Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Januar 2025, Teil 6
Redaktion
Paris Weltexpresso) – Waren Sie mit der literarischen Welt von Dumas und „Der Graf von Monte Christo“ bereits vertraut, als Alexandre und Matthieu Ihnen die Rolle der Mercédès anboten?
AD: Ich hatte von Monte Christo und seinem Rachefeldzug gehört, aber den Roman nicht gelesen. An das Drehbuch von Alexandre und Matthieu bin ich herangegangen wie an ein klassisches Drehbuch und habe mir die Frage gestellt, was mich an dieser Geschichte und an der Rolle der Mercédès interessiert. Damals habe ich sie nicht mit einer anderen Figur in Verbindung gebracht, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, hat sie etwas von Meryl Streep in DIE BRÜCKEN AM FLUSS (The Bridges of Madison County, 1995). Sie ist eine Frau, die Resignation, Traurigkeit und Akzeptanz dessen, was letztlich aus ihrem Leben wurde, in sich trägt. Das finde ich sehr bewegend.
Man sieht Sie eher selten in einem historischen Film. Gibt es Einschränkungen, die mit dieser Art von Rollen einhergehen?
AD: Es ist eher eine durch den Text vorgegebene Richtung. Die Sprache, die Dialoge und die Konventionen einer vergangenen Epoche und Gesellschaft beeinflussen unseren Tonfall und unsere Lebensweise. Als Schauspielerin habe ich Spaß daran, mich in die Texte zu vertiefen und zu spüren, dass hinter jedem Drehbuch eine Autorin oder ein Autor steht. Für mich war diese Sprache sehr reizvoll. Am Set von DER GRAF VON MONTE CHRISTO habe ich auch meine Freude an der Kostümierung und der Schönheit der Kulissen wiederentdeckt. Eine echte Bereicherung für Schauspielerinnen und Schauspieler. Bei historischen Filmen besteht allerdings manchmal die Gefahr, dass die Verkleidung angestaubt wirkt und eine Distanz zum Publikum entstehen lässt. Aber an DER GRAF VON MONTE CHRISTO liebe ich, dass man durch die Epoche hindurch auf das Wesen der Figuren blickt. Man sieht Schicksale, Lebensläufe, Menschen, die durch Prüfungen gehen, die von ihren Emotionen zerrissen werden. Der Film hat etwas sehr Organisches, wunderbar Lebendiges an sich, als würde er über die heutige Zeit sprechen.
Was hat Ihnen am Drehbuch am besten gefallen?
AD: Die Themen und die Fragen, die aufgeworfen werden, haben mich gepackt: Was bedeutet es, sich selbst und den Menschen, die man liebt, treu zu sein? Mir gefällt, dass der Film diese existenziellen Fragen aufgreift, ohne sie zu vereinfachen. Er handelt von Gefühlen, die mit Dualität und Ambivalenz einhergehen. DER GRAF VON MONTE CHRISTO ist ein Film, der der Komplexität unserer Existenz gerecht wird! Das ist heute selten, und ich bin oft enttäuscht von den Drehbüchern, die ich lese, mit ihren dualistischen Figurenkonstellationen und ihrem programmatischen Ansatz: das Opfer und der Täter, der Schurke und der Held … Ich möchte Figuren sehen, die hin- und hergerissen sind, die bei ihren Entscheidungen Fehler machen, die versuchen, Wiedergutmachung zu leisten. Ja, der Mensch ist komplex, und ich glaube, das ist der Grund, warum wir eine Wiedergeburt der Verfilmungen von großen literarischen Werken erleben. Weil unsere großen Autorinnen und Autoren an der Komplexität unseres Lebens interessiert sind, wissen sie, dass das Leben keine Autobahn ist. Als ich den Film sah, dachte ich mir: „Was für eine Freude, all diesen Reichtum zu sehen!“ Was mir auch gefällt, ist, dass der Film seine Figuren
nicht verurteilt. Selbst die schlimmsten Schurken erscheinen irgendwann in einem Zustand der Verletzlichkeit, der Mitleid erregt. Nichts ist karikaturistisch. Mercédès sehen wir als Heldin, die auf Edmond gewartet hat, aber sie war auch ein bisschen feige, sie hat resigniert. Und unter all diesen Figuren gibt es Monte Christo, der ein Ideal der Loyalität, der Rechtschaffenheit, der menschlichen Strenge verfolgt, ohne selbst perfekt zu sein.
Die Mercédès vom Anfang des Films, in all ihrer Jugendlichkeit, entspricht Ihnen mehr als die reife Frau später. Es ist auch diejenige, um die man sich am meisten sorgt.
