
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Fast körperlich weh tut es einem, wenn man das Versagen des jungen Lehrers Ari (Andranic Manet) miterlebt, der Grundschülern etwas vermitteln will, in einer Ausführlichkeit, die die noch jungen Schüler nicht die Bohne interessiert, weshalb sie über Tisch und Bände springen, was deshalb so fatal ist, weil es wohl eine Prüfungsstunde ist und der junge Lehrer trotz Hilfestellung, worauf er sich konzentrieren soll, z.B. das angekündigte Gedicht endlich vorzulesen, immer nur den Anfang wiederholt und dann das tut, was das Beste ist: er fällt in Ohnmacht und wacht im Krankenhaus wieder auf, wo er nach zwei Monaten kerngesund entlassen wird. Nur Schule kommt für ihn nicht mehr in Betracht.
Mit kleinen Kindern in der Kita geht es besser, denn da sehen wir ihn wirken, sind in Lille, wo auch sein Vater zu Hause und er aufgewachsen ist, noch viele Freunde hat, auf die er nun angewiesen ist, weil es dem Vater zuviel wird. 27 Jahre ist der Kerl, hat Lehrer studiert, alles vom Vater finanziert, der arbeitslos wird und genug hat, den Sohn rauswirft. Nun ist Lille sein Zuhause und er klappert seine Freunde ab. Das ist insofern interessant, weil wir die Lebenswirklichkeit junger Franzosen und Französinnen mitbekommen, wobei man schon hinzufügen muß, einer gewissen Schicht, wo über Eltern oder sonst wen ein Grundeinkommen vorhanden ist. Denn was die junge Frau da am Anfang plappert, die für sich erklärt, arbeiten zu gehen, sei für sie vorbei, sie hätte Wichtigeres zu tun, was sich als Denken, Fühlen und vor allem sich selber Fühlen herausstellt, ist schon eher pubertär.
Seine Freunde und Freundinnen, bei denen er übernachten will und muß, haben eigentlich alle einen Spleen. Das denkt nicht nur die Zuschauerin, das denkt auch der Protagonist, denn er haut dauernd nach einem nicht einverständigen Gespräch ab. Zwar bleibt er ziemlich stumm, läßt die anderen reden, aber ist mit ihren Reden nicht einverstanden und wandert weiter zum nächsten Freund, bei dem er pennen darf. Einen Hauptteil nimmt dann der Freund seit der Kindheit, Jonas (Théo Delezenne) ein, den er in einem Kunstmuseum in Lille wiedertrifft. Vor einem Portrait, das einen nachdenklichen jungen Mann zeigt, so in der Pose der italienischen Renaissance, aber romantisch verbrämt. Ari erkennt sich in dem jungen Mann wieder und bleibt zwei Stunden vor ihm sitzen..
Wichtiger aber sind die Filmsequenzen, die dann kommen. Es ist nämlich offensichtlich, daß Jonas mehr als ein Problem hat. Er produziert sich in einem Ausmaß, daß man ihm psychotherapeutische Hilfe andienen möchte, erzählt dummes Zeug, ist aber ein interessanter Typ, schon einfach, weil er nicht 08/15 ist. Er kommt aus reichem Haus und als beide sich dann doch streiten, wirft er Ari Sachen an den Kopf, die keiner gerne hören möchte, der aus den sogenannten niederen Schichten aufgestiegen ist durch Bildung und vielleicht auch deshalb heute Bildung weitergeben möchte.
Diese Szenen sind, wie gesagt, interessant und das sozial schlechte Gewissen merkt man Jonas auch an, denn er drängt Ari fast den Schlüssel zum Haus am Meer auf, damit er endlich wo schlafen kann, ohne dauernd erwarten zu müssen, daß die Freundschaft zu Ende ist und er rausfliegt.
Man hatte übrigens in den Szenen mit seinem Vat3er diesen als einen vernünftigen Mann eingeschätzt, der völlig zu Recht seinem Sohn sagt, daß er nach der Finanzierung seines Studiums durch ihn jetzt alleine zurechtkommen müsse. Und er spricht auch von Clara und seiner Hoffnung auf Enkel.
Das Eigentliche nämlich kommt erst noch und schält sich durch die Bemerkungen der Freunde später heraus. Ari war mit Claraliiertund als sie überraschend ein Kind erwartete und es abtreiben lassen wollte, ging er weg und hatte seither auch keinen Kontakt zu ihr. Sie ist gerade wieder nach Lille gekommen, arbeitet als Theatertherapeutin, studiert Stücke ein und als er sie wiedersieht, freut das beide und im Telefongespräch mit ihr erfährt er, daß sie das Kind damals ausgetragen hatte, ein zweijähriges Mädchen, er also Vater ist und daß sich beide auf ihn freuen.
Als Ari in der nächsten Szene im Zug sitzt, denkt man, aha, jetzt fährt er zu ihr und hat endlich die Orientierung in seinem Leben gefunden, die er braucht. Das wäre ein organischer Schluß, der dem Betrachter zumutet, aber ihm auch die Freiheit gibt, sich in seiner Phantasie das Zusammentreffen mit Mutter und Kind auszumalen und welchen Einfluß das auf sein weiteres Leben hat.
Doch es kommt unnötigerweise anders. Das wirkt wie eine Verlängerung und lenkt eher ab. Ari fährt nämlich in das Haus am Meer, brät sich dort Krabben oder anderes Seegetier, trinkt Champagner, denn sein Freund ist ja reich und gut ausgestattet. Dann entdeckt er im Garten einen Mann, der sich als Gärtner vorstellt, den er zum Essen und Trinken einlädt, was der als erotische Anbahnung ansieht, denn er ist schwul. Ari aber nicht. Und so umarmen sie sich innig, wenigstens das und höchstens das. Dann kommt noch der Vater dran und jetzt hat der Zuschauerin eigentlich keine Lust mehr, weil der Film den Schluß, den man innerlich in der eigenen Phantasie längst selbst vollzogen hatte, ausdehnt und übererzählt. Schade.
Ein Wort noch, wie französisch dieser Film ist. Es wird unaufhörlich geredet. Dialoge über Dialoge. Das ist das eine. Das andere ist die langsame Art des Erzählens, die in schönen Bildern eine schlichte Geschichte erzählt, die
Foto:
©Berlinale
Info:
Stab
Regie Léonor Serraille
Buch Léonor Serraille
Besetzung:
Andranic Manet(Ari)
Pascal Rénéric(Aris Vater)
Théo Delezenne(Jonas)
Ryad Ferrad(Ryad)
Eva Lallier Juan(Clara)
Lomane de Dietrich(Aurore)
Mikaël-Don Giancarli(Gärtner)
Clémence Coullon(Irène)