nochbinichnicht presse c libu e jarcovj kov 04Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 27. Februar 2025, Teil 8

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Schaut man deinen Film, so erscheint seine Machart wie die einzig mögliche für einen Film über Libuše Jarcovjáková. Man weiß davor jedoch nicht, dass es ein Film ist, der komplett aus Fotos montiert sein wird. Manche sind statisch, manche rhythmisch arrangiert. Wie hast du die Idee entwickelt, die Geschichte auf diese Weise zu erzählen?

Als wir anfingen zusammenzuarbeiten, kam die COVID-19-Pandemie auf und schuf Herausforderungen, die unseren ursprünglichen Arbeitsplan beeinträchtigten. Gleichzeitig regte es uns an, unseren Fokus zu verändern. Als ich in Libušes Fotoarchiv eintauchte, öffnete sich vor meinen Augen eine bemerkenswerte und vielfältige Welt. Neben Fotografien fand ich zehntausende Tagebuchseiten, die mir ein neues Universum eröffneten. Es wurde schnell klar, dass wir eine intime, persönliche, authentische und kraftvolle Geschichte erzählen könnten, indem wir diese tausenden Fotos und Einblicke in Libušes Leben miteinander verweben – eine Geschichte exklusiv erzählt durch die dynamische Montage statischer Fotografien. Dieser Ansatz erlaubte es uns, ihre einzigartig weibliche Perspektive kreativ zu erschließen und Zuschauer:innen einen authentischen Blick in Libušes Welt zu erlauben. Das war von Beginn an meine Absicht: den Zuschauer:innen zu ermöglichen, die Welt durch Libušes Augen zu sehen.


In einem der Interviews spricht Libuše darüber, wie Leute sie bei einer Ausstellung während des renommierten Fotografie-Festivals in Arles vor ein paar Jahren umarmt haben. Die Mehrheit hatte gerade erst von ihr erfahren. Wie bist du selbst auf ihre Arbeit aufmerksam geworden und was an ihrer Geschichte hat dich angezogen?

Die originale Idee kam von den tschechischen Fernseh-Skripteditorinnen Eva Dvořáková und Irina Minaříková, die auf mich mit der Idee zukamen, einen Film über die Fotografin Libuše Jarcovjáková zu machen. Das Vorhaben begeisterte mich sofort. Ich setze mich selbst seit einiger Zeit mit Libušes fotografischer Arbeit auseinander. Und drückte deswegen meinen Wunsch aus, dass der Film Libušes einzigartige Perspektive authentisch einfangen und darstellen sollte. Ihr persönliches Narrativ, die Suche nach Identität, innerer Freiheit, und ein Unwille sich anzupassen, bilden nicht nur die Inspiration für ihren künstlerischen Ausdruck, sondern für ihr ganzes Leben. Weiterhin ist Libušes herausstechende Fähigkeit, Probleme von Frauen ehrlich und offen anzusprechen, etwas ganz Besonderes. Für mich ist sie die ideale Protagonistin, deren Geschichte eine Vielzahl universeller Themen und persönlicher Konflikte miteinschließt. Auch wenn Libuše diese Dilemmata schon vor vielen Jahren beschäftigten, bleiben sie bis heute sehr relevant.


Wie umfangreich ist Libušes fotografisches Archiv und wie hast du damit gearbeitet? Kamen zuerst ihre Tagebuchtexte und hast du dann nach den passenden Bildern gesucht? Wie seid ihr vorgegangen?

Der Prozess war anspruchsvoll. Für uns bedeutete es zwei Jahre tägliche Arbeit. Zuerst musste ich Libušes Archiv organisieren und mich in ihm orientieren. Nicht alle Fotografien existierten in digitaler Form, weshalb wir wieder durch die echten Negative schauen mussten. Im Schneideraum arbeiteten wir dann mit zehntausenden Standfotos. Libuše hat oft fotografische Sequenzen in bestimmten Situationen aufgenommen. In einem Buch würde man nur ein privilegiertes Bild veröffentlichen, in unserem Film jedoch konnten wir alle Phasen dieser „Bewegung“ zeigen. An einem Punkt im Prozess gab es 20.000 Fotos in unterschiedlichen Ordnern. Während wir das Fotoarchiv erkundeten, erstellte ich aus den hunderten Tagebuchseiten, die Libušes geschrieben hat, eine ideale Struktur. Doch alles befand sich in konstantem Wandel, je nachdem was die spezifischen Fotografien aus unterschiedlichen Zeitperioden, verschiedenen Stationen in Libušes Leben, uns an visuellen Informationen anboten. Wir haben die Fotos in gewisser Weise als visuelles Tagebuch genutzt. Im Schneideraum arrangierten wir sie dann eines nach dem anderen zu fünf Hauptkapiteln, wobei wir nach Zusammenhängen oder Kontrasten Ausschau hielten, die wir dann durch die Erzählstimme, die ich zuerst auf meinem Handy eingesprochen hatte, genauer abgestimmt haben.


Wie hast du, in Zusammenarbeit mit Schnittmeister Alexander Kashcheev und den Komponisten, den charakteristischen Rhythmus der Erzählung gefunden? War es ein intuitiver Prozess oder bedeutete es, einen präzisen Pfad auszulegen und diesem dann zu folgen?

