Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Januar 2025, Teil 1
Holger Twele
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Immer wieder erschüttern Nachrichten über Sektenführer, die ihre Anhänger aus obskuren Gründen und mit Aussicht auf ein besseres Leben in anderen Sphären in den kollektiven Selbstmord treiben. Unabhängig davon fühlen sich viele Menschen von der Gesellschaft im Stich gelassen und überfordert, auch wenn es um den Klimawandel und seine Herausforderungen geht. Einzelne Personen, Gruppen und sogar Parteien greifen auf solche Ängste und Befindlichkeiten zurück und nutzen sie für ihre eigenen Zwecke. Das Langfilmdebüt von Benjamin Pfohl verknüpft beide Aspekte zu einem Science-Fiction-Drama und einer außergewöhnlichen Coming-of-Age-Geschichte, in der ein weiblicher Teenager eine folgenschwere Entscheidung auf Leben und Tod zu treffen hat.
Eigentlich ist Lea eine ganz normale Jugendliche. Sie tanzt gerne, verbringt ihre Freizeit in der Disco und hat Freunde. Wenn sie in der Klasse allerdings behauptet, sie stamme vom Jupiter ab, machen sich die anderen über sie lustig. Mit ihrem behinderten Bruder Paul, der in der kognitiven Entwicklung zurückgeblieben ist, kommt sie sehr gut zurecht und akzeptiert ihn so wie er ist. Ihre Eltern allerdings fühlen sich überfordert. Sie geben der Gesellschaft, dem Gesundheitssystem und der Politik die Schuld daran, dass der Sohn nicht besser gefördert wird. Stattdessen schenken sie einer kultigen Sekte Glauben, die ihnen vorgaukelt, die Welt sei nur eine Illusion. Sie vertrage die Menschen nicht mehr, nachdem alles aus dem Ruder gelaufen sei, etwa der Klimawandel. Ein Glück daher, dass der Komet Calypso bald an der Erde vorbeifliege. Das sei eine einmalige Chance, um mit seiner Energie wieder in die eigentliche Heimat, den Planeten Jupiter zu gelangen. Angeblich, um den Kometen besser beobachten zu können, reist die Familie an einem Wochenende mit vielen weiteren Teilnehmenden auf einen abgelegenen Berggipfel.
Lediglich Lea hat Bedenken, denn sie möchte e am Montag unbedingt wieder zur Schule gehen. Während des Abenteuer-Campingurlaubs blüht Paul förmlich auf und auch Lea bekommt bei einem Bad im kalten Bergsee entspannende Floating-Gefühle. Misstrauisch wird sie allerdings, als ihr der Zugang zu einem großen Zelt streng verboten ist und Wolf, der Guru der Sekte, ihr gegenüber seltsame Andeutungen macht. Sie beginnt zu ahnen, was die Erwachsenen vorhaben, stellt den Vater zur Rede, rebelliert und flüchtet. Am nächsten Tag kehrt sie dennoch zu ihrer geliebten Familie zurück. Der Countdown startet, um den „falschen Planeten“ endgültig zu verlassen. Sagte der Guru vielleicht doch die Wahrheit? Und ist es nicht auch eine moralische Pflicht, die Familie zu unterstützen? Wie soll sich Lea entscheiden?
Gekonnt oszilliert der Film zum Teil mit schnellen Schnitten, dann wieder mit sehr ruhigen Kameraeinstellungen zwischen mystischer Abgeschiedenheit und alltäglicher Realität, wobei die Leidensgeschichte von Paul und seiner Familie beziehungsweise die Therapieversuche ohne Chance auf Heilung in mehreren Rückblenden erzählt werden. Während Lea durchaus Augen und Ohren für die Schönheit des (Bayerischen) Waldes hat und ganz erdverbunden bleibt, stehen die erwachsenen Sektenmitmitglieder mit großen VR-Brillen zwar mitten in diesem Wald, befinden sich aber abgeschirmt von der Realität bereits in einer anderen Welt. Andererseits sind sie Lea gegenüber, auas deren Perspektive der Film weitgehend erzählt wird, sehr freundlich und hilfsbereit, geben ihr Geheimnis allerdings nicht preis. Auch der von Ulrich Matthes verkörperte Guru wirkt mit seiner souveränen ruhigen Stimme gütig und weise, was zumindest teilweise erklärt, dass die Mitglieder ihm vertrauen und ganz auf seine Botschaften setzen.
So bleibt es lange in der Schwebe, ob hier doch nur ein paar von der Welt Entrückte ein Wochenende lang Entspannung und Gemeinschaft unter Gleichgesinnten suchen oder der Ausflug tatsächlich zu einem (über)irdischen Ende führen könnte. Eine suggestive sphärische Musik unterstützt diese Atmosphäre zwischen Spannung und Entspannung, drohender Gefahr und Entwarnung. Ein insgesamt sehr gelungenes Debütwerk, das schon auf mehr als 40 Filmfestivals gelaufen ist und auf den Hofer Filmtagen 2024 mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino, dem Kritikerpreis für die Beste Regie und dem Bild Kunst Förderpreis für das Szenenbild ausgezeichnet worden ist.
Foto:
Info:
Deutschland 2023, 100 Min.
Regie Benjamin Pfohl
Drehbuch Benjamin Pfohl, Silvia Wolkan
Kamera Tim Kuhn
Besetzung Mariella Aumann (Lea), Laura Tonke (Mutter Barbara), Andreas Döhler (Vater Thomas), Ulrich Matthes (der Guru), Henry Kofahl (Bruder Paul), Antonia Fulss (Marina), Dana Geissler (Silke) u. a.
Verleih missingFilms
Kinostart 23. Januar 2025