yunanDie 75. Internationalen Filmfestspiele Berlin, BERLINALE 2025, Wettbewerb Teil 19

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) - Männer haben es schwer, ältliche Männer, die ihrer Heimat entfliehen mußten, erst recht, sie können nicht zurück und kommen nicht ganz an. In dieser Situation ist Munir, der Syrer(Georges Khabbaz); hinzu kommt die Altersdemenz seiner Mutter, die ihn am Telefon nicht mehr erkennt und sich als junges Mädchen fühlt, so daß sie ja nicht einen so alten Sohn haben kann. Auch ein Besuch bei einer Freundin/Geliebten führt nicht zum Erfolg. Er somatisiert, wie man sagt, wenn der Betroffene körperliche Krankheitssymptome hat, für die es aber keine medizinischen, sondern psychische Erklärungen gibt.

Darum rät ihm der Arzt seiner Atemnot, ja Panik eine Auszeit entgegenzusetzen, was er ernst nimmt, auch seiner Schwester zu Hause in Syrien durch’s Telefon sagt, er sei einige Zeit nicht zu erreichen und direkt über Stock und Stein auf eine Hallig fährt.

Das sind die Gebilde im Meer, die dauernd überschwemmt werden, so daß die Häuser auf künstlichen Anhöhen stehen, die aber bei viel Wasser nur noch als Einzelgehöfte aus dem Wasser ragen. Wie es dem Kameramann gelungen ist, die Wetterverhältnisse, insbesondere den Sturm und den Starkregen vor uns auf der Leinwand geschehen zu lassen, ist für mich wie ein Wunder. Das wirkt in der Größe der Leinwand noch stärker, noch bedrohlicher als in Wirklichkeit, wobei das Faszinierende eben die Steigerung ist, denn windig ist es dort immer.

Er kommt in eine Pension, wo ihm die Wirtin Valeska (Hanna Schygulla) mitteilt, daß er sich nicht angemeldet habe, also kein Zimmer für ihn frei ist. Aber, sie merkt schnell, daß sie dem verstörten Mann helfen muß und quartiert ihn in einem Art Gästehaus ein, das derzeit renoviert wird. Er ist es zufrieden und will nun das durchziehen, warum er hergekommen ist: er richtet eine Pistole gegen seine Schläfe. Aber er kann nicht abdrücken und verachtet sich selbst um so mehr.

Der Sohn Karl (Tom Wlaschiha) gehört zu den Kerlen, die rau tun, aber dann doch ein Seelchen haben. Er schikaniert den Ausländer und kann seine Mutter nicht verstehen, daß diese, als der Sturm immer heftiger wird und die Überschwemmung angekündigt wird, dem Fremden ein Zimmer im eigenen Haus anbietet, ihn verköstigt etc. Zur Pension gehört auch die örtliche Dorfkneipe, denn hier sitzen wie eh und je die Männer rum, die Frauen arbeiten wohl zu Hause. Hier wird getrunken und gelacht, wobei Karl alles im Blick hat und später sogar versucht, Munir zu integrieren.

Dazwischen dann immer die Aufnahmen vom aufgeregten Meer, das sich endlos ausbreitet und alles unter Wasser setzt, auch dem Vieh auf den Weiden Angst macht, die nun in Ställe getrieben werden. Karl ist der Mann für alles. Er transportiert den Alkohol wie auch die Schutzmaßnahmen gegen das Wasser, bedient die Männerrunde – eine Frau ist auch dabei – beim Trinken und trägt dazu bei, daß die Gefahren da draußen nicht so gegenwärtig werden.

Gleich zu Beginn des Films ist eine Sequenz auf der Leinwand zu sehen, die nichts mit dem Geschehen auf der Hallig bei der Insel Langeoog  zu tun hat, sondern eine so schmerzvolle wie gemütsintensive Erinnerung an die Heimat ist und auch mit der Erzählung der Mutter in Kindertagen zu tun hat, die er damals immer wieder hören wollte. Wir sehen in archaischer Landschaft eine junge Frau, meist mit offenen Haaren, eine Hirtin (Sibel Kekilli), die zusammen mit dem verunstalteten Hirten (Ali Suliman) eine Schafherde beaufsichtigt, Schafschur verarbeitet und sehnsuchtsvoll nach dem nicht anwesenden Munir schaut. Ist es der Ehemann, der ohne Mund, Nase, Augen geboren worden oder Munir selbst, um seine Unfähigkeit, das Leben zu leben auszudrücken? Denn man imaginiert, daß diese Frau zum einen das Objekt der Begierde für Munir ist, gleichzeitig er nichts tut, damit sie zusammenkommen. Mehrfach erscheinen diese Hirtenszene, am Schluß wird sie ein einziges Wort rufen: „Munir!?“

Es geht um Sehnsucht, um fehlende Erfüllung. Doch Handlung ist nur das eine. Dem Film ist eine Begleitmelodie beigegeben, die sozusagen über Gedichte, Musik und Kameraeinstellungen eine andere Lesart der Geschichte zeigt. Hier geht es um die generelle Heimatlosigkeit des Menschen, die Exil erst einmal bedeutet, denn wenn man die Heimat nie mehr wiedersehen kann, entwickeln sich Sehnsüchte, die für manche das Existieren in einer neuen Welt in dem aufnehmenden Land unmöglich machen. Der Film, der schwermütig und auch hoffnungslos von diesem älteren Mann, dem überall Fremden, erzählt, wird auf einmal über dessen Existenz hinaus grundsätzlich und bringt neben heimischer Musik auch Gedichte und poetische Aussagen, die die Geschichte des Munir auf einmal allgemeingültig werden lassen und Hoffnungslosigkeit und Hoffnung gleichermaßen verbreiten.

Damit bekommt der Film ein Ausrufezeichen, der über die Einzelexistenz von Munir hinausgeht. Daß der im gewissen Sinn geheilt von dannen fährt, kommt hinzu, aber auf einmal hat dieser Film, der vom Einzelschicksal ausging, die Dimension grundsätzlich Flucht, Einsamkeit in der Fremde und Hoffnung auf Nachhausekommen für die Zukunft vereint.

P.S. Und was bedeutet Yunan? Schaut man im Internet, findet man die Übersetzung von DER GRIECHE. Das ist aber eine Übersetzung aus dem Türkischen. Im Syrischen, im Arabischen soll es der Prophet heißen. 2021 hatte der Syrer Ameer Fakher Eldin mit großem Erfolg Al Garib (The Stranger) als ersten Teil seiner geplanten Homeland-Trilogie aufgeführt. Dieser ist der zweite Teil. Am dritten Teil arbeitet er derzeit. 


Foto:
©Berlinale

Info:
Stab
Regie.    Ameer Fakher Eldin
Buch.     Ameer Fakher Eldin
Kamera.  Ronald Plante

Mit
Georges Khabbaz(Munir)
Hanna Schygulla(Valeska)
Ali Suliman(Hirte)
Sibel Kekilli(Hirtin)
Tom Wlaschiha(Karl)
Nidal Al Achkar(Munirs Mutter)