Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Oktober 2025, Teil Hanswernner Kruse
Berlin (Weltexpresso) – Im Prag der 1920er Jahre zwischen Büroalltag und Traumwelt. Franz K. beim Psychotherapeuten zur Männerverbesserung, im Hintergrund turnen nackte Kerle. K. wird ohnmächtig, junge Mädchen helfen ihm auf, während er unter ihre Röcke schaut. Zwischendurch der ewig tobende oder schreiende oder aggressive Vater.
Entblößte Männer, manche mit Tiermasken, spielen Tauziehen im Sanatorium. Oft umgarnt K. die Frauen, mal diverse Verlobte, dann eine Prostituierte mit der er zärtlich sein will. Nachdem K. einen Brief schreibt, wehen Tausende von Briefen durch Prag.
Es sind absonderliche Szenen, welche die Regisseurin Agnieszka Holland in Franz Kafkas – weitgehend bekannte und oft verfilmte – Lebensgeschichte hineinmischt. Möglicherweise besaß der Autor aber auch solch einen Blick auf die Welt: dieses absurde Grundgefühl. Doch die Filmemacherin behauptet nicht, dass er die Dinge so sah wie sie es darstellt. Die absurden Bilder fließen einfach in den Film hinein und verschwinden wieder. Kafkas Biopic wird nicht gradlinig nacherzählt, sondern Holland nähert sich seinem widersprüchlichen und zerrissenen Leben assoziativ mit vielseitigen cineastischen Mitteln an.
In Zeitsprüngen oder Rückblenden taucht parallel der kleine K. auf, der auch als Erwachsener mit dem Vater streitet und macht was er will: Hauptsächlich träumen und schreiben. Träumen. Schreiben. Eine verfilmte, realistisch brutale „Strafkolonie“ wird früh gezeigt und wir Zuschauenden leiden bei der Todesfolter. Der Autor trägt diese Geschichte in einer Lesung vor, viele Zuhörer sind nicht gerade begeistert. Ständig zweifelt K., das sei alles Mist, tönt er – und hört doch nicht auf mit der Schriftstellerei. Sein Freund Max Brod ermuntert ihn: „Niemand kann Mist so gut schreiben wie du!“ Über das Jüdischsein wird diskutiert, K.s Schwester läuft mit dem Judenstern am Mantel herum, ihr Mann verlässt sie. Eine Zukunftsvision. Jahre nach Kafkas Tod.
K. ist scheu und linkisch, ein Träumer und Verwirrter – und doch meistert er sein Leben fantastisch. In der Versicherungsgesellschaft ist er unabkömmlich, macht Erfindungen, steigt auf. Als einer von mehreren Beschäftigten befördert werden soll, lacht und lacht K., weil beim Pflichtversicherungsgelaber Wasser durch das Dach in einen Topf tropft. Trotzdem bekommt er den Job. Und wird später auch aus dem 1. Weltkrieg geholt, um weiter im Büro zu arbeiten. Solche komischen Momente brechen oft die Schwere des Films. Großartig Idan Weiss als K., unglaublich Peter Kurt als Vater. Überhaupt ist der Film gut gecastet.
„Kafka ist eine Ware geworden“, meint die Regisseurin im Interview – und das zeigt sie im Film häufig, aber ohne erhobenen Zeigefinger: K. zieht von zu Hause aus, aber „das schaffst du nicht“, bellt der Vater. Doch der Ausgezogene schaut aus dem neuen Fenster, sieht draußen eine Menschenmenge in der Gegenwart, die in seine Wohnung glotzt. Später sind wir in einem Laden in dem es Kafka-Klopapier und Kafka-Burger gibt. Warum nicht? Japaner besuchen einen Ort am Fluss, der angeblich seine Schwimmstelle war.
Obwohl der manchmal schnell geschnittene, gelegentlich langsam erzählte Film verwirrt und irritiert – er ist spannend und ästhetisch. Die tollen Bilder und großartigen Szenen, fügen sich am Ende zu einer überzeugenden Collage zwischen Realität, Traum und groteskem Spiel.
Für die Zuschauenden wäre es dennoch hilfreich, vorab noch mal kurz über Kafkas Biografie zu schauen. Aber das kann man sicherlich hinterher tun – der Film lässt einen ohnehin nicht los.
Fotos:
© Marlene Film Production X-VerleihAG
Info:
Besetzung
FRANZ KAFKA. IDAN WEISS
HERMANN KAFKA. PETER KURTH
OTTLA KAFKA. KATHARINA STARK
MAX BROD SEBASTIAN SCHWARZ
FELICE BAUER CAROL SCHULER
MILENA JESENSKÁ. JENOFÉVA BOKOVÁ
SIEGFRIED LOEWI. IVAN TROJAN
JULIA KAFKA SANDRA KORZENIAK
OSKAR BAUM AARON FRIESZ
GRETE BLOCH GESA SCHERMULY
Stab
REGIE AGNIESZKA HOLLAND
DREHBUCH MAREK EPSTEIN, AGNIESZKA HOLLAND
TECHNISCHE DATEN
Tschechien/Deutschland/Polen, 2025
Länge: 127 Minuten
Bildformat: 2:1
Tonformat: 5.1