Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. Mai 2025, Teil 7
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) –Wenn man Charles Aznavour, seine Stimme und seine Ausstrahlung kennt, ist man schon einen Moment irritiert, wenn der Schauspieler Tahar Rahim in seine Rolle schlüpft, aber gleichzeitig versucht dieser überhaupt nicht, ständig auf Ähnlichkeit, also auf Authentizität zu zielen, was wohltuend ist und ehrlich auch. So kann man entspannt, einem Leben zusehen, das man in seinen Hintergründen, dem Anfang eben doch nicht so kannte. Und wer ihn nicht kannte, lernt ihn kennen, was keine Drohung ist!
Es ist schon seltsam, dass im Nachhinein kein geborener Franzose, das französische Chanson so sehr verkörperte wie der Armenier Charles Aznavour, der aber auch Franzose war. Als Shahnourh Vaghinag Aznavourian wurde er schon in Paris vor 2 Tagen und 101 Jahren, also am 22. Mai 1924 geboren, wo die Familie landete, sein Vater aus Georgien, seine Mutter vor dem türkischen Völkermord aus Smyrna geflohen, die Schwester zwei Jahre zuvor in Griechenland geboren. Nimmt man die politische Situation von damals ernst und vergleicht sie mit heute, dämmert einem die Erkenntnis, dass auch vor 100 Jahren eine ähnliche Bedrohung, Vertreibung und auch Ermordung von Bewohnern geschah wie heute. Allerdings wären Flüchtende doch eher in Deutschland, auch in Berlin gelandet. Ein interessanter Aspekt.
Der Film ist zwar biographisch aufgebaut, aber erzählt nicht gleichmäßig, sondern entlang einer Linie, die vom unbekannten armen ausländischen Jungen zum anerkannten, weltbekannten Chansonier die Geschichte eines sozialen und musikalischen Aufstiegs aufsteigt. Es sind zwei Regisseure, die Aznavours Leben auf die Leinwand bannen, Mehdi Idir und Grand Corps Malade, der selbst Musiker ist. Welchen Einfluß dies hat, kann man nicht verifizieren, weil beide ein Heldenepos filmen, wogegen nichts zu sagen ist, wenn man, wie eigentlich alle, den Sänger mag, der selbst noch an der Vorbereitung des Films mitwirkte und dessen Schwiegersohn den Film produzierte.
Der Film ist in fünf Kapitel aufgeteilt, die den Lebensweg charakterisieren sollen. Inwiefern die Überschriften dieser Kapitel, die jeweils einem Chansontitel entnommen sind, inhaltliche Aussagen sein sollen, erschließt sich nicht. Sinnvoller ist es, nicht besonders kritisch dieses Biopic zu verfolgen, sondern einfach den Gesang zu genießen und die Legende eines Aufsteigers wohlwollend zu verfolgen, was nicht schwer ist. Daß die Nachkriegszeit in Paris so nebenbei auch eine Rolle spielt, ist interessant und zeigt, wie einfach und entbehrungsreich die späteren Musiklegenden wie Aznavour und Édith Piaf (Marie-Julie Baup) lebten, die ihn übrigens 1946 an die Öffentlichkeit brachte . Sie war und blieb seine Mentorin, die ihn, wie der Film zeigt, sogar in die USA brachte, wo im gewissen Sinn sein eigentlicher Durchbruch geschah. Und zwar in seinem eigenen Bewußtsein, dass er es mit den dortigen Legenden Frank Sinatra und Sammy Davis Jr. aufnehmen könne und auch die gleichen Gagen verdiene.
Da war er schon längst Einzelkünstler, denn die ersten Jahre in Paris trat er mit seinem Freund Pierre Roche(Bastien Bouillon) auf, der sein enger Freund blieb, aber nicht mehr sein künstlerischer Partner. Diese Freundschaft ist eingebettet in die Darstellung von Paris und Frankreich der Nazi-Besetzung und der Nachkriegszeit, weshalb dieser Film nicht nur die Lebensgeschichte eines berühmten Chansoniers zeigt, sondern auch das Frankreich der Lebenszeit von Aznavour.
