
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – So einen Bruder möchte ich auch haben. Einer, der so reich ist, daß er mir alle Sperenzchen bezahlt, mit dem Vater Stiftungen unterhält, wo ich, die Tochter und Schwester, die große Nummer bin, im Kunstbereich natürlich, weil ich da mit den Sponsoren auch die schönsten Theater-Opern-Tanzaufführungen mitbekomme und immer bewundert werde ob meines Engagements und meiner Kleidung, Haute Couture oder zumindest auffällig. Ein Bruder, der mich dann auch noch rausholt aus dem selbstverschuldeten Unglück, ich: Jennifer McCarthy (Jessica Chastain).
Sie geben sich nichts, die beiden Protagonisten, eine gut erhaltene, reife reiche Frau, offiziell geschieden, Society-Erbin und Philanthropin,und der junge Spund Fernando Rodríguez (Isaac Hernández) aus Mexiko, der eine Tänzerkarriere vor sich hat. Sie sind beide in einem Ausmaß übergriffig gegeneinander, bis, wenn am Filmende Schluß mit lustig ist, sich zeigt: ja, so sind sie, die weißen reichen US-Tussis, wenn sie ihren Spaß gehabt haben und es nicht mehr läuft, wie geplant, schlagen sie beinhart zurück und lassen so einem Tänzer auch mal das Bein zertrümmern. In London, weitab vom Schuß.
Das ist ein Film, der ernsthaft als Migrantenfilm anfängt, zum Liebesfilm wird, der aber eher eine Amour fou darstellt und sich zum Soft Porno steigert – nie und nimmer ein US-Film, denn man sieht Brustwarzen, einen nackten Hintern, Beischlaf, igitt –, dann mausert sich der Film zum anspruchsvollen Tanzfilm, unvermutet wieder Migrantenfilm, dann wieder Liebesfilm, bis er dann zum echten Thriller in Europa wird und als menschliches Drama endet.
Wenn wir anfangs die im Laster eingeschlossenen Flüchtlinge sehen, die um Hilfe schreien, denkt man an die hiesigen Migrantenfilme, denn so beginnen die Filme über in Spanien oder Italien Gestrandete. Aber wir sind in den USA, wo für Geld Mittel- und Lateinamerikaner heimlich in die USA verschoben werden, genau das, was Trump verhindern möchte. Der junge Kerl da ist völlig abgerissen, ohne Papiere oder Gepäck , nur ein T-Shirt und Hosen hat er an. Als er auf der Straße mitgenommen in San Francisco landet, da trinkt er erst in einem Lokal den Rest im Glas eines gegangenen Gastes aus. Er ist durstig und natürlich denkt man, jetzt ein Migrantenschicksal zu erleben. Doch es kommt völlig anders. Er weiß, wo er hinwill, eine edle Gegend, er klingelt, niemand öffnet, doch er weiß, wo der Schlüssel versteckt ist, öffnet die Türe und wir sehen weit über die Stadt in einem perfekten Haus, in dem er sich gut auskennt. Jeder rennt übrigens beim Hineinkommen in eine Wohnung erst einmal zum Kühlschrank und trinkt etwas!
Und dann kommt sie, seine Sponsorin und Mäzenin und mehr. Beide fallen sich in die Arme, denn jetzt beginnt die leidenschaftliche Romanze. Aha, er ist ohne ihr Wissen auf diesem gefährlichen Schleuserweg gekommen. Doch erst einmal Liebe. Bis das Leben zuschlägt. Er fühlt sich im Käfig, denn sie muß ihn angesichts ihrer gesellschaftliche Rolle und Bekanntheit verstecken. Wie sieht das auch aus, wo sie seine Mutter sein könnte. Doch das verletzt seinen Stolz und er haut ab, will zwar in den USA bleiben, aber seinen eigenen Weg gehen. Das kann sie nicht zulassen, sie spioniert ihm nach, entdeckt seine Arbeit als Hausbursche, er lehnt sie ab und erst, als sie ihm eine Karte für eine Ballettaufführung zukommen läßt, die er auch besucht, ist alles wieder gut.
Aha, er ist Ballettänzer. Und was für einer. Er hatte nämlich bei anderer Gelegenheit vor dem Theater ein Tänzchen gewagt, was ein bekannter Impressario sah und ihm anbot, in seiner Company zu trainieren. Das läßt er sich nicht zweimal sagen, tanzt dort um sein Leben und wird flugs für die männliche Hauptrolle engagiert. Doch, bevor es zur Premiere kommt, erscheinen Polizisten, die ihn nach Mexiko abschieben. Dort an der Grenze erscheint auf einmal ein Anwalt, der ihn herausboxt, zurück zur Mäzenin und Liebhaberin bringt, die schon Flüge gebucht hat nach London, wo – die Familie hat überall Luxushäuser, in Mexiko und London eben auch – sie endlich unbeobachtet glücklich sein können. Könnten. Sie will, daß er hier bleibt, hier tanzt, sie muß nur zwischendurch in New York was erledigen, kommt dann wieder – so sind ihre Pläne. Doch seine sind, richtig mit ihr zu leben und damit sie begreift, daß sie ihn nicht so herumkommandieren kann und er ernsthaft mit ihr will, macht er aus ihren Haus ein Gefängnis, sperrt sie ein und wimmelt alle Besucher ab. Sie hockt im Patio und einem Zimmer. Er bringt ihr Essen. Ihr Telefon hatte er ihr schon lange abgenommen.
Da taucht als Deus ex machina der Bruder auf, der von seiner Schwester nichts gehört hatte. Er befreit Jennifer und will von ihr wissen, was mit dem Kerl geschehen soll. Sie flüstert, er gibt es weiter und seine Gorrilas zerschlagen des Tänzers Bein. Wir hören nur sein Gebrüll. Filmende.
Hätte er mal lieber auf Wolf Biermann gehört, der in seiner Kleinbürgerweisheit doch sagt: „Nicht zu hoch hinaus, es geht übel aus“. Dort nämlich ist es eine Nachtigall in Sibirien, die sich über die Sonne so freut und jubiliert und immer höher steigt, bis sie in den eisigen Schichten zum Eisklotz erfriert und auf die Erde knallt. Dort aber kam eine sibirische Kuh des Weges, die auf Sibirischer Erde soeben einen dampfenden Fladen von sich gab , so daß die Nachtigall sofort auftaute und zu singen, ja zu jubilieren anfing. Da kam eine sibirische Katze des Wegs, schnappt sich die jubilierende Nachtigall und verspeiste sie. Daraus resultieren vier Kleinbürgerweisheiten.
Nicht zu hoch hinaus, es geht übel aus.
Wenn Du schon in der Scheiße sitzt, dann fang nicht gleich an zu singen.
Nicht jeder, der auf Dich scheißt, ist Dein Feind.
Nicht jeder, der Dich aus der Scheiße holt, ist Dein Freund.
Daran hätte Fernanfdo vorher denken sollen.
Foto:
©Berlinale
Info:
Stab
Regie Michel Franco
Buch Michel Franco
Darsteller
Jessica Chastain. (Jennifer McCarthy)
Isaac Hernández. (Fernando Rodríguez)
Rupert Friend (Jake McCarthy)
Marshall Bell. (Michael McCarthy)
Eligio Meléndez. (Fernandos Vater)
Mercedes Hernández (Fernandos Mutter)