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Holger Twele
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Als erster Singer-Songwriter überhaupt hat Bob Dylan 2016 den Literaturnobelpreis bekommen – und ist seinem Mythos als eigenwilliger Künstler, der sich von keiner Seite vereinnahmen lässt, treu geblieben, indem er ungeachtet seines doch schon fortgeschrittenen Altes nicht persönlich zur Preisvergabe in Stockholm anreiste. Die jüngere Generation dürfte sich zumindest an diese Schlagzeilen erinnern, die um die ganze Welt gingen. Die ältere Generation ist mit Dylan, seinen bislang 40 Alben und seinen unzähligen Liedern über Jahrzehnte hinweg groß geworden, egal ob er und seine Musik begeistert aufgenommen oder mitunter auch kritisch hinterfragt wurden. Dass jemand noch nie von Bob Dylan gehört hat, ist demnach eher unwahrscheinlich.
Ein komplett unbekannter Musiker war Dylan allenfalls zu Beginn seiner Karriere Anfang der 1960-er Jahre, in denen die Filmhandlung angesiedelt sind. Doch selbst der Filmtitel, der verschiedene Interpretationen zulässt, im englischen Original noch wie eine Feststellung klingt und in Deutschland durch das „like“ bereits relativiert wird, lässt Zweifel an einer eindeutigen Leseweise aufkommen – wie das für das Leben von Dylan ja auch selbst gilt.
Regisseur James Mangold ist natürlich längst nicht der erste, der einen Film über Dylan gemacht hat. Die Grundlage für seinen Film ist ein Sachbuch von Elijah Wald aus dem Jahr 2015, das sich auf die 1960er-Jahre konzentriert. Mit anderen Worten, etwa ein halbes Jahrhundert aus Dylans späterem Leben kommt hier überhaupt nicht zur Sprache und über seine Kindheit und Jugend erfährt man ebenfalls so gut wie nichts. Das gereicht dem Film jedoch nicht unbedingt zum Nachteil. Der Fokus auf die Anfangsjahre der musikalischen Karriere zwischen 1961 und 1965 ist gewollt und auch dramaturgisch von Vorteil, denn auf diese Weise lassen sich seine Beziehungen mit Musikern, Freunden und Frauen, interessante Einblicke in die Musikbranche und die Folkszene jener Zeit sowie weltpolitische Ereignisse wenigstens ein bisschen genauer beschreiben – selbst wenn immer noch vieles unter den Tisch fällt.
Die Filmhandlung beginnt, als der 19-jährige Bob Dylan aus Minnesota nahezu mittellos und fast nur mit seiner Gitarre im Gepäck den von ihm bewunderten Folkmusiker Woody Guthrie in einem Hospital in New York aufsucht. Guthrie leidet an einer erblich bedingten Nervenkrankheit und kann kaum noch sprechen, aber er erkennt sofort Dylans Talent. Auf diese Weise lernt Dylan auch den Folkmusiker und Organisator Pete Seeger kennen, der ihn unter seine Fittiche nimmt und zu einem seiner Mentoren wird. Schnell wird Dylan in der Szene bekannt, findet in der Musikszene schnell weitere Verbündete und Bewunderer. Er lernt in Sylvia Russo eine Freundin und Geliebte kennen, die ihn allzu gerne fest an sich binden möchte, aber auch die bereits sehr erfolgreiche Sängerin Joan Baez, zu der er sich ebenfalls hingezogen fühlt, sowie Johnny Cash, mit dem er wie mit Joan Baez einige Auftritte hat. Der Film endet im Wesentlichen mit einem Eklat beim Newport Folk Festival 1965, als Dylan sich zunächst weigert, weitere von ihm erwartete Folksongs zu spielen und mit der E-Gitarre und harten Rockn‘Roll-Klängen eine neue Ära in seiner Karriere und gleichermaßen in der Musikindustrie einleitet.
