Bildschirmfoto 2025 02 07 um 06.58.11Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. Februar 2025, Teil 5

Redaktion

Afrika (Weltexpresso) - „Wenn die Geschichte schläft, spricht sie im Traum, auf den Brauen der schlafenden Menschen...“ (Octavio Paz, mexikanischer Schriftsteller und Diplomat) „Wir sind nicht zornig, Mann, wir sind wütend. Du kannst meinen Traum nicht länger aufschieben. Ich werde ihn singen, tanzen, schreien, und wenn es sein muss, werde ich ihn von dieser Erde stehlen!“ (Archie Shepp, amerikanischer Saxophonist)

Einleitung

Nachdem mich mein letzter Spielfi lm Shadow World (2016) um die Welt geführt hat, um die düstere Realität des internationalen Waffenhandels zu dokumentieren, hielt ich es für an der Zeit, die Schattenseite meiner eigenen belgischen Kolonialvergangenheit zu ergründen. Shadow World legte offen, wie die Interessen des militärisch-industriellen Komplexes, der Waffenhändler, Banken, Bergbauunternehmen und Politiker in einer Korporatokratie verwoben sind, die letztlich die Außenpolitik bestimmt. Der Krieg und seine ständige Bedrohung entpuppt sich als eine große Kurbel dessen, was man freie Marktwirtschaft nennt.
Obwohl es heute allgemein bekannt ist, dass Belgien sich Gräueltaten historischen Ausmaßes zuschulden kommen ließ, wurde über die Zeit der kongolesischen Unabhängigkeitserklärung noch immer verschleiert gesprochen. Als wir vor acht Jahren mit unseren Nachforschungen begannen, wurde schnell klar, dass die Ereignisse von 1960 denen von heute gleichen.


Charaktere

Als ich mich in die Materie vertiefte, stieß ich auf mehrere historische Persönlichkeiten, die in den belgischen Geschichtsbüchern als Schurken abgestempelt worden waren. Je mehr ich jedoch über sie erfuhr, desto deutlicher wurde, dass sie nicht die waren, die man uns glauben machen wollte. Eine der wichtigsten Figuren in der Geschichte von Soundtrack to a Coup d‘Etat ist Andrée Blouin. Blouin, die Tochter eines französischen Vaters und einer Banziri-Mutter, war eine leidenschaftliche Aktivistin, eine begnadete Rednerin und eine wichtige Beraterin der Führer der entstehenden panafrikanischen Bewegung. Sie war davon überzeugt, dass ein geeintes Afrika der beste Weg zu einem wirklich unabhängigen Afrika ist. Sie kam in den Kongo, um bei der Wahlkampagne des Mouvement National Congolais von Patrice
Lumumba zu helfen. Dort rief sie eine große emanzipatorische Frauenbewegung ins Leben, die, obwohl Frauen nicht wählen durften, wesentlich zu Lumumbas Popularität beitrug und ihm schließlich das Amt des ersten Premierministers des neuen unabhängigen Kongo einbrachte.

Es überrascht nicht, dass der belgische Geheimdienst versuchte, Blouins Einfluss zu neutralisieren, indem er sie als Kommunistin, als „Kurtisane“ der politischen Führer, die sie beriet, oder sogar als gerissene Femme fatale darstellte, die es auf jeden Mann abgesehen hatte. Als sich diese Verleumdungskampagnen als unwirksam erwiesen und sich Lumumbas Sieg abzeichnete, wiesen die Belgier Blouin einige Tage vor der Unabhängigkeit aus dem Land aus. In ihren Memoiren beschreibt sie, wie es ihr gelang, ihre Ausweisung als Waffe im Kampf gegen das verräterische Regime zu nutzen: Bevor sie das Flugzeug bestieg, verbarg sie ein geheimes Dokument in ihrem Dutt. Bei ihrer Ankunft in Europa sollte dieses Dokument beweisen, dass nicht Joseph Kasa Vubu (der von Belgien favorisierte Kandidat) sondern Lumumba das verfassungsmäßige Recht hatte, die Regierung zu bilden. Infolgedessen konnte Belgien Lumumba den Wahlsieg nicht mehr verweigern.

Im Film stehen Blouins Worte, die von der belgisch-kongolesischen Musikerin Marie Daulne, besser bekannt als Zap Mama (selbst Tochter eines belgischen Vaters und einer kongolesischen Mutter), vorgetragen werden, für den Traum von einem geeinten, unabhängigen Afrika. Die Geschichte von Blouin ist eng mit der von Lumumba verbunden, der sie zu seiner Protokollchefin (und Redenschreiberin) machte. Im Laufe ihres Lebens stand sie in engem Kontakt mit vielen anderen afrikanischen Führern, von Kwame Nkrumah bis Ahmed Sékou-Touré, Modibo Keïta, Gamal Abdel Nasser und Ahmed Ben Bella. Nach dem Staatsstreich gegen Lumumbas Regierung wurde sie erneut aus dem Land ausgewiesen. Danach verbrachte sie einige Zeit in Algerien und zog dann nach Paris, wo ihr Haus zu einem Zentrum der europäischen panafrikanischen Bewegung wurde. Sie starb dort 1986. 
Ihre Memoiren werden in diesem Jahr neu aufgelegt.