AD: Ich hatte Angst, eine Schauspielerin zu sein, die zu alt ist, um eine zwanzigjährige Geliebte zu spielen, während Alexandre und Matthieu befürchteten, dass ich zu jung für die andere Mercédès sein könnte! Seltsamerweise fällt es mir leichter, tragische Figuren zu spielen als Freude, Unschuld, Leichtigkeit. Ich musste diese Figur entwickeln, damit die andere funktionieren konnte. Man sieht von der ersten Mercédès, die dann von ihrer Nachfolgerin zwanzig Jahre später verschluckt wird, nur sehr wenig. Die erste Mercédès ist eine sehr bodenständige junge Aristokratin. Sie reitet, sie kommt zu spät, sie ist unabhängig. Ich war von ihrer Stärke, ihrer Frechheit, ihrer wilden, naturverbundenen Seite verführt, was dazu führte, dass ich, wie Pierre, Reitunterricht nehmen musste! Sie ist nicht affektiert und hat kein Problem damit, einen Mann aus einer anderen sozialen Schicht zum Ehemann zu nehmen. Pierre und ich hatten die Befürchtung, dass das Liebespaar Edmond und Mercédès kitschig wirken würde. Doch als ich den Film sah, wurde mir klar, wie strahlend und schön dieser erste Teil ist. Ich hatte eine Gänsehaut bei dem Gedanken: „Das ist er, der Lebensimpuls, die Unbekümmertheit der Jugend, die an das Leben
glaubt. Mercédès denkt noch, dass alles einfach sein wird, dass das Leben ihre Wünsche erfüllen wird.“ Ich liebe diesen Moment im Film, der ein verlorenes Paradies zeigt. Es verschwindet schnell, aber es verfolgt Edmond und Mercédès, wie dieses eine Ideal, das jeder von uns anstrebt, aber nie erreicht. Der Kostümbildner Thierry Delettre, der mich sehr beeindruckt hat, half mir mit meiner Rolle. Ich habe noch nie mit jemandem gearbeitet, der so präzise ist. Die Materialien, die für die Kostüme eingesetzt wurden, erstaunten mich. Es gab eine riesige Werkstatt mit vielen verschiedenen Räumen und Stoffen aus der ganzen Welt. Das war reine Handwerkskunst.
Im Gegensatz ist ihre ältere Mercédès sehr ernst. Wie haben Sie Ihr dieses leidvolle Antlitz verliehen?
AD: Wie auch bei der jungen Mercédès halfen mir beim „Altern“ zunächst Make-up, Haarstyling und die Kostüme, die viel strenger und geschlossener, mit langen Ärmeln und geraden Kragen sind. Ich fühlte auch, dass ich hier eine innere Festigkeit, eine gewisse Schwere und Gemächlichkeit vermitteln musste, die im Kontrast zu der beschwingten Energie am Anfang steht. Ich stellte mir vor, dass Mercédès eine ständige Last auf sich trägt, als würde sie mit einem Geistleben. Edmond ist gegangen, aber er lastet schwer auf ihr. Eine unüberwindbare Barriere steht zwischen Mercédès und ihrem eigenen Leben.
Wie erklären Sie sich, dass Mercédès die Einzige ist, die Dantès hinter seiner Verkleidung als Monte Christo erkennt?
AD: Natürlich durch die Liebe! Edmonds Blick täuscht sie nicht. Unter seiner Maskerade ist etwas in seinem Blick, das sie direkt ins Herz trifft und sie erschüttert. Sie hat diesen Blick sicher jahrelang gesucht, sie hat darauf gewartet. Und da ist er plötzlich, als hätte man sie erschossen. Aber da Edmond tot sein soll, habe ich Mercédès als zweifelnde Person dargestellt. Sie ist ständig hin- und hergerissen. Sie versucht sich einzureden, dass er es nicht sein kann, aber irgendetwas in ihr sagt ihr das Gegenteil. Als ob der Geist, mit dem sie gelebt hat, sie plötzlich anspricht und den Teil von ihr auferstehen lässt, der gestorben war.
Wie war die Atmosphäre am Set?
