser Film in diesem Jahr zu seinem 40jährigen Jubiläum erneut auf den Kinoleinwänden zu sehen war. Und nun also im Heimkino. Aber wichtig. Es gibt ihn. nicht zusätzlich, sondern er ist auch in der Zehner-Edition enthalten. Für echte Filmfreunde, erst recht für Wenders-Fans ist die Wahl klar. 

Drei Jahre später hatte Wim Wenders mit DER HIMMEL ÜBER BERLIN einen weiteren Welterfolg. Und wieder spielte Bruno Ganz mit, der den Wenders Filmen eine zusätzliche Färbung gibt, eine Menschlichkeit, wobei Ganz jeweils mit seiner Rolle verschmilzt. In den Anmerkungen zum Film geht Wenders jeweils auf seine tiefe Freundschaft zu Ganz ein und erzählt Details, die man so nicht wußte, beispielsweise, daß nur die Deutschen seinen immer wieder durchbrechenden Schweizer Zungenschlag hören, denn Ausländer hören das nicht. Aber - und das ist die Überraschung - die Muttersprache von Bruno Ganz ist Italienisch.

Das ist nur der Anfang. Die Filme werden noch vorgestellt. Aber man darf sich jetzt schon über die Auswahl durch den Regisseur wundern. An den ausgesuchten Filmen ist nichts auszusetzen. Aber man kann einfach nicht verstehen, daß Wenders seine Dokumentarfilme so unter den Tisch fallen läßt! Weder PINA über Pina Bausch, noch der herrliche BUENA VISTA SOCIAL CLUB, noch DAS SALZ DER ERDE über den Fotografen Salgado, ein verstörender, auch vom Bild her tiefbeeindruckender Film in Schwarz-Weiß, noch jüngst ANSELM über Anselm Kiefer, zeitgleich mit PERFECT DAYS in Cannes 2023 aufgeführt, ist in der Auswahl berücksichtig. Das ist schade, wenngleich ich auch nicht auf Anhieb sagen könnte, für welche Spielfilme die Dokumentarfilme ausgetauscht werden sollten. Aber für das Bild des Regisseurs als Filmemacher wären diese Filme eben enorm wichtig. 

Aus den Unterlagen der Edition zitieren wir die zusammenfassenden Aussagen über Wim Wenders: 
"Wim Wenders (geb. 1945 in Düsseldorf) ist als wichtiger Protagonist des Neuen Deutschen Films der 1970er Jahre international bekannt geworden. Er gilt heute als einer der bedeutendsten Vertreter des Weltkinos der Gegenwart. Das Werk des Drehbuchautors, Regisseurs, Produzenten, Photographen und Buchautors umfasst vielfach preisgekrönte Spiel- und Dokumentarfilme, weltweit präsentierte Photoausstellungen, sowie Bildbände, Filmbücher und Textsammlungen. Er lebt und arbeitet zusammen mit seiner Frau Donata Wenders in Berlin. 

2012 gründeten Wim und Donata Wenders in Wenders‘ Geburtsstadt Düsseldorf die gemeinnützige Wim Wenders Stiftung, die das filmische, photografische und literarische Lebenswerk des Künstlers zusammenführt und der Öffentlichkeit dauerhaft zugänglich macht. Die Filme werden dabei aufwendig digital restauriert. Darüber hinaus engagiert sich die Wim Wenders Stiftung für die Filmbildung an Schulen und unterstützt - in Kooperation mit der Film- und Medienstiftung Nordrhein-Westfalen - mit dem Wim Wenders Stipendium die Förderung junger Talente im Bereich innovativer filmischer Erzählkunst."

P.S. Wir führen hier nicht die technischen Arbeiten an den Filmen auf, die dafür sorgten, daß eine derartige Qualität in der Wiedergabe besteht. Aber den Filmen ist jeweils eine Dokumentation angefürt, wer in welchem Jahr, mit welchen Methoden die Filme restauriert hat.