
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wichtig ist, dass man weiß, das der Film einer wahren Geschichte aus dem Spanien unter dem rechtsgerichteten Diktator Franco folgt. Es geht um das Leben und den Tod von Antoni Benaiges und es geht um eine Art Film, der Ihnen unter die Haut geht, gerade weil er nicht melodramatisch daherkommt, sondern schlicht und in der historischen Zeit von der Unmenschlichkeit dieser faschistischen Francoregierung erzählt. Die demokratisch gewählte Regierung (1931-36) hatte ein Bildungsprogramm aufgelegt, dass vor allem der ländlichen Bevölkerung Schulen versprach, und zwar nicht nur Bauten, sondern Lehrer! So wird 1935 in einem kleinen, abseitigen Dorf in der Nähe von Burgos Antoni Benaiges (Enric Auquer) als Lehrer eingestellt.
In vielen Situationen und Einstellungen wird dem Zuschauer vermittelt, wie sehr er seine Schüler und Schülerinnen von der 1. bis zur 6.Klasse, also Sechs- bis Zwölfjährige, fördert, indem er mit jedem einzelnen eine persönliche Beziehung aufbaut. Jedes Kind hat eine andere familiäre Situation, jede Familie schiebt andere Gründe vor, dass ihre Kinder nicht zur Schule gehen sollen, sondern häusliche Pflichten, Arbeiten im Haus oder auf dem Hof oder in der Werkstatt erledigen sollen. Bildung ist unbekannt, Lesen und Schreiben nicht schlecht, aber mehr ist nicht nötig, ist die Meinung, der Lehrer Benaiges nicht nur entgegentritt, sondern im Gespräch mit den Eltern zu widerlegen versucht, denn er will ja nicht gegen die Familien, sondern mit ihnen das Lernen seiner Schüler optimieren.
Darum hat er auch nichts dagegen, dass er die Schule putzt. Er gehört zu den wahrhaftigen Menschen, die sich nicht besser fühlen als andere, sondern die Voraussetzungen mit schaffen wollen, damit sein Ziel, die Bildung seiner Schüler, erreicht wird.
Außerdem bringt er die neuen Lernmethoden mit, die vom Selbertun der Schüler ausgehen. Diese und auch ihre Eltern waren bisher nur die oktroyierende Methode des örtlichen Pfarrers gewohnt, der mit Schlägen und seinen Kirchenwahrheiten Schule und Lernen für die Kinder des Ortes nur unangenehm machte. Wie jeder, der je die Möglichkeit hatte, in der Schule zu erfahren, wie ein aufgeschlossener Lehrer, eine Lehrerin natürlich erst recht, Schüler zum selbsttätigen Lernen ‚ver‘führen kann, wie glücklich Kinder und Jugendliche über ihre eigenen Lernfortschritte sein können und wie sehr das Klima von Lehren und Lernen die Ergebnisse befördert, der kann hier mir eigenen Augen verfolgen, wie Schritt für Schritt die Jungen und Mädchen aufblühen und die Lust am Lernen kennen lernen. Allein die Idee mit der Druckerpresse, wo die Schüler ihre eigenen Texte setzen, begeistert die Kinder. Als weiteren Anreiz verspricht ihnen der Lehrer, der von nahe der Küste stammt und erst nicht fassen kann, dass noch kein Kind der Schule je das Meer sah, dass er sie das erste Mal in ihrem Leben ans Meer führen wird.
Das müssen die Eltern einsehen, aber zufrieden sind sie mit dem Fremden doch nicht, denn wer weiß, was er den Kindern noch einredet, denn er ist Atheist und ein Linker, wenn nicht sogar ein Gottseibeiuns, der Leibhaftige, also ein Teufel.
