sigsigSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 27. Februar 2025, Teil 4

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Neben den Darstellern, die das RTA-Programm selbst durchlaufen hatten, wollten die Produzenten den Film mit einem professionellen Schauspieler verankern, aber mit einem, der das Bedürfnis, diese Geschichte zu erzählen, von Grund auf verstand. Colman Domingo war zu Beginn seiner Karriere an Highschools in San Francisco Bay Area aufgetreten, um über Themen wie HIV, AIDS und Gewaltprävention aufzuklären. „Wir waren das Kunstprogramm, das kam, auftrat und manchmal ein paar Stunden unterrichtete. Wir beeinflussten die Kinder durch Kunst. Daher erkannte ich gleich, dass die Idee, ein Kunstprogramm in ein Hochsicherheitsgefängnis zu bringen, revolutionär ist. Sie stellt sich völlig gegen das System, das sie überhaupt dorthin gebracht hat“, sagt Domingo.

Die Filmemacher waren immer überzeugt davon, dass SING SING keine Geschichte über ein Gefängnis ist, sondern über Menschen. Während Domingo seine Mitspieler durch seine berufliche Erfahrung vor der Kamera unterstützen konnte, halfen diese ihm dabei, sich inhaltlich in die Thematik einzufinden. „Ich stand im Zentrum vieler Szenen und hatte ein Gefühl dafür, wohin sie sich entwickeln sollten, aber wir brauchten Authentizität. Also habe ich Fragen gestellt und Vorschläge gemacht, wir haben geredet, gelacht – es gab keine Abgrenzungen, alles war natürlich. Ich wusste, was wir erreichen wollten, also war ich fast wie eine Art Maulwurf“, lacht Domingo.


VERTRAUE DEM PROZESS

„Vertraue dem Prozess“ ist ein Leitspruch aus dem RTA-Programm, der auch am Set allen half, auf Kurs zu bleiben. Darsteller Sean „Dino“ Johnson erklärt: „Manchmal wollen wir unseren eigenen Weg gehen, aber man muss dem Prozess vertrauen. Letztendlich wirst du da ankommen, wo du hinwillst, oder in der Lage sein, das zu tun, was du tun möchtest – aber innerhalb des Prozesses. Wenn neue Leute  hinzukamen, sagten wir ihnen: ‚Entspannt euch, man muss es nicht sofort verstehen. Vertraut dem Prozess.‘“

Zu den wichtigen Improvisationsübungen gehörten unter anderem die Techniken „Denke an einen Freund“ oder „Perfekter Ort“, bei denen die Teilnehmer die Augen schließen, sich gedanklich an einen bestimmten Ort versetzen und diese Erfahrung mit der Gruppe teilen. Solche Übungen waren ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit des echten RTA-Theaterregisseurs Brent Buell und wurden am Set in ähnlicher Form von dessen Darsteller Paul Raci geleitet.

Es waren gerade diese Übungen, die häufig dazu führten, dass die Männer begannen, ein Gefühl der Empathie aufzubauen – eine der wichtigsten Eigenschaften ihrer persönlichen Entwicklung innerhalb des Programms. Clarence Maclin fand die Übungen besonders wertvoll: „Sie fördern Kameradschaft, stärken Freundschaften und lehren uns, wie man sich aufeinander verlassen kann. Sie waren der beste Teil von RTA.“

Bei seiner Verkörperung von Buell machte Raci in jeder Szene deutlich, wie sehr er die Männer im RTA-Programm respektierte – ein Respekt, den sie außerhalb der Probenräume nie erfahren hatten. Die Männer waren ihm nicht unterstellt, bemerkt Raci. „Meine Einstellung war: ‚Männer? Was haltet ihr davon …, was der Art entsprach, in der Brent mit ihnen redete. Er blieb im Hintergrund, ließ sie die Bühne übernehmen und selbst entscheiden, wie die Dinge ablaufen sollten, anstatt zu sagen: ‚Hey, seht her – ich bin der Schauspieler, ich bin der Regisseur. Ich zeige euch, wie es geht.‘ Das hat er nie mit ihnen gemacht.“

IMMER, WENN WIR VERSUCHTEN, ETWAS SELBST ZU ERFINDEN, SIND WIR GESCHEITERT. ABER SOBALD WIR UNS ZURÜCKNAHMEN, IHNEN RAUM GABEN UND OFFEN DAFÜR WAREN, WAS SIE EINBRACHTEN, GAB ES SO VIELE GESCHICHTEN UND MOMENTE, DIE SO SPEZIFISCH UND WAHRHAFTIG WAREN, DASS MAN SIE NIE HÄTTE SCHREIBEN KÖNNEN. MAN MUSS ES ERLEBEN – SO WIE SIE ES GETAN HABEN. SIE SIND FREUNDE. IHR GEPLÄNKEL UNTEREINANDER IST BESSER ALS ALLES, WAS WIR JE SCHREIBEN KÖNNEN. 
REGISSEUR GREG KWEDAR

„ICH WOLLTE SCHON IMMER SCHAUSPIELER WERDEN, GANZ EINFACH.“
JOHN „DIVINE G“ WHITFIELD

Auch wenn SING SING zweifellos ein Ensemble-Drama ist, wurde die Figur im Zentrum des Films von der außergewöhnlichen Lebensgeschichte eines realen Mannes inspiriert: John „Divine G“ Whitfield.
In den 1970er Jahren schrieb sich Whitfield an der High School for Performing Arts ein. Doch aufgrund von Mobbing durch andere Kinder in der Nachbarschaft brach er die Schule ab. Danach nahm sein Leben eine drastische Wendung. Im Sommer 1988, nach einigen Konflikten mit dem Gesetz, wurde Whitfield wegen eines Mordes verhaftet, den er nicht begangen hatte. Die folgenden Jahrzehnte verbrachte er in den härtesten Gefängnissen von New York, bevor er schließlich in Sing Sing landete.

Doch dies war nicht das Ende seiner Geschichte. Whitfield zeigte eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit, studierte die Gerichtsliteratur in der Gefängnisbibliothek und recherchierte Möglichkeiten, um die
Freilassung von anderen Inhaftierten, die Hilfe brauchten, zu bewirken. Er schrieb außerdem vier Romane in der Hoffnung, dadurch öffentliche Aufmerksamkeit für seinen Fall gewinnen zu können. Einer seiner Titel fand unter den Strafgefangenen großen Anklang, und er wurde oft um Autogramme gebeten. 1995 trat er der Theatergruppe bei, die später RTA wurde, und begann, sich intensiv daran zu beteiligen. Er schrieb zahlreiche Theaterstücke, von denen mehrere im Laufe der Jahre von RTA aufgeführt wurden.

Foto:
©Verleih

Info:
REGIE Greg Kwedar
DREHBUCH Greg Kwedar Clint Bentley

Besetzung
COLMAN DOMINGO als John „Divine G“ Whitfield
CLARENCE „DIVINE EYE“
MACLIN als er selbst
SEAN SAN JOSÉ als Mike Mike
PAUL RACI als Brent Buell
SEAN „DINO“ JOHNSON als er selbst
JON-ADRIAN „JJ“ VELAZQUEZ als er selbst

Der Film basiert auf den Büchern „The Sing Sing Follies“ von John H. Richardson und „Breakin’ the Mummy’s Code“ von Brent Buell.

Abdruck aus dem Presseheft