Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wir beziehen uns auf die Filmartikel dieser Woche Nr. 5 und 6, die zum einen den Regiekommentar von Frauke Lodders wiedergeben und den Film rezensieren, der an diesem Donnerstag anlief. Die Frankfurter Premiere mit anschließendem sehr interessanten und intensiven Publikumsgespräch fand zuvor am 22. Janaur statt. Und sagen wir es gleich vorweg: ein außerordentlich geglücktes Gespräch, vor allem wegen der unaufgeregten, sachlichen Aussagen der Regisseurin, aber auch der Hauptdarstellerin Flora Li Thiemann wegen, die das junge Mädchen Hannah verkörpert, deren ganzes Leben bisher von den strengen Regeln der evangelikalen Freikirche bestimmt war, bis sie auf Max (Michelangelo Fortuzzi) trifft, der im Film aus Frankfurt zuzog und hier ebenfalls anwesend ist.
Im vollbesetzten Cinema galten die ersten Fragen dann dem Schluß und der Frage, warum Hannah, die sich durch die aufkeimende Freundschaft mit Max auf den Weg gemacht hatte, ihren eigenen Gefühlen und Gedanken zu folgen, dann doch wieder zurück in die Fänge der Freikirche, sprich: ihrer Familie fällt. Ein Happy End hätte das Publikum lieber gehabt, also Hannahs Absprung aus der streng religiösen Familie, angeführt vom Vater (Mark Waschke) und der ihm in allem assistierenden Mutter (Bettina Zimmermann). Aber - und da ließen sich die Anwesenden dann schnell überzeugen-, den Absprung schaffen die wenigsten, es ist die Ausnahme, die Regel ist das Zurückfallen in die alten Verhältnisse. Filme zeigen gerne die Ausnahmen, weil das positiv ausgeht, aber dies schien der Regisseurin unehrlich. Ein Besucher bestätigte das, ihm war der Absprung aus derartiger religiösen Gemeinschaften gelungen, was ihm spontanen Beifall einbrachte. Ja, es muß sehr schwer sein, sich aus den emotionalen Abhängigkeiten, diesem Gemisch von Familie und religiöser Gemeinschaft freizukämpfen, sich zu emanzipieren: man ist erst einmal alleine.
Warum sie überhaupt auf das Thema gekommen sei und daraus einen richtigen Kinofilm gemacht habe, das seien doch Ausnahmen in Deutschland, meinten Besucher. Sie habe das Leben zwischen Glaube in Abhängigkeit von Freikirchen und Selbstbestimmung interessiert, wie es sei, wenn Kinder und Jugendliche nicht mehr hineinpaßten ins religiöse System, nicht mehr ‚funktionierten‘ und im übrigen sei es falsch zu glauben, daß diese nur in den USA eine solche Bedeutung hätten, während die beiden christlichen Kirchen Mitglieder verlieren, wachsen diese Klerikalen hierzulande.
Die Tragik von Hannahs Bruder, Timotheus (Serafin Mishiev), Timo genannt, nimmt im Film großen Raum ein, es ist ja auch eine, wenn ein Junge merkt, daß andere Jungen ihn erotisch anziehen, er aber in einer Umwelt lebt, wo das nicht nur verboten ist, sondern als krankhaft, ja kriminell hingestellt wird, weshalb Timo sich erst einer Konversionstherapie unterziehen muß und sich dann umbringt. Der Konflikt des Jungen, der ja die Eltern liebt, Respekt und Vertrauen hat, aber keinen Ausweg sieht, kommt im Film gut rüber. Timos Schicksal ist traurig, aber glaubwürdig, kommentieren Stimmen aus dem Publikum.
In welchem Ausmaß diese Familie sich total nach dem Vater richtet, den Mark Waschke konsequent als Bestimmter spielt, führte zur Frage, wie männerdominiert, wie patriarchalisch das Weltbild dieser ultrareligiösen Freikirchen ist. So wie dargestellt, empfinden alle, denn dieser Vater ist ein Überzeugungstäter, der glaubt, das Richtige zu tun. Er merkt die Widerstände, aber sie sind ihm Anlaß, diese zu überwinden, seine Familie auf den richtigen Weg zu führen, notfalls auch mit Gewalt, wie, als ihm seine kleine Tochter freudig mitteilt, sie habe im Kindergarten geheiratet, worüber er noch lächelt, aber auf die Frage, wen sie geheiratet habe und die Antwort: ihre Freundin Sabrina hört, die Hand ausholt und dem kleinen Mädchen eine knallt. Christliche Erziehung in seinem Sinn.
Es wurde noch sehr viel mehr diskutiert und es wäre auch noch länger weitergegangen, wenn nicht nach mehreren Stunden Film und Gespräch, einfach Schluß war.
Dieser Film und das anschließende Gespräch hatten sich gelohnt.
Fotos:
©Redaktion
Die Lichtverhältnisse ließen keine besseren Fotos zu