mariiTerra X History-Dokumentation mit Leon Windscheid im ZDF, Teil 4

Redaktion

Mainz (Weltexpresso) - Warum ist es wichtig, Depressionen bei historischen Persönlichkeiten zu thematisieren? Oder allgemeiner gefragt: Warum ist es wichtig, öffentlich über Depressionen prominenter Menschen zu sprechen?


Viele Menschen glauben immer noch, Depressionen träfen nur "schwache" Menschen oder solche mit bestimmten Eigenschaften. Aber das stimmt nicht – Depressionen können wirklich jeden treffen. Gerade wenn wir sehen, dass auch Persönlichkeiten, die wir als Helden, Stars oder große Köpfe der Geschichte wahrnehmen, betroffen gewesen sein könnten, hilft das, das Thema besser zu verstehen. Wir merken: Es betrifft viel mehr Menschen, als man denkt.
Ganz wichtig: Im Rückblick können wir keine Diagnosen stellen. Wir können uns Tagebücher, Briefe oder Berichte anschauen, versuchen, ein Gefühl für das Leben dieser Menschen zu bekommen – aber am Ende wissen wir nicht sicher, ob es wirklich eine Depression war.
Wenn wir dann in die Gegenwart schauen und sehen, wie jemand wie Kurt Krömer, Nora Tschirner oder Felix Lobrecht offen über Depressionen spricht, dann wird deutlich, was das bewirken kann. Gerade weil diese Menschen in der Öffentlichkeit stehen und jeder sie kennt, sind sie auch Vorbilder. Sie zeigen: "Es ist nicht deine Schuld. Du bist nicht allein. Es gibt Hilfe." Genau deshalb finde ich das so wichtig – und bin allen, die den Mut haben, offen darüber zu sprechen, sehr dankbar.

Warum war es lange unbekannt, dass historische Persönlichkeiten wie Sisi, Churchill oder Adenauer an Depressionen litten?

Das Thema mentale Gesundheit bekommt heute zum Glück viel mehr Raum als noch vor ein paar Jahren. Da hat ein echter gesellschaftlicher Wandel stattgefunden. Früher hat man bei vielen Persönlichkeiten gar nicht wahrhaben wollen, dass es auch psychische Probleme geben könnte – Adenauer musste nach dem Krieg der unerschütterliche Staatsmann sein. Kaiserin Elisabeth – die viele nur als Sissi aus den Filmen kennen – sollte ein "Happy Life" verkörpern, ohne Schattenseiten. Und das zieht sich bis heute: Ich kenne Lehrer, Managerinnen, Kellner, die nach außen in ihrem Alltag versuchen, das perfekte Leben darzustellen, obwohl es ihnen im Inneren nicht gut geht. Und wenn ich dann heute Sprüche höre wie "Die jungen Leute stellen sich alle nur an" oder "Das bilden die sich doch ein", dann denke ich: Vorsicht! Es gibt viel mehr Menschen, die jeden Tag eine Maske tragen, so tun, als wäre alles in Ordnung – obwohl sie innerlich kämpfen – anders als Menschen, die sich eine Krankheit nur ausdenken.  

Inwiefern hat sich der Blick auf das Thema Depression in den letzten 100 Jahren geändert?

Vor 100 Jahren hat kaum jemand über Depressionen gesprochen. Selbst vor 50 Jahren, als mein Opa mitten im Leben stand, hätte es kaum jemanden gegeben, der das Wort überhaupt benutzt – geschweige denn öffentlich darüber redet. Heute hat sich da viel getan.
Trotzdem ist Depression immer noch oft mit viel Scham behaftet. Ich erinnere mich an einen Freund, mit dem ich in einer WG gewohnt habe. Eines Tages kam er zu mir ins Zimmer und sagte: "Leon, ich muss dir was sagen. Ich bin depressiv. Schon lange." Und ich war schockiert, weil ich, der gute Freund und Psychologe, das nicht gemerkt habe. Und das zeigt mir aber eher nur noch mal mehr, wie hoch der Druck auf viele Menschen auch heute immer noch ist, psychische Probleme zu verstecken und vielleicht zu denken: Viele glauben immer noch: "Nur ich bin so. Mit mir stimmt was nicht. Ich bin komisch." Und das in einer Welt, die dich von allen Seiten mit "Be happy! Think positive! Das Glas muss halb voll sein!" anschreit. Klar, es gibt heute bestimmte Bubbles, in denen es normal ist, sich Hilfe zu holen – vielleicht wird es dort sogar als Stärke gesehen. Aber es gibt eben auch viele Bereiche, wo Scham und Angst immer noch größer sind als Offenheit.
Und um das mal in Zahlen zu fassen: Rund jeder vierte Erwachsene in Deutschland erfüllt einmal im Jahr die Kriterien einer psychischen Störung. Millionen Menschen! Und wenn wir die Familien, Freunde, Angehörigen dazuzählen, betrifft das Thema praktisch uns alle. Trotzdem holt sich nur jeder fünfte Betroffene professionelle Hilfe. Das heißt: Ganz viele versuchen immer noch, alleine damit klarzukommen – was riskant ist, weil es so oft chronisch wird und schwerer zu behandeln. Deshalb: Lieber einmal zu früh und einmal zu viel Hilfe holen, lieber einmal zu viel drüber sprechen – als still zu leiden.