AD: Es war toll, einen solchen Film in einer so tollen Atmosphäre zu drehen. Am Set spürte man bei Alexandre und Matthieu eine enorme Freude an der Sache. Die Gabe der beiden, ihre Begeisterung und ihren Glauben an dieses riesige Projekt, das in erster Linie auf Pierres Verwandlung beruhte, auf das gesamte Team zu übertragen, hat mich mitgerissen. Ich habe die beiden als gefestigt und beharrlich in ihren Entscheidungen erlebt. Ihre Arbeitsweise ist gleichzeitig sehr präzise und völlig entspannt, ohne unnötige Anspannung. Aber ihre Erwartungen sind immens. Sie sind den Schauspielerinnen und Schauspielern sehr nahe und reagieren feinfühlig auf ihr Spiel. Die Produktionsmittel für DER GRAF VON MONTE CHRISTO übersteigen die der Filme, die ich normalerweise drehe, um ein Vielfaches. Bei NOVEMBER (Novembre, 2022) von Cédric Jimenez hatte ich bereits das Gefühl, von mehreren Kameras getragen zu werden und mich in einem Videospiel zu befinden. Aber in DER GRAF VON MONTE CHRISTO
entdeckte ich die Faszination für die Maschinerie, die Kräne und Drohnen, die routinierte Koordination von Hunderten von Statisten durch die Techniker. Ich habe dieses Glück einer großen, dem Publikum zugewandten Inszenierung wiedergefunden, die keine Scheu vor Effekten hat und dennoch die Schauspieler nie im Stich lässt. Als Schauspielerin muss ich das Gefühl haben, dass die Regisseure dem Publikum ein Spektakel bieten wollen, dass aber das, was sich zwischen den Figuren abspielt, den Kern des Films ausmacht. Ich brauche eine Regie, die auf das Schauspiel eingeht und mich nicht auf eine Art Figur in einem Bilderreigen reduziert.
Sie haben Pierre Niney wiedergetroffen, mit dem Sie schon in SAUVER OU PÉRIR gespielt haben.
AD: Ich habe mich sehr gefreut, wieder mit Pierre zu arbeiten, weil das Zusammenspiel mit ihm sich so natürlich anfühlt. Pierre ist ein so engagierter Schauspieler in seiner Rolle, dass er bei den Dreharbeiten die Richtung für den Film vorgibt. Am Set konnte man spüren, dass der Graf von Monte Christo die Rolle seines Lebens war, für die er alles gegeben hat. Er hat mich wirklich beeindruckt. Er reißt das Publikum von Anfang bis Ende mit. Man ist bei Monte Christo, man bewundert ihn, man will ihn auf seiner Suche begleiten. Ich kann es kaum erwarten, den Film meiner Familie und meinen Freunden zu zeigen, damit ich meine Begeisterung mit ihnen teilen kann! Ich finde es großartig, dass es solche Filme gibt, nicht nur im französischen Kino: Filme, die uns die Kraft der Fiktion, der Romantik, der großen Gefühle bewusst machen.
Wie würden Sie die unabgeschlossene Geschichte zwischen Edmond und Mercédès beschreiben?
AD: Abgesehen vom Rachethema ist DER GRAF VON MONTE CHRISTO auch ein Film über die romantische Fantasie, über Geschichten, die nie verwirklicht wurden und die wir uns ein Leben lang erträumen. In Wirklichkeit haben Edmond und Mercédès nie aufgehört, sich zu lieben, er in den Tiefen seines Gefängnisses, sie in ihrem neuen Leben. Für mich ist Mercédès eine große Geliebte, ganz und gar, die bereit wäre, neu anzufangen. Aber ihre Liebe nimmt eine spirituelle Form an, weil Edmond ihr nicht wirklich eine Wahl lässt. Er ist nicht mehr ganz Edmond Dantès. Er ist ein anderer geworden. Auf der anderen Seite erweist er ihr einen Gefallen, indem er ihr die Wahrheit sagt und ihr offenbart, dass Fernand, der Mann, den sie schlussendlich heiratet, sie von Anfang an belogen hat. Für sie ist das schrecklich, aber auch der Beginn eines anderen Lebens, denn die Wahrheit ist befreiend und Mercédès kann keine Lüge nähren, indem sie akzeptiert, mit dem Mann zusammenzuleben, der Schuld an Edmonds Untergang trägt. Sie hat definitiv Klasse!
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Info:
Der Graf von Monte Christo (Frankreich, Belgien 2024)
Originaltitel: Le Comte de Monte-Cristo
Genre: Historiendrama, Literaturverfilmung, Abenteuer
Filmlänge: ca. 178 Min.
Regie: Matthieu Delaporte, Alexandre De La Patellière
Drehbuch: Matthieu Delaporte, Alexandre De La Patellière
nach dem ein Abenteuer- und Fortsetzungsroman von Alexandre Dumas dem Älteren. (1844 – 1846)
Darsteller: Pierre Niney, Bastien Bouillon, Anaïs Demoustier, Anamaria Vartolomei, Laurent Lafitte, Pierfrancesco Favino, Patrick Mille, Vassili Schneider, Julien de Saint Jean, Julie de Bona, Adèle Simphal, Stéphane Varupenne, Bruno Raffaeli, Bernard Blancan u.a.
Verleih: capelight pictures
Vertrieb: Central Film
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 23.01.2025