In unserem Schnittprogramm erstellten wir „fragmentierte Bewegungen“ aus starren Fotografien, welche die Vorstellungskraft der Zuschauer:innen stimulieren würden. Während der Filmsichtung, vergessen wir, dass es sich um eine „Diashow“ statischer Bilder handelt. Die vielschichtige und komplexe Tonmontage, die Schnittmeister Alexander Kashcheev vornahm, leistet einen wichtigen Beitrag dazu, die stillen Bilder zum Leben zu erwecken. Gleichzeitig wollten wir mit gegenwärtiger Musik arbeiten, wodurch ein erfrischender Kontrast zu den hauptsächlich schwarz-weißen Archivfotografien entstehen würde. Wir wollten ganz unterschiedliche, auch überraschende Musik benutzen. Deswegen traten wir mit einem Trio junger progressiver Musikproduzenten in Kontakt: Oliver Torr, Prokop Korb und Adam Matej. Jeder von ihnen hat einen anderen Zugang, der die verschiedenen Stimmungen, die im Film entwickelt werden, ergänzt – von minimalistischen, lyrischen Räumen und konzeptuellen Reinterpretationen von Vergangenem bis zu gegenwärtiger Tanz- und Clubmusik. Jeder der Komponisten kreierte Musik direkt für spezifische Szenen, die wir für sie ausgewählt haben. Manchmal gab es jedoch auch Szenen, wo wir unsere Montage an die komponierte Musik angepasst haben, oder wir Kapitel neu arrangiert haben, wenn die Musik es vorgab … Es war ein toller, kollaborativer Vorgang.


Leute verstehen das Werk von Libuše Jarcovjáková heute viel besser als früher. Wahrscheinlich, weil sie für mehrere Jahrzehnte bereits in einem Stil fotografiert hat, der dem ähnlich ist, wie man heute für Social Media fotografiert, obwohl sie es durchdachter und mit einer anderen Absicht gemacht hat. Was ist deine Meinung: Wie kam es, dass Libuše diesen Ansatz für sich entdeckt hat, während andere Fotograf:innen in ihrem Umfeld darauf aus wahren, technisch präzise zu arbeiten und einen charakteristischen Stil zu entwickeln?

In einem Eintrag aus dem Jahr 1970 schreibt Libuše: „Ich kann ein Foto in der dokumentarischen Tradition à la Bresson schießen, aber für mich ist das nicht interessant. Ein Level an Subjektivität wird für mich immer das Erstrebenswerteste sein!“ Ihr Fokus lag immer darauf, den Moment einzufangen, die Atmosphäre, ihre persönliche Perspektive auf die Dinge, die sie umgeben, und dabei etwas einzufangen, was unter der Oberfläche liegt, eine Geschichte, eine emotionale Tiefe. Das hat mehr Bedeutung als eine scharfe, korrekt belichtete, technisch perfekte Fotografie.



Biografie
KLÁRA TASOVSKÁ (Regie) erlangte einen Abschluss am New Media Department an der Akademie der Bildenden Künste sowie an der FAMU Prag im Bereich Dokumentarfilm. Ihr mittellanger dokumentarischer Essayfilm „Midnight“ (2010) wurde auf unterschiedlichen Festivals gezeigt und gewann unter anderem den Newcomer Award beim European Media Art Festival Osnabrück. Ihr Langfilmdebüt „Fortress“ (2012), das sie in Co-Regie mit Lukáš Kokeš umsetzte, wurde 2012 als Bester tschechischer Dokumentarfilm beim Internationalen Dokumentarfilmfestival Jihlava ausgezeichnet. Ihr Film lief im gleichen Jahr im Wettbewerb beim Internationalen Dokumentarfilmfestival Kopenhagen und wurde 2013 mit dem LUX-Filmpreis ausgezeichnet. Ihr letzter Film, ebenfalls mit Lukáš Kokeš entstanden, wurde im Wettbewerb des Internationalen Dokumentarfilmfestivals Amsterdam 2017 uraufgeführt.

Filmografie
2010
„Midnight“ (KF)
2012
„Fortress“ (Co-Regie: Lukáš Kokeš)
2014
„Gottland“
2017
„Nothing Like Before“ (Co-Regie: Lukáš Kokeš)
2024
„Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte“

Foto:
©Verleih

Info:
Noch bin ich nicht, wer ich sein möchte
ein Film von Klára Tasovská
Tschechien/Slowakei/Österreich 2024, 90 Minuten, tschechische Originalfassung mit deutschen Untertiteln
Kinostart: 27. Februar 2025
FSK: 16

Stab
Regie  Klára Tasovská
Drehbuch.   Klára Tasovská & Alexander Kashcheev
Fotos & Tagebücher.   Libuše Jarcovjáková
Schnitt.     Alexander Kashcheev
Musik.     Oliver Torr, Prokob Korb (badfocus) & Adam Matej
Sound Design.   Alexander Kashcheev, Michaela Patríková
Tonmischung.  Michaela Patríková
Dramaturgie.  Viera Čákanyová & Eva Dvořáková
Koproduzenten.   Jakub Viktorín & Ralph Wieser
Produzent:innen.  Lukáš Kokeš, Klára Tasovská

 Abdruck aus dem Presseheft