Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. Januar 2025, Teil 1
Tim Fehlbaum
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das Münchner Olympia-Attentat von 1972 gilt als die Geburtsstunde des medienwirksamen Terrorismus. Die Kameras der Welt, versammelt anlässlich der Olympiade, werden zur Verlängerung der Kalashnikov: Zum ersten Mal wird eine Geiselnahme live im Fernsehen übertragen. Den Tätern geht es nicht nur um das gewaltvolle Durchsetzen von Forderungen, sondern um das Kreieren von Bildern. SEPTEMBER 5 sollte ursprünglich anlässlich des 50. Jahrestages der Geiselnahme von München in die Kinos gebracht werden. Ganz im Stile von Bernd Eichingers DER BAADER MEINHOF KOMPLEX, aus multiplen Perspektiven erzählt: Die Opfer. Die Täter. Die Polizei. Die Politik. Und: Die Medien.
Im Zuge unserer Recherche trafen wir auf Geoffrey Mason, der damals als 28-jähriger Coordinating Producer für den amerikanischen Fernsehsender ABC Sports in München vor Ort war. Mason erzählte uns lebhaft und detailliert von seinen Erfahrungen an dem Tag, an dem sein Sender als Einziger eine Live-Kamera auf das Geschehen hatte. Von den 21 Stunden, die er in der Sende-Regie der Live-erichterstattung verbrachte, und an die er sich noch genau erinnert. Bereits im ersten Gespräch mit ihm dämmerte es uns plötzlich: Warum erzählen wir unseren Film nicht rein aus dieser Perspektive, aus der Sicht der
Berichterstattung? Fast schon wie bei einem Kammerspiel sind wir ständig im TV-Studio, mit den Kameras als einziges Auge auf die tragischen Ereignisse in unmittelbarer Nähe. Als Bewunderer von Filmen, die ihre Kraft aus einer räumlichen Begrenzung ziehen, war ich sofort überzeugt von dem filmischen Konzept. Aber wichtiger noch realisierte ich, dass eine Beschränkung der Perspektive auf die Berichterstattung der ABC gleichzeitig auch eine Fokussierung auf die Komplexität des medialen Apparatus ermöglichen würde.
Durch die räumliche Begrenzung der Erzählwelt von SEPTEMBER 5 auf das TV-Studio der ABC Sports werden wir mit den moralischen, ethischen, professionellen und schlussendlich psychologischen Dilemmata von Journalist*innen konfrontiert, die sich im Wechsel von Berichterstattung über Sportereignisse hin zu Geopolitischem ihrer Verantwortung erst bewusst werden: Können wir Informationen veröffentlichen, bevor diese bestätigt sind? Können wir in der Live-Übertragung zeigen, wie jemand erschossen wird? Und: Wird ein Fernsehsender nicht zum Komplizen der Täter, wenn ihnen mit unseren Kameras eine Bühne geboten wird?
Neben Geoffrey Mason konnten wir zwei weitere Augenzeugen ausfindig machen: Jimmy Schaeffler war 1972 als Runner für die ABC tätig und schmuggelte, verkleidet als Athlet, Filmmaterial an den Polizeiabsperrungen vorbei. Und Sean McManus, heutiger CEO der CBS Sports, der damals als Jugendlicher im Control Room saß, während sein Vater Jim McKay nebenan im Studio moderierte. Zudem lieferten die Biografien von Roone Arledge, damaliger Präsident der ABC Sports, und Jim McKay weitere aufschlussreiche Einblicke in die Ereignisse dieser 21 Stunden am 5. September 1972.
Auf die Frage hin, ob sie denn während der Sendung über die größeren Implikationen und Konsequenzen nachgedacht haben, meinte Geoffrey Mason schlichtweg: „There was simply no time.“ In dem Moment wurde dem Autoren Moritz Binder und mir bewusst, dass sich der Film genauso anfühlen sollte: Das Publikum soll mit den Figuren den Rausch der LiveBerichterstattung miterleben, soll dabei sein, wenn moralische Entscheidungen immer gegen eine tickende Uhr getroffen werden müssen. Soll live miterleben, wie Fehlentscheidungen nicht die Folge von Absichtlichkeiten sind, sondern am Ende einer komplexen Maschinerie stehen. Wie im Leben kommt die Reflexion erst danach.
Für die Arbeit am Drehbuch standen uns die Originalbänder der ABC zur Verfügung. Das Sichten des gesamten Sendematerials ermöglichte eine fast schon minutiöse Rekonstruktion der Ereignisse innerhalb des Control Rooms und entsprechend strukturierten wir das Drehbuch. Ich war fasziniert von der Arbeit des Moderators Jim McKay. In seiner Berichterstattung gab sich McKay professionell und förmlich und konnte trotz allem zu jedem Zeitpunkt Empathie mit den Betroffenen ausstrahlen. Es schien mir unmöglich, diese Performance mit einem Schauspieler zu reproduzieren. Zur Vermittlung der Dringlichkeit des
Momentes würden wir das Originalmaterial in unseren Film einbinden müssen. Und tatsächlich entstand daraus eine visuelle Strategie, die den Film prägen würde. Die Produzenten Philipp Trauer und Thomas Wöbke gewannen das Vertrauen der ABC und klärten die komplexe rechtliche Lage um das Material. Gleichzeitig planten wir das Set so, dass das Originalmaterial von 1972 tatsächlich auf den Monitoren laufen kann und somit mit unseren inszenierten Szenen verschmelzen würde.
