
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) - Mit dem Titel, in Zeitstempel zu übersetzen, will der Film aufzeigen, mit welchen Folgen genau jetzt die Kinder und Jugendlichen in den ukrainischen Schulen angesichts des Überfalls durch Rußland und des weiterhin permanenten Krieges zu kämpfen haben, wobei auffällig ist, daß die Filmemacher den Krieg 2014 beginnen und ihn also über zehn Jahre währen lassen. Das alles ist angesichts des brutalen, ja verbrecherischen Verhaltens des neuen US-Präsidenten kaum auszuhalten, der so weit geht, den Krieg durch Putins Rußland den Ukrainern in die Schuhe zu schieben und mit einer angeblichen Zustimmung der Bevölkerung von nur 4 % für Selenskyj eine Lüge aufzutischen, bei der man mit Brecht nur sagen kann: "Unsichtbar macht sich die Dummheit, indem sie ungeheuer große Ausmaße annimmt." Und Dummheit kann man gut durch Lügen ersetzen.
Dennoch ist ein Film ein Film und als solcher zu bewerten. Wir sehen unkommentierte Bilder von den wichtigsten Momenten im Schulleben, der Einschulung und dem Abitur und den jeweiligen, in der Ukraine sehr viel stärker ausgeprägten Ritualen in Kleidung Geschenken zu diesen Anlässen etc. Das ‚Unkommentiert‘ ist selbstverständlich zu hinterfragen, denn jede gezeigte Aufnahme im Film ist ein Kommentar, aber es ist keine Erzählerstimme, die beispielsweise Hintergründe aufdeckt. Wir lesen nur, man könnte es als örtliche Episoden bezeichnen, wenn auf der Leinwand ein Ortsname erscheint und dessen Entfernung von der Front verzeichnet ist, was von zwei Kilometern bis in die Hunderte geht.
Es sind die Schulverhältnisse also höchst unterschiedlich und man sieht völlig zerstörte Schulen wie auch welche, deren Gebäude und Fachräume normal funktionieren. Erst in der Pressekonferenz kommt bei Nachfrage die Aussage, daß nur ein Drittel der Schüler normalen Unterricht in den Klassen hat, ein weiteres Drittel den Unterricht online angeboten erhält und das letzte Drittel andere Formen der Bildung, auch im Ausland, erhält. Und nur auf der Pressekonferenz wird verbal ausgedrückt, was der Film leisten soll, der in erster Linie gar nicht für unsere Augen, sondern der Bevölkerung der Ukraine dient, um nämlich deutlich zu machen und dies positiv herauszustellen, in welchem Ausmaß die Lehrkräfte versuchen, die Traumata dieses Krieges für Kinder und Jugendliche erträglicher zu machen. Das ist die Stärke dieses Films und da braucht es auch keine zusätzlich verbale Unterstützung, wenn man die Lehrerinnen, ja es sind permanent Lehrerinnen – da wüßte man gerne, fehlen die Männer, weil sie Soldaten sind, oder ist das Lehrpersonal fast 100 Prozent weiblich?- , wenn man also diese Lehrerinnen pädagogisch- psychologisch das Richtige tun und das Richtige sagen hört, um bei all den schrecklichen Geschehnissen Mitmenschlichkeit auszudrücken und die Kinder zu trösten, die, das sieht man, immer wieder Trost brauchen.
Was sagt man einem Kind, dessen Vater gerade im Krieg getötet wurde? Und potentiell sind die meisten Väter dieser Kinder in solch einer Situation. Schwierig also und wie Schule und Lehrerinnen diese Angst, die Unsicherheit und die existentielle Schwere leichter machen wollen und auch können, verdient allen Respekt.
Es gibt aber andererseits so viele Fragen, die einem Nichtukrainer beim Zuschauen kommen. Grundsätzlich scheinen einem die gesellschaftlichen Rituale beim Schulanfang und dessen Ende sehr viel stärker im Bewußtsein der Bevölkerung verankert zu sein und deshalb auch eine viel größere und buntere Rolle bei den Kindern zu spielen als bei uns. Und wir sehen Schule ja erst einmal mit unseren Augen, unseren Erfahrungen und brauchen Erklärungen, wenn es so ganz anders abläuft.
Das ist erst recht bei den Abiturienten der Fall. Der Aufwand in den Abendkleidern, immer wieder auch in derselben Farbe bei den jungen Mädchen zur Abschlußfeier kennen wir hier nicht. Zumindest bisher. Dieses Gesellige und Festliche fand früher beim Tanzschulabschluß statt, der üblich war. Und gegenwärtig werden, aber nicht als volkstümlich, sondern aus rein kommerziellen Gründen, sogenannte Abiturientenabschlußbälle inszeniert, die von kommerziellen Veranstaltern ins Leben gerufen werden, nicht aus der Tradition der Schule und Schüler. In der Ukraine sind diese festlichen Abschlüsse jedoch volkstümlich gewachsen, wobei bei dem Begriff ‚volkstümlich‘ doch ein Fragezeichen nötig ist, das generell für diesen Film gilt. Alle Leute, Kinder und Erwachsene sind im Film außerordentlich gut und teuer angezogen. Ist das die Durchschnittsbevölkerung? Und wie ist das mit den Gymnasien? Ist das Schulsystem zweistufig, wie meist oder dreistufig wie bei uns. Wieviele der jungen Leute eines Jahrgangs in der Ukraine machen Abitur? In Deutschland waren es in den Fünfziger-Sechziger Jahren unter 5 Prozent, gegenwärtig sind es rund 48 Prozent, nachdem die Quote im Jahr 2012 schon bei 53, 5 lag. Die Absenkung kann am Zuzug viele ausländischer Jugendlicher liegen. Auf jeden Fall ist diese Quote von hoher Aussagekraft über den Aufstieg durch Bildung, über den man im Film nichts erfährt.
Und es gäbe noch so viel mehr, was wir wissen wollten. Nur sind das wohl nicht die Absichten dieses Films, der die Lehrkräfte loben soll, die Bevölkerung aufklären, wieviel für Schüler und Schülerinnen gemacht wird und der Bevölkerung eine positive Botschaft über ihre Kinder und Jugendlichen bringen soll. Da bleiben einem die Fragen im Halse stecken, denn die Realität, verschärft durch einen verbrecherischen US-Lügner, ist blutig und da sind alle Mittel recht, die Bevölkerung über die Hilfen durch Schulen aufzuklären und diese zu feiern. Aber im Wettbewerb der Berlinale? Schwierig, wenn man so viele Fragen hat, dies aber angesichts der politischen Situation nicht weiter an- und aussprechen will.
Foto:
©
Info
Stab
Regie. Kateryna Gornostai
Buch. Kateryna Gornostai
Kamera. Oleksandr Roshchyn
Mit
Olha Bryhynets
Borys Khovriak
Mykola Kolomiiets
Valeriia Hukova
Mykola Shpak
Svitlana Popova
Yelyzaveta Loza