wireDie 75. Internationalen Filmfestspiele Berlin, BERLINALE 2025, Vor dem Wettbewerb Teil 11

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) –  Spannend, was die chinesische Regisseurin Vivian Qu, die in Berlin keine Unbekannte ist, uns als Leben im heutigen China präsentiert, obwohl das nur zur Hälfte richtig ist. Nein, spannend bleibt es, aber die Geschichte pendelt zwischen den 90er Jahren und zehn Jahren später. Und schon wieder geht es letzten Endes um Familie, Familienbande, Familienfehden und was man tut, wenn Teile der Familie dysfunktional nicht nur sich selber zerstören, sondern die Familie eben mit.

 

Das ‚schon wieder‘ bezieht sich auf den ersten chinesischen Beitrag, in dem die Familie auf dem Land 1991 für das Kind derer sorgt, die in die Stadt zum Geldverdienen gezogen sind. ABER und das ist ein großes ABER, es lassen sich außer dem Thema Familie keine Parallelen zwischen den Filmen ziehen. Umgekehrt ist richtig, es sind in Machart, Genre, Kamera, Personal rundherum entgegengesetzte Filme. Und dies bestätigt die Regisseurin insofern, als durch die Änderungen in den Familienbeziehungen, die zunehmende Entwertung alter Werte, sich die bisherigen Rollen in den Familien in China seit den Neunzigern in einem rasanten Wandel befinden. Und dieser Film liegt genau an der Schnittstelle, wo noch tradierte Werte gelten und von den Familienmitgliedern geleistet werden sollen, wo aber längst die einzelnen Personen ihr eigenes Leben und ihre eigenen Vorstellungen vom Leben haben – und so auch leben, mit einem Wort: das ist ein Film von starken Frauen!

 

Das gilt auch für Tian Tian, die zu Beginn verschleppt und festgehalten wird, weil ihr Vater, ein drogenabhängiger Nichtsnutz, dem Verbrecherkartell Geld nicht zurückgibt, einfach, weil er es für Drogen ausgegeben hat. Doch die junge Frau, die längst Mutter einer fünfjährigen Tochter ist, ist schlau, überwältigt den Peiniger, haut ihm eine Eisenstange über den Schädel und ist weg. Er ist tot. Sie flieht zu ihrer Cousine, von der sie weiß, daß sie bei Filmaufnahmen in der Stadt gefährliche Stunts vollbringt. Und weil sie eben wirklich schlau ist, findet sie sie auch in dieser riesigen Filmstadt, wo mehrere Filme gleichzeitig gedreht werden. Stark, wie nun die Dreharbeiten für einen Film dafür benutzt werden, die Fähigkeiten von Cousine Fang Di aufzuzeigen, die von enormer Höhe tief ins Wasser springen muß und dann urplötzlich aus diesem auftaucht und blitzschnell auf dem nächsten Dach landet, das Schwert in der Hand. Einmal, zweimal, fünfmal...es hört nicht auf und die völlig unterkühlte Schauspielerin hat längst genug, macht aber weiter. Ein eisenharter Mensch, erfährt man, aber mit einer weichen Seele für ihre Cousine, wie sich dann zeigt. Doch das wird erst später klar.

 

Der Film spielt nun mit der Vergangenheit und man muß höllisch aufpassen, daß man die Ebenen auseinanderhält, die eigentliche Erzählung mit den Cousinen, damals und heute und dann auch noch die gegenwärtigen Dreharbeiten zum Film. Dadurch gelingt es der Regisseurin, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten und die zunehmende emotionale Bindung der Zuschauer an ihre beiden Heldinnen herzustellen. Was sind das aber auch für tolle Frauen, die nun damit zu tun haben, daß die Gang, der der Junkievater von Tian Tian viel Geld schuldet, dafür Tian Tian festhielt, die ja fliehen konnte, so daß sie von den Unholden, den Triaden jetzt erst recht gesucht wird. Ihr Schicksal ist klar, sie soll für den Vater, aber auch für den von ihr umgebrachten Gangster sterben.

 

Zu Hause gibt es zudem noch die Mutter von Fang Di, die durch ihren Wahn, tolle Kleidergeschäfte führen zu wollen, zum Ruin beiträgt, der allerdings auch bedingt ist durch die abwesenden bzw. nicht zum Unterhalt beitragenden Männer. Daß chinesische Filme in derartiger Eindeutigkeit Männer unter den Tisch fallen lassen, bzw. als Gangster und Versager sowie Junkie auftreten lassen, ist schon interessant.

 

Das ist das dritte Mal bei bisher neun Filmen, daß Filmemachen im Film eine Rolle spielt. Aber noch viel öfter handeln die Filme von starken Frauen, die entweder ohne Männer oder gegen sie agieren, das heißt deren Unheil heilen müssen , was unter Opfern gelingt. So auch hier.

 

Der Film gibt visuell viel her, allein die Wasserszenen sind phänomenal, aber auch ansonsten ist die Kamera viel unterwegs und ständig in Bewegung. Überhaupt ist hier alles ständig in Bewegung und auch darin das Gegenteil vom ersten chinesischen Beitrag, der von der Ruhe der Natur lebt. Dunkel ist es hier auch noch, denn in den Farben spiegeln sich die Hoffnungslosigkeit der Protagonisten, die aber dennoch Widerstand leisten, aus Prinzip und auch, weil sie selbst erleben: WER SICH NICHT WEHRT, LEBT VERKEHRT.

 

Foto:
©Berlinale

Info:
Stab
Regie.  Vivian Qu 
Buch.   Vivian Qu
Kamera.    Zhang Chaoyi

Besetzung
Liu Haocun. (Tian Tian)
Wen Qi. (Fang Di)
Zhang Youhao(. Ming)
Zhou You.  (Tian Tians Vater)
Peng Jing(.  Fang Dis Mutter)
Yang Haoyu. (Bin)
Liu Yitie(.  Tie)
Geng Le.  (Mr. Hu)

 

 

 

 

Die Cousinen Tian Tian und Fang Di sind wie Schwestern aufgewachsen, bis familiäre Probleme sie auseinandertrieben. Fang Di zog fort, um als Stuntfrau in Chinas größten Filmstudios zu arbeiten und mit ihrem Verdienst die Schulden ihrer Familie zu begleichen. Tian Tian blieb zurück. Sie muss mit der Drogenabhängigkeit ihres Vaters leben und gerät in die Fänge der örtlichen Mafia. Als sie zur Flucht in die große Stadt gezwungen wird, sucht sie ihre Cousine auf. Widerwillig vereint und von der Mafia verfolgt, müssen sie all ihre Kräfte und ihren Mut zusammennehmen, um einem dramatischen Schicksal zu entgehen, das sie beide zu ereilen droht.

 

 

 

 

 

 

 

 

Stab

  • Regie
    • Huo Meng
  • Buch
    • Huo Meng
  • Kamera
    • Guo Daming

 

 

Mit

  • Wang Shang(Xu Chuang)
  • Zhang Chuwen(Li Xiuying)
  • Zhang Yanrong(Mrs. Li-Wang)
  • Zhang Caixia(Sun Guilan)
  • Cao Lingzhi(Wang Cuifang)
  • Zhou Haotian(Jihua)
  • Jiang Yien(Laidan)
  • Wan Zhong(Tuanjie)
  • Mao Fuchang(Gongchang)
  • Yang Kaidong(Fuhe)