Die ABC Sports von 1972 war der eigenen eher sachlichen Nachrichtendivision, aber auch den anderen Sendern weit voraus. Roone Arledge, der Präsident von ABC Sports, war ein Visionär des Geschichtenerzählens: Die persönliche Geschichte der Sportler*innen wurden Teil der Erzählung, deren Biografien, Wünsche, Begierden. Aber auch auf technischer Ebene lief ABC Sports den anderen den Rang ab: Innovative Technologien wie die Verwendung von Zeitlupe und involvierter Handkamera, gepaart mit reißerischer Titelgestaltung gehörten zum Repertoire der von Arledge geführten Truppe. In seinen Memoiren von 2013 beschreibt der Broadcasting Engineer Joe Maltz den enormen technischen Aufwand, der für die erste LiveÜbertragung der Olympischen Spiele notwendig war – und wie die ABC Crew am Tag der Geiselnahme improvisierte, um das Publikum so nahe wie möglich an das Geschehen zu bringen. Gepaart mit Arledges innovativen Ansätzen des Geschichtenerzählens ergab sich daraus ein Paradox, das die nächsten Dekaden prägen würde: News wurde zu Entertainment.
Als Filmemacher empfand ich eine Affinität zu der Komplexität der Situation. Einerseits stand ich der Entwicklung, dass tragische Ereignisse zu Sensationen aufbereitet werden, kritisch gegenüber. Anderseits faszinierten mich die Ambitionen und Dilemmata der Journalist*innen, die Geschichte akkurat zu erzählen. Denn dies sind Probleme, die mich auch täglich beschäftigen. Für mich lebt SEPTEMBER 5 genau in diesem Zwiespalt. Für die Olympiade kamen Menschen aus aller Welt nach München.
Geoffrey Mason hatte uns von einer einzigartigen Dynamik und des Zusammenhalts innerhalb der ABC Crew erzählt. Dieses Gefühl sollte sich im Casting widerspiegeln. Auf den Hauptdarsteller John Magaro bin ich über den Kelly Reichardts FIRST COW sowie seinen Auftritt in THE BIG SHORT aufmerksam geworden. Sein minimalistisch und absolut authentisches Spiel war genau das, was ich für die Rolle von Geoffrey Mason suchte. Besonders glücklich war ich darüber, dass wir für die Rolle von Marianne Gebhardt Leonie Benesch gewinnen konnten. In einer Geschichte, in der es viel um Kommunikation geht, spielt sie als Übersetzerin eine zentrale Rolle. Gleichzeitig repräsentiert sie die Nachkriegsgeneration, die für das neue, liberale Deutschland steht.
Der Hauptdreh erstreckte sich über 32 Tage vorwiegend in den Bavaria Filmstudios in München. Szenenbildner Julian R. Wagner hat aufgrund von Originalbauplänen das Studio der ABC Sports von 1972 reproduziert. Dabei haben wir uns bewusst gegen eine in der Industrie übliche Vergrößerung oder den Einsatz von Sprungwänden entschieden. Es sollte sich genauso klaustrophobisch wie das Original anfühlen – mit den Monitoren als einzige Fenster zur Außenwelt.
Dieses Studio statteten wir mit Originalgeräten aus den Sechziger- und Siebzigerjahren aus, die aus Abstellkammern von Fernsehstudios, Museen und den Sammlungen passionierter Hobbyisten stammten. Uns war es ein wichtiges Anliegen, dem Publikum von heute ein Gefühl für die analoge Technik von damals zu geben. Teilweise wurden diese Geräte für den Dreh sogar wieder funktionstüchtig gemacht, so dass die Darsteller*innen tatsächlich mit ihnen interagieren konnten.
In den Vorbereitungen hatte ich gemeinsam mit Hauptdarsteller John Magaro in echten Kontrollräumen von Sport-Übertragungen die spezifischen Bewegungen und Gesten, sowie die Dynamik und Stimmung studiert. Und nun konnte wir diese in unser Set versetzen. Eine Ansage im Kontrollraum würde tatsächliche Auswirkungen auf die Crew haben und die entsprechende Technik zum Laufen bringen. So ist es dem Ensemble möglich, sich wirklich in ihre Vorbilder und deren Extremlage hineinzuversetzen.
Das Münchner Olympia-Attentat vom 5. September 1972 ist bis heute relevant. Es in seiner gesamten Komplexität filmisch zu erfassen, ist wahrscheinlich unmöglich. Durch unsere Fokussierung auf die mediale Perspektive wollten wir einen bestimmten Aspekt beleuchten, der uns – in einer Zeit, in der das Live-Streamen öffentlicher Ereignisse immer selbstverständlicher geworden ist – relevant schien: die Macht der Bilder.
Foto:
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Info:
Stab
Regie Tim Fehlbaum
Drehbuch Moritz Binder Tim Fehlbaum Alex David (Co-Autor)
Besetzung
Roone Arledge Peter Sarsgaard
Geoff Mason John Magaro
Marvin Bader Ben Chaplin
Marianne Gebhardt. Leonie Benesch
Jacques Lesgards Zinedine Soualem
Gladys Deist Georgina Rich
Hank Hanson Corey Johnson
Carter Jeffrey Marcus Rutherford
Gary Slaughter Daniel Adeosun
Abdruck aus dem Presseheft