droemerDie 75. Internationalen Filmfestspiele Berlin, BERLINALE 2025, Wettbewerb Teil 18

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) - An diesem Tag werden zwei Wettbewerbsfilme etwas völlig Unterschiedliches zeigen und dennoch vom selben Hintergrund künden: Gefühlen nämlich. Der zweite handelt von einem älteren Mann, einem Emigranten aus dem Arabischen, der nicht nur Heimweh, sondern Lebensweh hat, während dieser hier von einem jungen Mädchen in Norwegen erzählt, die von Mutter und Großmutter geliebt, sich zum ersten Mal verliebt und sich mit diesem Gefühlswirrwarr erst einmal zurechtfinden muß.

Das ist Film, der so gradlinig daherkommt, die erste Liebe ist doch etwas, was jeder als sehnsuchtsvoll, aber oft schmerzvoll erlebt, was der Filminhalt im Geschehen dann widerspiegelt. Der Filmgehalt aber, also das, worum es in der Tiefe geht, der heimliche Lehrplan und das Eigentliche, ist jedoch viel größer und allumfassender: nichts anderes als Wie es zu Gefühlen kommt, wie diese einen in eine neue Welt eintreten lassen, wie es dann ist, diese Gefühle los zu lassen, sie geschehen zu lassen und was passiert, wenn diese Gefühle abflauen, vergehen, ja auf einmal weg sind.

Das klingt so gelassen und natürlich ist es keine Lebensweisheit, von der die siebzehnjährige Schülerin Johanne (Ella Øverbye) schon irgendetwas weiß. Erst ahnt sie noch nicht einmal, daß sie sich in ihre neue Französischlehrerin Johanna (Selome Emnetu) verliebt. Sie bewundert sie und auch ihre wirklich attraktiven phantasievollen Strickoberteile. Sie möchte einfach mehr mit ihr zu tun haben, als nur in der Schule ihre gute Schülerin zu sein. Sie führt für sich Tagebuch und wird erst eines Tages merken, daß sie sich in Johanna verliebt hat. Die erste Liebe gilt also einer Frau, ihrer Lehrerin. Das ist nicht neu. Das war beispielsweise schon filmisch Thema im Film MÄDCHEN IN UNIFORM, wo Romy Schneider die Schülerin spielt, die sich in ihre Lehrerin, dargestellt von Lilli Palmer, verliebt. Damals, 1958, allerdings war dies eine mehr als heikle Angelegenheit.

Aber dies hier ist eine ganz andere Geschichte in einer wohlhabenden Mittelschichtsfamilie in Norwegen. Wir erleben, wie Johanne bei ihrer Mutter kein Gehör findet, die am Rechner mit der Welt kommuniziert und keine Aufmerksamkeit für die Tochter hat. Die besucht die Großmutter, der sie sehr zugetan ist und die sie warmherzig in ihren Gefühlen bestärkt. Sie läßt sie auch den Text lesen, den sie als Mischung aus Tagebuch und Romanhandlung verfaßt hat und der bei der Großmutter einschlägt wie eine Bombe. Das Kind ist erwachsen und die Mutter muß davon erfahren. Sie hat also für Johanne zwei Botschaften, wie erlaubt es ist, sich zu verlieben, daß sie dies aber ihrer Mutter erzählen muß und es selber tun wird, wenn Johanne nicht selbst aktiv wird. Im Manuskript steht genau das, was wir vorher als Film gesehen haben, nämlich, wie die Lehrerin Nähe zuläßt, aber nichts Intimes von sich gibt und die Bewunderung des Mädchens erst einmal als gegeben ansieht, ihr tatsächlich Stricken beibringt, dann aber, als ihr die liebende Zuneigung schwant, von sich aus den Kontakt erst reduziert, dann abbricht, was als Liebesschmerz Johanne zum Niederschreiben bewegt, eben das, was die Großmutter fassungslos gelesen hatte. So gut ist der Text, aber auch so gefährlich. Ist da Mißbrauch im Spiel und Schlimmeres? So reagiert erstmal die erschütterte Mutter, die aber beim zweiten Mal Lesen nicht nur ihre Tochter umarmt, wegen deren Fähigkeiten zu empfinden und dafür Wort zu finden, sondern in ihr auch ein so großes Talent entdeckt, daß diese Schrift unbedingt als Buch veröffentlicht werden soll. Aus der nachlässigen Mutter ist eine zugewandte und lebensbejahende Frau geworden.

