
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso de) - Am Tag der Preisverleihung hüllte der Frühling den Berlinale-Palast warm ein. Vorbei die eisigen, verschneiten Festivaltage, an denen die hauchdünn gekleideten Divas auf dem roten Teppich schnattern mussten. Ob sich „Teppich-Luder“ Timothée Chalamet, wie ihn eine Zeitung nannte, im Tank Top erkältete, ist nicht bekannt.
Bekannt sind jetzt jedoch die Gewinner des Hauptwettbewerbs. So wie das gesamte diesjährige Festival eher ein durchschnittlicher Jahrgang war, so sind auch die Leistungen der internationalen Bären-Jury durchschnittlich, aber meist akzeptabel. Vom US-amerikanischem Oscar bis zum Deutschen Filmpreis werden die Stimmen für die Preise ja anonym von den Mitgliedern der jeweiligen Organisationen abgegeben. Deshalb sind oft manche Filme, ihre Darsteller und Teams mehrfach prämiert.
Bei der Berlinale – jedoch auch bei den A-Festivals in Cannes oder Venedig – können keine doppelten Preise vergeben werden. Lediglich neben der schauspielerischen Leistung ist eine zweite Prämierung möglich. Deshalb müssen Jurys immer abwägen, manchmal meint das Lob einzelner Kategorien, etwa „Beste künstlerische Leistung“ oder „Beste Regie“, durchaus den ganzen Film. Richard Linklaters „Blue Moon“ könnte so ein Fall sein, da steht der Bär für die Nebenrolle vielleicht für den ganzen Film (Besprechungen dieses Werks und der Folgenden genannten siehe hier im Weltexpresso).
Aber die ersten Gold- und Silberbären der Jury gehen völlig in Ordnung. „Drømmer“ heißt Träume und wurde als bestes Werk prämiert. Die Jury meinte, er sei eine Meditation über die Liebe, ironisch und allgemein, spräche über Begierde und Neid. „Nicht der Konflikt steht im Vordergrund, sondern die Sichtweisen der anderen.“ Die mögliche Liebesgeschichte einer 17-jährigen mit ihrer Lehrerin, wird nicht einfach nur heruntererzählt und großartig bebildert. Sondern der Film hält mit all seinen Möglichkeiten das Thema traumhaft in der Schwebe.
Auch mit wunderbaren Bildern erzählt der Film „O último azul“ die Erlebnisse der 77-jährigen Brasilianerin Tereza, die in ein Altenlager deportiert werden soll. Wir begleiten sie bei ihrer Flucht ins Amazonasgebiet. Listig, frech und charmant entwickelt sich dort die alte Dame und blüht auf.
Etwas schlichter aber sehr poetisch ist der argentinische-uruguayische SW-Film „El mensaje“. Pflegeltern fahren mit ihrem Kind im Campingbus herum und ermöglichen Menschen, die um ihre verstorbenen Haustiere trauern, Kontakt mit den toten Wesen aufzunehmen. Den Job übernimmt das kleine Mädchen - doch offen bleibt, ob es ihr tatsächlich gelingt oder ob sie auch mogelt. Die Thematik bei dem nicht prämierten Wettbewerbsbeitrag „Was Marielle weiß“ ist ähnlich, ein junges Mädchen kann plötzlich die Erlebnisse ihrer Eltern sehen und hören, obwohl sie nicht dabei ist. Das kehrt die ständigen Beobachtungen der Kinder, vom Babyphon bis zu Helikopter-Eltern um, und schafft dramatische Situationen. Beide Filme sind im engeren Sinne nicht realistisch, changieren zwischen Traum und Wirklichkeit, umkreisen ihr Thema.
Absolut indiskutabel ist das Werk „Kontentinental’25“ des Rumänen Radu Jude, der ständig auf der Berlinale vertreten ist und immer ausgezeichnet wird. Dieses kunstlose Machwerk könnte nicht einmal im Leistungskurs „Film“ im Gymnasium durchgehen. Er wollte dem Publikum, und vorher auch der Presse, weismachen, dass er mal einen preiswerten Film machen wollte…
Die anderen Auszeichnungen sind ok. Einige prämierte cineastische Arbeiten wurden auch von anderen unabhängigen Jurys für gut befunden. Insgesamt gab es 33 offizielle Berlinale-Preise und -Belobigungen, sowie 34 Auszeichnungen unabhängiger Jurys. Darunter waren auch Filme, die nicht offiziell gelobt wurden.
Wichtig ist noch, dass „Holding Liat“ den Berlinale-Dokumentarfilmpreis erhielt. Er begleitet die Familie der Geisel Liat, die beim mörderischen Überfall der Hamas-Terrorbanden am 7. Oktober verschleppt wurde. Doch der Film enthält kein hasserfülltes Geschrei und Rufe nach Rache, sondern setzt sich für Versöhnung und Frieden ein. Eine bemerkenswerte Geschichte, die ebenso berührend ist, wie die Situation bei der Eröffnung, als die neue Berlinale-Leiterin Tricia Tuttle mit Bildern von israelischen Geiseln auf dem roten Teppich stand. Hier schließt sich der Kreis und widerlegt das Schmierentheater der Berliner CDU, die der Berlinale wegen "ständigem Antisemitismus" den mickerigen eine-Million Zuschuss entziehen will.
Foto
© Berlinale