
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Der deutsche Regisseur Tom Tywler eröffnet mit DAS LICHT die diesjährige Berlinale. Es ist üblich, daß Eröffnungsfilme nicht aus dem eigentlichen Wettbewerb kommen. LICHT ist Teil der Reihe BERLINALE SPECIAL, aber im Grund ist nicht zu verstehen, warum er nicht im Wettbewerb läuft? Auf jeden Fall hält Tykwer den Rekord, zum dritten Mal mit einem Spielfilm die Berliner Filmfestspiele zu eröffnen, nach HEAVEN aus dem Jahr 2002 und THE INTERNATIONAL 2009. Aber so richtig bekannt und in die Filmgeschichte eingegangen ist er mit LOLA RENNT aus dem Jahr 1998 mit Franka Potente und Moritz Bleibtreu, eine Renner bis heute.
DAS LICHT gibt wieder, was so unmittelbar, also knallhart, wohl noch nie in einem Film zu sehen war, welche Anforderungen wir an uns selbst stellen, aber auch von außen, beruflich, an uns herangetragen werden, die zu ständiger Überforderung führen, wenigstens sehr viele von uns, welche Überforderungen zusätzlich aus familiären Zwängen entstehen, wie wir diesen Aufgaben hinterherhecheln, Termine wahrnehmen, ständig unter Druck vor der nächsten Aufgabe und dann und das gilt besonders für die Frauen, dann noch zu Hause eine Familie glücklich machen sollen und durchaus auch wollen, aber gar nicht können unter solchen Voraussetzungen. Das kann nicht gut gehen und für diesen Aspekt, eine finanziell gutsituierte Mittelschichtsfamilie aus dem linksliberalen Mileu mit zwei Verdienern und Kindern unter heutigen großstädtischen Lebensbedingungen so ehrlich auf die Leinwand zu bringen, muß und möchte man Tom Tykwer loben.
Wie schade, wie außerordentlich schade, daß er auch seinen eigenen Film überfordert, einfach durch zusätzliche Themen, unentwegt neuen filmischen Einfällen, eine Ansammlung von visuellen Sensationen. Er setzt filmisch nämlich ein Ding an das andere, ein Thema an das andere, ein Problem an das andere in einem Film, der mit dieser Familie schon genug Stoff gehabt hätte. Da gibt es Tanzszenen in der Luft, die für sich possierlich sind, da gibt es Animationsszenen, da gibt es angebliche Selbstmörder im Dutzend, die am Strick um den Hals in der Öffentlichkeit hängen, da gibt es aber vor allem diese eigenartige Geschichte mit dem Licht als Heilung, die von der syrischen Putzfrau, nein eigentlich ist Farrah (Tala Al-Deen) Haushälterin und Beichtfrau für den einen und anderen der Familie, die sie gesundbeten will, damit die Familie glücklicher, ja endlich glücklich weiterlebe. Doch insgeheim will diese Farrah in die Vergangenheit eintauchen, um mit ihren Vorfahren Kontakt zu haben. Das Licht soll helfen und dafür braucht sie die Engels, erscheint aber unaufhörlich als die, die die Familie rettet.
Und da gibt es die ständigen Weltuntergangsszenen. Außer, daß es ständig regnet, was ja als Metapher reichte, wird die Familie mehrmals unter rauschendes Wasser gesetzt, sie könnten angesichts der Wassermassen wie in einem Aquarium – oder ist an einen Schiffsuntergang von Titanic bis zu den untergehenden Migrantenbooten im Mittelmeer gedacht - eigentlich gar nicht überleben, was sie aber tun. Ja, stimmt, an die Arche Noah muß man auch denken, aber das ist die eigene Hilflosigkeit, die dem undurchsichtigen Geschehen auf der Leinwand mittels durchsichtigem Wasser einen Sinn verleihen möchte.