Dazu im Gegenteil die Großmutter. Die, die zuerst für das Publizieren war und ihre eigene Verlegerin vorgeschlagen hatte, ist, anders kann man das gar nicht interpretieren, neidisch und eifersüchtig, wie die Enkelin mit Sprache umgeht, was doch eigentlich ihr Revier ist. Sie ist die Dichterin, die aber der Sprache die Wort abringen muß, harte Arbeit, Worte, die der Enkelin nur so flüssig von der Hand gehen.
Nein, dieser Text kann nicht veröffentlicht werden, meint sie und hat damit ihr Gesicht vom Anfang, als sie die Enkelin ermutigte, verloren.

Was sich hier offenbart ist ein Grundproblem von Literatur. Ob nämlich ein konstruiertes Leben, also ein Leben, das literarisch erschaffen wird, das eigentliche Leben der Protagonistin ersetzen kann, ja sogar besser ist, oder ob die Beschreibung der Wirklichkeit wie hier, also das nachträgliche Reflektieren und Aufbereiten der Gefühle der bessere Teil ist.

Natürlich ist das nicht generell zu entscheiden, es gibt Dichter und Schriftsteller, die ihre Geschichten erfinden und es gibt auch welche, die ihr eigenes Leben immer miterzählen. Auf jeden Fall wird Johannes Geschichte als Buch veröffentlich und wird ein Erfolg.

Gefühlt war der Film damit zu Ende, aber es folgt ein Abschluß, der eine weitere, ja geradezu dramatische Gefühlsebene offenbart. Johanne hat inzwischen einen Freund und macht eine Therapie, weil das Mutter und Großmutter gut fanden. Unten steht ihr Freund, doch muß der weiter warten, weil sie den Sticker mit ihrer Geschichte oben vergessen hatte. Also geht er schon vor und als sie klingelt, kommt aus der Nachbarwohnung die Frau heraus, die ebenfalls bei einemTherapeuten ihren Schmerz verarbeiten wollte. Sie wollte mit Johanna eine Liebesbeziehung, doch die hatte längst eine feste Geliebte. Johanne erkennt die Frau als die, auf die sie eifersüchtig war, als diese zur Lehrerin kam, die deshalb Johanne wegschickte. Nun schaut Johanne dieser tief in die Augen, als diese sie im Treppenhaus anspricht, entdeckt dort etwas, was ihr viel sagt, vergißt ihren vergessenen Sticker mit dem Buchtext und damit ihre bisherigen Gefühle und Erfahrungen und geht mit dieser Frau einen Kaffe trinken, was für uns der Code für eine Beziehung wird. So ist das eben mit dem Kommen und Gehen von Gefühlen.

P.S. TRÄUME  ist der dritte Teil einer Trilogie, die mit dem ersten Teil SEX begann und in der Sektion PANORAMA der letztjährigen BERLINALE aufgeführt wurde. Der zweite Teil LIEBE wurde bei den letztjährigen Filmfestspielen von Venedig gezeigt. 

Foto:
©Berlinale

Info:
Stab
Regie.   Dag Johan Haugerud
Buch.    ◦Dag Johan Haugerud
Kamera. Cecilie Semec


Mit
• Ella Øverbye(Johanne)
• Selome Emnetu(Johanna)
• Ane Dahl Torp(Kristin)
• Anne Marit Jacobsen(Karin)