Höchste Zeit, von der Einbettung dieser Geschichte zu sprechen, denn wir haben es nicht mit einem historischen Film von 1935 zu tun, sondern diese historischen Rückerinnerung sind nur die Folge einer Geschichte, in der Ariadna (Laia Costa) die Hauptrolle spielt. Die junge Frau will dem Wunsch ihres Großvaters nachgehen, was mit dessen Vater passiert ist, denn seit 1936 ist er vermißt und er will vor dem eigenen Tod wissen, was damals aus ihm geworden ist. Denn damals begann der bis 1939 währende Bürgerkrieg, mit dem Franco das sozialistische Spanien überzog, was mindestens einer halben Million Spanier das Leben kostete. Im Gegensatz zum faschistischen Deutschland, wo die eigenen Bürger in den KZs vergast oder sonstig umgebracht wurden, wenn sie jüdischen Ursprungs waren, war der Bürgerkrieg in Spanien der von den Reaktionären und Konservativen gegen die Linke aus Sozialisten und Kommunisten.
Und im Gegensatz zu Deutschland, zumindest Westdeutschland, wo die Nachkriegsgesellschaft mit dem Rücken an der Wand, nach den Studentenunruhen erst recht begannen, die Nazivergangenheit ‚aufzuarbeiten‘, wie der Fachbegriff für die Suche nach Ursache und Wirkung, nach schuldigen Personen und ihren Handlungen heißt, wo auf der anderen Seite erst jetzt (1. Auschwitzprozeß vom Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer ab 1963) der Opfer gedacht wurde und ihre Peiniger verurteilt wurden, also im Gegensatz zu einer drastischen Aufarbeitung der jüngsten deutschen Geschichte, hat die spanische Gesellschaft bis heute eine derartige Wiedergutmachung nicht möglich gemacht, bzw. nicht in Gang gesetzt. Zwar werden Gräber ausgegraben, gerade Massengräber, aber die spanische mörderische Francovergangenheit wird immer nur in Einzelfällen zum gesellschaftlichen Thema, so wie in diesem Fall und Film.
Also Ariadna beginnt 2010 mit der Suche nach dem Vater Antoni ihres Großvaters. Auf vielen Wegen, über Fotografien kommt sie an die Schüler und Schülerinnen von damals heran und führt mit ihnen Interviews, wie es damals war. Dann spielen Ausgrabungen eine große Rolle, die einen auf die verbrecherische Vergangenheit einstimmen. Richtig, dass dies im Detail gezeigt wird. Da werden die Knochen wie in der Archäologie üblich, mit dem Pinsel vorsichtig freigelegt und nummeriert. Unter der Leitung der Archäologin Laura (Alba Guilera) geht alles seinen Gang, aber der Film spricht deutlich davon, dass dies noch nicht überall in Spanien der Fall ist, dass es mit den Ausgrabungen erst so richtig losgeht. Erst einmal muß die Erkenntnis wachsen, dass es in ganz Spanien Massengräber von Ermordeten gibt, was unter Franco verschwiegen und auch danach (1977) erst nach und nach bekannt wurde.
Dem Film gelingt, auf das Schicksal der damaligen Opfer aufmerksam zu machen und sie eben als Opfer zu kennzeichnen, sie zu identifizieren und ihren Angehörigen den Ort ihres Einbuddelns in die Erde mitzuteilen, damit sie – für die katholischen Spanier besonders wichtig – in geweihter Erde bestattet werden können. Wie gesagt, der Film basiert auf der wahren Geschichte von Antoni Benaiges, dessen Knochen immer noch gesucht werden.
Foto:
©Verleih
Info:
Regie Patricia Font
Besetzung
Emroc Auquer. Laia Costa, Luisa Gavasa, Ramon Agirre, Milo Taboada
DVD
Der Lehrer, der uns das Meer versprach
Herkunftsland: Spanien, 2023
Altersfreigabe: FSK ab 12 freigegeben
Erscheinungstermin: 30.5.2025
Genre: Drama, Historie, Biopic
Spieldauer ca.: 102 Min.
Originaltitel:El maestro que prometió el mar (2023)
Sprache: Deutsch, Spanisch
Tonformat: Dolby Digital 5.1
Bild: Widescreen
Untertitel: Deutsch
Specials: + Making Of
Weitere Ausgaben von Der Lehrer, der uns das Meer versprach
Blu-ray Disc