Eine andere Figur, die oft anders dargestellt wird als ich sie kennengelernt habe, ist der sowjetische Präsident Nikita Chruschtschow. Der Moment, in dem er demonstrativ seinen Schuh auf den Tisch der UN-Vollversammlung schlägt, wird immer als Beweis dafür dargestellt, dass er ein brutaler Clown, ein Schurke war. Ich jedoch habe diesen Akt als performativen Ausdruck seiner Empörung darüber verstanden, wie die Vereinigten Staaten die UNO-Politik im Kongo korrumpiert hatten. Im September 1960 war es Chruschtschow selbst, der die Staats- und Regierungschefs der Welt aufforderte, zum UN-Gipfel nach
New York zu kommen, um sich gemeinsam gegen die Kolonialisierung auszusprechen. Chruschtschow war es auch, der den UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld als „Lakaien der Imperialisten“ bezeichnete, nachdem dieser im Kongo eine Doppelzüngigkeit an den Tag gelegt hatte, die zum Sturz von Lumumba führte. Chruschtschow drängte daraufhin darauf, den schwedischen Generalsekretär, dessen Familie in kongolesische Minen investiert hatte, durch eine „Troika“ von Generalsekretären zu ersetzen, von denen jeder das repräsentieren sollte, was er als die drei großen Machtblöcke ansah: die Kommunisten, die Kapitalisten und die blockfreien/neutralen Nationen. Obwohl gewöhnlich so getan wird, als hätte diese Aktion keine Folgen gehabt (die Troika kam nie zustande), hat sie doch einiges in Bewegung gesetzt. Zum einen wurde die von Chruschtschow eingebrachte antikoloniale Resolution später ratifiziert, als sie von einer afro-asiatischen Koalition erneut eingebracht wurde. Als immer mehr nicht-westliche Nationen der UNO beitraten, erkannte Hammarskjöld, dass er sein Direktorium diversifizieren musste. Er sorgte fortan dafür, dass sich in seinem Gefolge auch Diplomaten mit nicht-westlichem Hintergrund befanden.

Conor Cruise O‘Brien, ein irischer Diplomat, wurde von Generalsekretär Dag Hammarskjöld mit der Leitung der UN-Friedensmission in Katanga beauftragt. Cruise O‘Briens 1962 erschienene Memoiren „To Katanga and Back: A UN Case History“ werfen ein neues Licht auf die dunkle Geschichte der Vereinten Nationen. Aufgrund seiner irischen Herkunft war Cruise O‘Brien der Wunsch nach Unabhängigkeit nicht fremd und seine schrullige Persönlichkeit machte es ihm schwer, sich dem Druck von oben zu beugen. In seinem Buch beschreibt O‘Brien den Völkermord von Balubakat - ein Massenmord durch belgische, französische, deutsche und südafrikanische Söldner - als „das Vietnam Belgiens“. Selten wurde die Art und Weise, wie Großmächte die UNO nutzen, um ihre Außenpolitik zu beeinflussen, besser                   dokumentiert.

1956, kurz bevor Ghana für unabhängig erklärt wurde, spielte Louis Armstrong in Accra vor vollem Haus, unter anderem für Kwame Nkrumah, den künftigen Präsidenten Ghanas. Vier Jahre später landete Armstrong während einer vom US-Außenministerium organisierten Tournee im Kongo. Seine Anwesenheit führte zu einem spontanen Waffenstillstand in der Schlacht, die das Ergebnis des Versuchs Belgiens war, die Kontrolle über seine alte Kolonie zurückzuerlangen. Es war eine Schlacht, die nur wenige Wochen nach der Unabhängigkeitsfeier begann. Von Leopoldville (heute Kinshasa) aus reiste Armstrong
nach Katanga, um vor den UN-Truppen aufzutreten, die dort stationiert worden waren, um die belgischen Soldaten zu vertreiben. Jüngste Untersuchungen haben ergeben, dass Armstrong von der CIA als trojanisches Pferd in Katanga eingesetzt wurde. Während Armstrongs Besuch lagen in Katanga 1500 Tonnen hochgradiges Uran unter der Erde. Da die CIA befürchtete, dass die Sowjetunion dies herausfinden würde, nutzte sie Armstrongs Auftritt als Tarnung, um den Uran-Transport in die USA unbemerkt vorzubereiten. Armstrong war jedoch nicht nur der unfreiwillige Spielball der amerikanischen Politik, sondern es
gab auch Momente, in denen der große Künstler aufhörte zu lächeln und seine Meinung sagte: Er weigerte sich, vor einem segregierten Publikum in Südafrika zu spielen, und als die Nationalgarde nach Little Rock, Arkansas, geschickt wurde, um schwarze Studenten am Betreten der Stadt zu hindern, brach Armstrong seine Tournee als Jazz-Botschafter in Russland mit den Worten ab: „Die Regierung kann zur Hölle fahren.“