Da hat man schon längst aufgegeben, im Lebenslauf anderes als ständiges Aufbegehren von Aznavour gegen Widrigkeiten und den endlichen Sieg über die miese Materie des Künstlers zu sehen. Es ist eine Bilderbuchkarriere, der wir zusehen, eines Mannes, dem das Glück und der Erfolg hold ist, der abgibt und ein bodenständiger Mensch bleibt inmitten eines Musikgeschäfts, das andere in den Wahnsinn oder Drogenkonsum treibt.
Schade, dass wir nicht alle perfekt Französisch sprechen, denn seine Chansons sind sprachgewitzt und unterhaltsam, über die musikalische Qualität hinaus. Ein Chanson wurde der Hit in Deutschland, als er es 1962 auf Deutsch herausbrachte:
Du läßt dich geh'n
Du bist so komisch anzusehn.
Denkst du vielleicht, dass find ich schön?
Wenn du mich gar nicht mehr verstehst
und mir nur auf die Nerven gehst?
Ich trinke schon die halbe Nacht
und hab mir dadurch Mut gemacht
um dir heut′ endlich zu gestehen
ich kann dich einfach nicht mehr sehn
mit deiner schlampigen Figur
gehst du mir gegen die Natur.
Mir fällt bei dir nichts andres ein
als Tag und Nacht nur brav zu sein
Seid Wochen leb' ich neben dir
und fühle gar nichts neben mir
nur dein Geschwätz′ so leer und dumm
ich habe angst, dass bringt mich um, ja
früher warst du lieb und schön
du lässt dich gehn, du lässt dich gehn.
Du bildest dir doch wohl nicht ein,
du könntest reizvoll für mich sein
mit deinen unbedeckten Knien
wenn deine Strümpfe Wasser ziehn.
Du läufst im Morgenrock herum
ziehst dich zum Essen nicht mal um
deine Haare da baumeln kreuz und quer
die Lockenwickler hin und her
und schiefe Hacken obendrein
wie fiel ich nur auf sowas rein.
Vor meinen Freunden gibst du an
und stellst mich hin als Hampelmann,
das bringt mich nachts sogar im Traum
im tiefen Schlaf noch auf dem Baum.
Ich hab' gedacht du hast mich lieb
als ich für immer bei dir blieb
wenn du nur still wärst, das wär' schön.
Du lässt dich gehn, du lässt dich gehn.
Bei Tag und Nacht denk′ ich daran
ob das nicht anders werden kann
du bist doch schliesslich meine Frau
doch werd′ ich nicht mehr aus dir schlau.
Zeig mir doch dass du mich noch liebst
wenn du dir etwas Mühe gibst
mit einem kleinen Lächeln nur
und tu' auch etwas für die Figur.
Dann hätte ich wieder neuen Mut
und alles würde wieder gut.
Sei doch ein bischen nett zu mir
damit ich dich nicht ganz verlier′
denk' an die schöne Zeit zurück
die Liebe auf dem ersten Blick
wie ich am Abend zu dir kam
und dich in meine Arme nahm
an meinem Herzen, dass wär′schön
da lass dich gehn, da lass dich gehn.
(Übertragung von Ernst Bader)
Wie gesagt, ein Hit bei den Hörerinnenwünschen, was um so witziger bleibt, weil die Plattenfirma ursprünglich dies nicht auf Deutsch veröffentlichen wollte, weil sie befand, es gäbe in Deutschland zu viele dickliche Frauen, die sich bei diesem Lied beleidigt fühlen könnten. Doch solche Feinheiten sind für die großen und groben Linien dieser Musikerbiographie viel zu speziell.
Ein Film, der nicht wehtut, aber auch nicht das Gefühl zurück läßt, man wüßte jetzt mehr über Charles Aznavour als zuvor, von der Pariser Kindheit abgesehen.
Foto:
©Verleih
Stab und Besetzung
Ein Film von MEHDI IDIR & GRAND CORPS MALADE
CHARLES AZNAVOUR Tahar Rahim
PIERRE ROCHE Bastien Bouillon
EDITH PIAF Marie-Julie Baup
AÏDA Camille Moutawakil
MISCHA Hovnatan Avedikian
RAOUL BRETON Luc Antoni
MICHELINE RUGEL. Ella Pellegrini
Frankreich 2024
134 Minuten
FSK: tba
Kinostart: 22. Mai 2025