Natürlich mußt man bei ‚Mittelschichtsfamilie‘ sofort an DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS denken, von Mohammad Rasoulof, der bei den Oscars für Deutschland antritt und vormacht, wie, auf eine Sache konzentriert, ein Film die Dimensionen des ganzen Lebens entfaltet und wie eine Wucht einschlägt. Privat und politisch. Und auch Tom Tykwer will ja mit seiner Familie nicht ein abseitiges Beispiel bringen, sondern einen Prototyp gesellschaftlich aufgeschlossener Leute, aus einem linken, aufgeklärten Milieu, die aus lauter Bemühen nicht zu dem Wesentlichen des Lebens kommen: nämlich gemeinsam als Familie miteinander zu leben. In einem Interview, eigentlich zur Bundestagswahl, hat Tykwer dazu gesagt: „Es fehlt der Kompaß...Wir hoffen, daß uns da jemand wieder auf Spur bringt, dabei müssen wir das natürlich unbedingt selbst machen, in einem wichtigen Miteinander. Und das Miteinander ist ja das, die utopische Kraft, die auch den Film ‚Das Licht‘ antreibt.“ Richtig gesagt, nur leider tut er es nicht. Tut Tykwers Film DAS LICHT das nicht.
Wunderbar, wie gesagt, wie der Film uns die Familie vorführt: die emsige, für alle und alles daseiende Mutter Milena Engels (Nicolette Krebitz), die mit Kulturprojekten nicht nur ihr Geld verdient, sondern innerlich total engagiert ist und ständig die Tasche mit den Papieren für ihre Projekte mit sich führt und der Vater, der in einem Unternehmen die Öko-Fahne hochhält und dort eine wichtige, weil produktive und anerkannte Rolle spielt, zudem seine Frau aufrichtig liebt, wie der Film an anderer Stelle zeigt. Das gilt für Milena auch, aber vor einigen Jahren lernte sie bei ihrer Arbeit in Afrika einen Mann kennen, mit dem sie nun ein Kind hat: Dio (Elyas Eldridge). Der Junge wächst bei seinem Vater, einem Afrikaner auf, hat aber die Schlüssel zur Wohnung seiner Mutter und pendelt. Und da sind die Kinder, die Jugendlichen, Frieda Engels (Elke Biesendorfer), die mit 17 Jahren gerade abgetrieben hatte, wovon nur Farrah weiß. Das Mädchen wird diese Tatsache der Mutter in der Kulminationsszene des Film entgegenschleudern, als ob diese an der Schwangerschaft schuld ist und so versteht Milena das auch. Der Vorwurf jedoch ist, daß die Tochter der Mutter die Schwangerschaft und den Abbruch als Strafe vorenthalten hat, als Beweis für die mangelnde Zuwendung zur und Aufmerksamkeit für die Tochter. Der juvenilen Sohn Jon Engels (Julius Gause) wird von Farrah zum Jagen getragen, zum erotisch-sexuellen, denn er traut sich die ganze Zeit nicht, auf Avancen eines Mädchens per sozialen Medien einzugehen, wozu Farrah ihn zwingt, was bei der Familienexplosion auch herauskommt, die auch deutlich macht, daß er seine Interessen außerhalb seiner Familie wahrnimmt und mit dem ganzen Lärm hier nicht so viel zu tun hat. Jungens eben.