James Mangold war bei seiner Arbeit stets darauf bedacht, die Ikone Bob Dylan weder zu demontieren, noch ihn unkritisch in irgendeiner Form zu idealisieren. Kein leichtes Unterfangen, denn Dylan, der in seiner Körpersprache mit nuscheliger Stimme und niedergeschlagenen Augen unabhängig von seinen Songs und Texten, aber auch in seinem Verhalten gegenüber den Frauen alles andere als ein kommunikatives und einfühlsames Vorbild war und sich trotz mannigfacher Widerstände und äußerer Anfeindungen stets treu geblieben ist, hat eben viele ambivalente Züge. Das verschweigt der Film nicht, ohne den Künstler Bob Dylan damit zu entmystifizieren. Vorsicht ist lediglich geboten, wenn der Eindruck entstehen sollte, Dylan sei im Film hinreichend und völlig realitätsnah charakterisiert worden. Um nur ein kleines Beispiel zu nennen: Der im deutschen Fernsehen 2025 ausgestrahlte Dokumentarfilm „John Carter – Der Rock & Roll Präsident“ (USA 2020, Regie: Mary Wharton) geht auch auf die Freundschaft zwischen Bob Dylan und dem musikbegeisterten 39. US-Präsidenten Jimmy Carter und sein politisches Engagement ein. Selbst wenn Dylans Unterstützung bei dessen Wahlkampf erst viel später stattfand, skizzieren in Mangolds Film kurze News etwa über die Ermordung von Präsident Kennedy zwar bereits den gesellschaftspolitischen Hintergrund jener Zeit, stellen aber mögliche Bezüge zur Dylans Werdegang nicht her. Auch die problematische Beziehung zu Joan Baez oder die illustre zu Johnny Cash wäre eine noch tiefere Betrachtung wert gewesen. Dylan selbst soll sich zu Mangolds Film übrigens bisher nicht persönlich geäußert haben und es ist wohl kaum zu erwarten, dass er das zumindest in Bezug auf seine Person noch tun wird.
Was den Film trotz solcher Auslassungen wirklich sehenswert macht, sind vor allem zwei Gründe. Der erste liegt in dem Hauptdarsteller Timothée Chalamet in seiner bisher vielleicht besten Rolle. Chalamet gelingt es hervorragend, die unterschiedlichen Facetten und die Ambivalenz seiner „Figur“ bis in kleinste Details hinein glaubhaft zu verkörpern. Und das so gut, dass sich das Publikum in der eigenen Einschätzung von Dylan bestätigt finden wird, ob man ihn nun vergöttert oder eher eine Abneigung ihm gegenüber empfindet. Vor allem jedoch singt Chalamet alle Lieder von Dylan im Film selbst, egal ob im Studio oder auf der großen Bühne. Und das wirkt völlig authentisch und nicht einmal ansatzweise gekünstelt oder gar „falsch“. Auch andere Darsteller haben im Film die Songs selbst gespielt und gesungen. Eine echt starke Leistung!
Der andere Grund für eine Empfehlung, sich diesen Film anzusehen, liegt in der Musik selbst. Üblicherweise werden in Biopics und Musikerporträts die meisten Stücke nur angespielt, nicht zuletzt, um der Entwicklung der Figuren und der Handlung mehr Raum zu geben. In diesem Fall setzte man voll auf die Musik, selbst wenn dabei anderes etwas zu kurz gekommen ist. Fast alle Songs werden voll ausgespielt, also in voller Länge, mit der ganzen Vitalität und Emotionalität, die diese Songs bis heute in vielen Menschen hervorrufen. So gesehen lässt sich Mangold Film als ein Musikclip in rekordverdächtiger Überlänge bezeichnen. Hinhören und zuschauen!
Ein gigantischer Musikclip über Bob Dylan.
Foto:
©Verleih
Info:
Like A Complete Unknown (USA 2024)
Originaltitel: A Complete Unknown
Genre: Biopic, Musik
Filmlänge: 140 Min.
Regie: James Mangold
Drehbuch: Jay Cocks, James Mangold, nach dem Sachbuch von Elijah Wald: „Dylan goes electric! Newport, Seeger, Dylan, and the night that split the Sixties“ (2015)
Darsteller: Timothée Chalamet (Bob Dylan), Edward Norton (Pete Seeger), Elle Fanning (Sylvie Russo), Monica Barbaro (Joan Baez), Boyd Holbrook (Johnny Cash), Dan Fogler (Albert Grossman), Norbert Leo Butz (Alan Lomax), Scoot McNairy (Woody Guthrie) u. a.
Verleih: The Walt Disney Company Germany
FSK: ab 0 Jahren
Kinostart: 27.02.2025