Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. Januar 2025, Teil 6
Alonso Ruizpalacios
Berlin (Weltexpresso) - Ich begann von diesem Film zu träumen, als ich während meiner Studienzeit als Tellerwäscher und Kellner im Rainforest Cafe in der Londoner Innenstadt arbeitete. Das war auch der Zeitpunkt, an dem ich zum ersten Mal Arnold Weskers Stück „The Kitchen“ las, auf dem das Drehbuch für diesen Film lose basiert.
Dieses Stück zur gleichen Zeit zu lesen während ich in einer Großküche arbeitete, machte die Erfahrung viel interessanter (und die Arbeitstage erträglicher). Ich war erstaunt über das komplexe Kastensystem, das in den Küchen immer noch existiert und das ein wesentlicher Teil dessen ist, was sie am Laufen hält. Wie bei der Besatzung eines Schiffes wird auch hinter den schwingenden Restauranttüren die Hierarchie nicht auf die leichte Schulter genommen.
The Grill ist eine große Touristenfalle im Zentrum von New York City, wo Einwanderer Arbeit suchen, weil sie ohne Papiere aufgenommen werden und die Trinkgelder gut sind. Die Arbeit ist hart, und das Essen schrecklich. Ähnlich wie im Rainforest Cafe in dem ich arbeitete (und im „Tivoli“ in Weskers Stück), servieren die Köche widerwillig ein Gericht nach dem anderen, von dem sie wissen, dass es furchtbar ist. Unter solchen Arbeitsbedingungen ist kein Platz für Kunst, was LA COCINA zu einem Anti-Food-Porn-Film macht. Ich wollte zeigen, was wirklich vor sich geht in solchen Lokalen, in denen an einem normalen Freitag 3.000 Menschen bedient werden; wo nie genug Zeit für Qualität ist; wo jedes Gericht mit den Schweißtropfen der Küchenhilfen gewürzt wird; wo die Suppe in Backpulver ertränkt wird, damit sie drei Tage länger hält, als es chemisch möglich ist; wo das Blut des medium-rare Steaks, das an Tisch acht serviert wird, in Wirklichkeit das Blut des Kochs ist, der einen fast tödlichen Fehler gemacht hat - alles wegen des Drucks. Der Druck ist es, der Pedro bricht und ihn im letzten Akt dazu bringt, Rashids Küche zu zerstören. Der Druck ist es, der Rashid unfähig macht, Pedros Gründe zu verstehen.
Grenzen spielen in diesem Film eine große Rolle: physische, geistige und soziale. Die vertikale Struktur der Küche ist ein perfekter Schauplatz, um zu erforschen, was sich hinter einer geteilten Gesellschaft verbirgt, die im selben Lebensraum feststeckt. In diesem Licht betrachtet, wird ein New Yorker Restaurant mit seiner deutlichen Trennung zwischen Front und Back of House, zwischen Management und Belegschaft, Amerikanern und Ausländern zu einer perfekten Metapher für die moderne Welt. Die „Linie“, an der die Köche die ausgehenden Speisen für die Kellner platzieren um sie in den Speisesaal bringen zu lassen, wird zu einer konkreten Erinnerung an diese Grenzen. Es ist auch die Linie, die Pedro und Julia voneinander trennt.
Die unmögliche Liebesbeziehung von Pedro und Julia ist wie eine auf den Kopf gestellte Liebeskomödie. Wir fiebern mit diesem seltsamen Paar mit, wenn sie zwischen den Bestellungen lachen, flirten, streiten und in den Kühlschränken und Gängen Sex haben. In gewisser Weise spiegeln die Figuren selbst die Beziehung zwischen Mexiko und den USA: zusammengewachsen, aber für immer getrennt. Wie Justo Sierra einmal sagte: „Armes Mexico… so weit von Gott entfernt und so nah an den Vereinigten Staaten“.
In vielerlei Hinsicht geht es in diesem Film auch um geistige Obdachlosigkeit. Obwohl man versucht sein könnte, den Film ausschließlich als einen über Einwanderung zu betrachten, liegt der wahre Schwerpunkt woanders. Hier ist der Zustand der Figuren als illegale Einwanderer genau das: ein Zustand, ein Umstand, eine Gegebenheit. Aber in Wirklichkeit kämpfen sie darum, inmitten der harten Arbeit ein Gefühl für sich selbst, für Gemeinschaft und Brüderlichkeit zu finden. ARBEIT ist das andere Hauptthema: der Kampf um das Überleben der Seele inmitten der unaufhaltsamen Maschinerie des globalen Kapitalismus. Wie Thoreau schrieb: „Ich denke, / dass es nichts, nicht einmal das Verbrechen, gibt, das der Poesie, der Philosophie, / ja, dem Leben selbst, mehr entgegengesetzt ist als die unaufhörliche Arbeit.“ Oder wie Pedro, der Protagonist des Films, es ausdrückt, als er gebeten wird, von seinem Traum zu erzählen: „In einer Küche kann man nicht träumen.“
Du bist in der Küche. Siehst dir deine Fingernägel an. Berührst deine Nase. Fang an.
Du bist drinnen. Du stehst hinter den Kulissen. Unter Wasser. Auf der anderen Seite des Flusses. Von hier aus kannst du die Gesichter der Arbeiter ohne Make Up sehen. Du siehst das Backpulver, das die seit Tagen verdorbene Soße wiederbelebt, den Schweiß, der in den lauwarmen Suppentopf tropft. Von hier aus siehst du die Unterhosen, die schmutzigen Lappen, das zerbrochene Porzellan, die Kadaver im Gefrierschrank, das Monster unter dem Bett, den Tumor, der leise und unbeachtet im Gehirn wächst.
Du bist in der Küche. Du könntest nass werden. Dein Kopf könnte von dem unaufhörlichen Dröhnen des Edelstahls schmerzen. Du könntest die vermissen, die du zurückgelassen hast. Du wirst vielleicht keine Zeit haben, jemanden richtig kennenzulernen. Vielleicht wirst du nicht viel verstehen. Vielleicht hast du keine Zeit, zu träumen.
Vielleicht musst du nur bis zum Ende der Schicht durchhalten; bis zu deinem freien Tag; bis zu den End Credits. Vielleicht wirst du nur die halbe Wahrheit erfahren. Dein Urteil könnte unvollständig sein. Vielleicht wird nichts davon von Bedeutung sein. Und vielleicht – nur vielleicht – findest du einen Freund.
Bienvenido a LA COCINA.
Foto
Julia & Pedro © Juan Pablo Ramírez / Filmadora
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Presseheft