
Maura Delpero
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Mein Vater verließ uns an einem heißen Sommernachmittag. Er schaute uns, bevor er sie für immer schloss, mit den großen, erstaunten Augen eines Kindes an. Ich hatte gehört, dass man wieder zum Kind wird, wenn man alt ist, aber ich wusste nicht, dass diese beiden Altersstufen in einem einzigen Gesicht verschmelzen können. In den folgenden Monaten kam er mich im Traum besuchen. Er war in das Haus seiner Kindheit zurückgekehrt, nach Vermiglio. Er war sechs Jahre alt und hatte die Beine eines Steinbocks.
Er lächelte mich zahnlos an, und er trug diesen Film unter dem Arm: Vier Jahreszeiten im Leben seiner großen Familie. Eine Geschichte von Kindern und Erwachsenen, zwischen Todesfällen und Geburten, Enttäuschungen und Wiedergeburten, von ihrem Zusammenhalt in den Wirren des Lebens, von ihrem Weg von der Gemeinschaft zum Werden von Individuen. Eine Geschichte von den hohen Bergen mit
ihren Wänden aus Schnee. Vom Geruch von Holz und heißer Milch an eisig kalten Morgen. In einem Krieg, der weit weg und doch immer gegenwärtig ist, erlebt von denen, die außerhalb der großen
Maschinerie blieben: Die Mütter, die die Welt von der Küche aus beobachteten; mit Neugeborenen, die starben, weil die Bettdecken zu kurz waren; die Frauen, die in der Sorge lebten, Witwen zu werden;
die Bauern, die auf Kinder warteten, die nie zurückkehrten; die Lehrer und Priester, die die Väter ersetzten. Eine Kriegsgeschichte ohne Bomben und große Schlachten. In der unerbittlichen Logik der
Berge, die die Menschen jeden Tag daran erinnert, wie klein sie sind.
Vermiglio ist eine Seelenlandschaft, ein „Familienlexikon“, das in mir lebt, an der Schwelle zum Unbewussten, ein Akt der Liebe zu meinem Vater, seiner Familie und ihrem kleinen Dorf. Indem er eine persönliche Zeit durchquert, will der Film eine Hommage an eine kollektive Erinnerung sein.
Inhaltsangabe des Films:
Vermiglio, ein kleines Bergdorf in den italienischen Alpen. Im Winter 1944 ist hier der Krieg gleichzeitig weit weg und allgegenwärtig. Lucia, Ada und Flavia, die Töchter des Dorflehrers Cesare, teilen sich ein
Zimmer und träumen von einer Zukunft nach der Tragödie des Kriegs. Als Pietro, ein junger Deserteur aus Sizilien, auf der Suche nach Unterschlupf auftaucht, verändert sich das im ewigen Rhythmus der
Jahreszeiten verlaufende Leben im Dorf. Inmitten der atemberaubenden Schönheit der Trentiner Berge suchen Lucia und ihre Schwestern unter dem wachen Blick ihrer Mutter Adele ihre eigenen Wege
ins Leben. Es müssen neue Wege sein.
Strukturiert von den vier Jahreszeiten erzählt Regisseurin Maura Delpero in ihrer tief bewegenden Familiensaga von Menschen zwischen Tradition und Zeitenwende, von Neugier, Zusammenhalt und geschwisterlicher Liebe, von der Kraft von Bildung und Kunst, von Begehren und Scham, Aufbruch und Selbstbestimmung. Betörend gefilmt von Kameramann Mikhail Krichman (u.a. Europäischer Filmpreis für „Loveless“), wurde Vermiglio vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Großen Preis der Jury auf den Filmfestspielen von Venedig, sieben Italienischen Filmpreisen (u.a. Bester Film, Beste Regie und Beste Kamera), dem Golden Hugo des Chicago International Film Festival als Bester Film, und war die italienische Nominierung zum Oscar® als Bester Internationaler Film.
Foto:
©Verleih
Info:
Besetzung
Cesare Tommaso Ragno
Pietro Giuseppe De Domenico
Adele Roberta Rovelli
Lucia Martina Scrinzi
Tante Cesira Orietta Notari
Virginia Carlotta Gamba
Attilio Santiago Fondevila Sancet
Ada Rachele Potrich
Flavia Anna Thaler
Dino Patrick Gardner
Pietrin Enrico Panizza
Tarcisio Luis Thaler
Giacinto Simone Bendetti
und
Anna Pennisi Sara Serraiocco
Stab
Buch & Regie Maura Delpero
Abdruck aus dem Presseheft