Kunstinstitutionen wie das Museum of Modern Art waren Brutstätten der CIA. Radio und später auch das Fernsehen wurden systematisch eingesetzt, um das Publikum von ausländischen Interventionen abzulenken, die Empörung hervorrufen könnten. Ein gutes Beispiel ist der belgische König Baudouin, der sein Privatleben als Vorwand für die Gräueltaten im Kongo nutzte. Die Schlüsselmomente des Angriffs auf die gerade erst unabhängig gewordene Demokratie wurden mit Nachrichten über König Baudouin überdeckt, der nach Hollywood ging, sich dort „traf“, sich verlobte und schließlich Doña Fabiola de Mora y Aragón heiratete.

Eine weitere Hauptstimme im vielstimmigen Chor von Soundtrack to a Coup d‘Etat ist Malcolm X. Nachdem Fidel Castro aus seinem Hotel in Manhattan geworfen worden war, lud Malcolm X ihn ein, ins Hotel Theresa in Harlem zu kommen. Als die Führer des globalen Südens nach Harlem kamen, um Castro zu besuchen, wurde das Hotel Theresa zum Gipfel einer alternativen UNO. X nannte es eine „Bandung-Konferenz“ in Harlem. In dem Versuch, die Vereinigten Staaten wegen Menschenrechtsverletzungen vor den Internationalen Gerichtshof zu zerren, reiste er nach Afrika, um die afrikanischen Führer um Unterstützung zu bitten. X selbst sagte: „Solange wir denken, dass wir erst Mississippi in Ordnung bringen müssen, bevor wir uns um den Kongo kümmern, wird Mississippi nie in Ordnung gebracht
werden - nicht bevor ihr euch eurer Verbindung mit dem Kongo bewusst werdet.“

Schließlich gibt es das, was der kongolesische Schriftsteller In Koli Jean Bofane im Film als einen sich ständig weiterentwickelnden „Algorithmus der Congo Inc. bezeichnet: ein Algorithmus, der irgendwo zwischen Washington, London, Brüssel und Kigali perfektioniert wurde, wo die Congo Inc. zum globalen Lieferanten geworden ist, der strategische Mineralien liefert, um den Krieg in den Weltraum zu tragen.“ Die These von Congo Inc. ist, dass jeder große Krieg die Mineralien, die der Kongo lieferte, weitgehend verbrauchte und dank ihnen geführt werden konnte. Im Ersten Weltkrieg war es Kautschuk; im Zweiten
Weltkrieg war das hochwertige Uran, das damals nur im Kongo gefunden wurde, unerlässlich für den Bau der ersten Atombomben, die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden; 
in Vietnam war es das Kupfer der endlosen Kugeln, die dorthin verschifft wurden; und jetzt die strategischen Materialien, um den Krieg ins All zu tragen.

Der Film wurde zu einem Dialog und einer Zusammenarbeit mit Eve Blouin (Tochter von Andrée Blouin) und In Koli Jean Bofane, die uns großzügig ihre persönlichen Familienbilder und Heimvideos zur Verfügung stellten, die für die intime Poesie des Films unerlässlich waren.
 
Nie zuvor veröffentlichte Interviews wurden speziell für den Film beschafft. Dazu gehören auch die Reden von Patrice Lumumba, die verloren geglaubt, aber im Keller des AfricaMuseums in Brüssel entdeckt wurden. Darüber hinaus haben wir in Zusammenarbeit mit Planet Ilunga historische Rumba-Musikstücke gefunden, die von Sammlerplatten restauriert wurden.


Intention

Vielleicht hatte Mark Twain recht, als er sagte: „Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich oft“. Heute wie vor 60 Jahren gehen die Menschen auf der ganzen Welt auf die Straße, um gegen Ungerechtigkeit und Missstände zu protestieren. In der Zwischenzeit hat sich die Situation im Ostkongo kein bisschen verändert. Die Fäden werden nach wie vor von internationalen Bergbaukonzernen gezogen, die Söldner auf ihrer Gehaltsliste haben. Wie vor 60 Jahren wird der Wettbewerb zwischen den verschiedenen Supermächten aktiv in Angst umgewandelt, die wiederum zur Rechtfertigung einer kriminellen Politik genutzt wird. Eines ist klar: Der Kolonialismus ist nie verschwunden, er hat nur sein Gewand gewechselt.


Info:
EIN FILM VON JOHAN GRIMONPREZ
AB 06. FEBRUAR IM KINO
Dokumentarfilm, Frankreich/Belgien/Niederlande 2024, 150 Min.
Drehbuch und Regie Johan Grimonprez