Das ist eine Szene, die nach SZENEN EINER EHE von Ingmar Bergmann nun getrost SZENEN EINER FAMILIE hätte heißen können, und ein so toller Film geworden wäre, würden nicht die ganzen Zugaben das Wesentliche verschleiern, verdünnen, vor allem verwässern (siehe unten). Nein, daß Milena wegen der Mittelstreichungen nach Afrika fliegt, nach Nairobi, wo ein Vorzeigeprojekt, ein Theater, nun nicht weitergeführt werden kann (und sofort muß man, unvergessen und mit Schmerz, an Christoph Schlingensief denken, auch wenn es ein anderes afrikanisches Land war), das gehört dicht zur Geschichte, weil es eben auch Hoffnungen gibt. Nach Hölderlins »Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch« muß Milena in Kenia das Ende des Theaterprojekts mitteilen, hört dort aber, daß ein einheimischer Geldgeber gerade 80 000 Euro dafür gespendet hat, mehr Geld als das aus Berlin, das Projekt also fortgesetzt wird. Genau, solche Miß- und Erfolgserlebnisse, die gehören auch zum Familienleben, kommen aber hier doch etwas zu geballt daher. Daß gleichzeitig Vater Tim entlassen wird und durch zwei junge Chinesinnen ersetzt wird, kommt einem dann zusätzlich doch als etwas sehr willkürlich vor, aber gut, es soll ja der absolute Tiefpunkt der Familie gezeigt werden.
In der Wirklichkeit sind das die Verhältnisse, wo Familien oft – nein, nicht immer! - auseinanderbrechen. Hier werden sie dank Farrahs flackernder Lichttheorie/Lichtpraxis und den dramatischen Folgen zusammengeschweißt. Die Rolle der Farrah ist mehr als undurchsichtig, ja mehr als zwielichtig. Denn sie, eine Studierte, ist mit Familie aus Syrien geflohen, hier als Flüchtling anerkannt, aber ihre Familie reagiert auf das Lichtsymposion – vor jedem steht eine runde flackernd Lampe – noch verstörter als Familie Engels. Da ist etwas ungesagt Mystisch-Mythisches-Urgründiges-Dunkles zu Gange, obwohl das Licht ja auf Wahrheit hinweist, auf Klarheit, auf Sezieren, selbst wenn es künstlich erzeugt wird und es eine buddhistische anerkannte Lichttherapie als Heilung gibt, die aber mit dem Geflacker hier nichts zu tun hat. Für das nämlich gibt es eine von den Berufsverbänden akzeptierte Frühpensionierung, wenn flackerndes Licht Bestandteil der Arbeit wird, weil es Epilepsie und andere Krankheiten fördert. Und hier heilt es? Seltsam.
Bleibt noch der kleine Dio, dessen Vater Milena mitteilt, daß er nach Afrika zurückgehe, er fühle sich dort einfach wohler, Berlin sei nichts für ihn, er habe den Jungen bisher erzogen und der gehöre hierher, der Schule wegen, der Sprache, er sei einfach in Berlin zu Hause und nicht in Afrika. Dies versteht folgerichtig Milena richtig, daß sie nämlich ab jetzt das alleinige Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn in Berlin ausüben muß. Das wird so nebenbei abgehandelt und gibt dem Afrikaner bei aller Akzeptanz seiner Motive doch keine Substanz, er, seine Geschichte, sein Vatersein wird im Film irgendwie nicht zum Thema.
Ein Wort noch zu den schauspielerischen Leistungen. Die sind alle gut, das Verhältnis der beiden Eheleute sowieso und daß Lars Eidinger sich so zurücknehmen kann, wie es Vater Tim tut, ist eine Überraschung, eine gute. Die Last von Familie und Film liegt wirklich am stärksten auf Milena und wie Nicolette Krebitz diese Erschöpfung, diese unendliche Müdigkeit in ihrem Gesicht widerspiegeln kann, ist ganz große Schauspielkunst. Hut ab.
Foto:
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Info:
Besetzung
TIM ENGELS LARS EIDINGER
MILENA ENGELS NICOLETTE KREBITZ
FARRAH TALA AL-DEEN
FRIEDA ENGELS ELKE BIESENDORFER
JON ENGELS JULIUS GAUSE
DIO ELYAS ELDRIDGE
GODFREY TOBY ONWUMERE
KARIM MUDAR RAMADAN
ALIA JOYCE ABU-ZEID
Stab
Drehbuch und Regie TOM TYKWER