Über den Einsatz von KI von Filmemacher Kai Christiansen

Der Film über historische Figuren mit Depressionen handelt von Menschen, denen oft gar nicht bewusst war, woran sie eigentlich litten. Es sind große Gefühle, fragende Blicke, kleine stille Momente, die hier mit Darstellerinnen und Darstellern inszeniert werden. Unterstützt wird die Inszenierung von KI generierten Filmsequenzen, die eine Einbettung in historische Kulissen ermöglichen. Es ist ein Weg, um die Menschen bestmöglich in Szene zu setzen. Es geht neben ihren tiefen Gefühlen und persönlichen Momenten um sehr unterschiedliche Epochen, ferne Länder, um Kriege und um historische Medizin. Diese Zeitspanne von über 150 Jahren glaubwürdig herzustellen, hätte mit bisherigen Techniken einen kaum realisierbaren Aufwand gekostet. Jetzt kann ich mit KI-Unterstützung visuell erzählen und nacherlebbar machen, was historisch überliefert ist.

Arthur Miller schreibt in seiner Autobiografie von einem Arzt, der seiner Ehefrau Marilyn Monroe eine Spritze geben will, von der zu befürchten ist, dass sie der Monroe das Leben kostet. Durch KI kann unser Miller-Darsteller (Matthias Conrads) jetzt durch die Straßen von New York 1960 hetzen, um dann am Ende bei seiner Marilyn anzukommen. Ich nutze dafür eine Technik, die sich "Image to video" nennt. Zunächst stellen wir dafür ein Foto her: Unser Miller-Darsteller wird vor einer weißen Wand fotografiert, dazu kommt ein Foto aus den New Yorker Straßen 1960 und der Schauspieler wird wie in einer Collage in diese Umgebung gestellt. Danach erhält der Computer die Anweisung, wie schnell und wohin unser Miller laufen soll und dass die Kamera ihm dabei folgen muss. Mit Hilfe von KI wird die Bewegung von Miller, aber auch der sich verändernde Hintergrund errechnet und ausgespielt. Das ergibt wenige Sekunden, hat aber eine große Wirkung: Die darauffolgende Szene mit der Spritze beim Arzt erscheint schlüssiger, das Eilen durch die Stadt erhöht die Spannung und auch die folgenden Bilder wirken dramatischer.

Ähnlich wurde aus ein paar Fotos eine Szene, die während des Kolonialkriegs in Südafrika spielt, gebaut, wurde Kaiserin Elisabeth zur Touristin in Griechenland und auch die Szene mit der Gestapo, die bei Familie Adenauer klingelt, besteht aus solchen Elementen. Es sind Fotocollagen von unseren Darstellerinnen und Darstellern, die dabei vor einen Hintergrund gesetzt werden, um sie zusammen mit Hilfe von KI zu bewegten realistischen Filmszenen werden zu lassen. So hat kein Pferd unter dem Sturz der Kaiserin gelitten, hat kein Schiffsschornstein auf dem Meer geraucht.

Die Vielzahl an Orten und Epochen wären bei einer rein filmischen Darstellung unbezahlbar gewesen. Die stillen Blicke und die Hände, die einander greifen, sind real gedrehte Momente, aber erst durch die visuelle Kraft der Schauplätze entfalten sie ihre Wirkung. Der Film lässt dabei immer erkennen, wo wir fiktionalisieren – denn dann sehen wir unsere Darstellerinnen und Darsteller. Dort, wo wir Archivmaterial oder Originalfotos zeigen, ist dies nicht der Fall.


Foto:
Marilyn Monroes (Valerie Potozki) Tod im August 1962 gibt bis heute Rätsel auf. War eine unbeabsichtigte Überdosis dafür verantwortlich? Oder war es eine fatale Wechselwirkung unterschiedlicher Medikamente? Fest steht nur, dass sie über längere Zeit an Depressionen litt
©ZDF und Dirk Heuer

Info:
Stab:
Buch                                Kai Christiansen, Michaela Kirst und Jutta Pinzler
Regie                               Kai Christiansen
Moderator                        Leon Windscheid

Sendedatum
Ab Freitag, 10. Oktober 2025, 5.00 Uhr, im ZDF streamen, fünf Jahre lang 
Dienstag, 21. Oktober 2025, 20.15 Uhr