Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. September 2014, Teil 4
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Christian Petzold, der Regisseur von Phoenix, wird am Schluß auf die vielen Fragen, wie und ob man ein solches Thema – KZ und Auschwitzüberlebende sowie bundesdeutsche Verdrängung nach 1945 in einen Film bringen dürfen, sagen, daß er sich dies ohne sein Schauspielerpaar Nina Hoss und Ronald Zehrfeld nicht getraut hätte.
Liebe, Verrat, Schuld, Identität, „Phoenix“ behandelt die großen Themen des Kinos, aber in einer bestimmten historischen Situation. „Ja, da trifft eine Figur, die Nelly, auf das Berlin in der Nachkriegszeit, auf das Deutschland, das nichts von ihr wissen will“, meint Nina Hoss im Gespräch mit unserer Zeitung. „Es ist ein ganz kleiner Kosmos in diesem großen Ganzen, der wie in einer Druckkammer untersucht wird. Diese vermeintlich kleine, schon für sich allein komplizierte, Geschichte in so ein Setting zu setzen, das ist besonders und darin liegt auch einer der Unterschiede zu manch anderen Filmen über die Nachkriegszeit.“
Die Schauspielerin macht deutlich, dass es keine ähnlichen Situationen gibt: „Ich wüsste nicht, wo man sonst derartig ausgelöscht wurde, wie in den Konzentrationslagern. Nelly ist ja so traumatisiert, dass sie Johnnys Spiel mitspielen muss, dass sie gar nicht sagen kann, ‚ich bin es doch.‘ Sie kennt sich ja selbst nicht mehr und muss sich neu zusammensetzen, sie versucht sich wieder der anzunähern, die sie mal war. Aber man kann das Leben nicht einfach so zurückdrehen. Besonders nicht nach all dem, was sie mitgemacht hat.“
Diese Erlebnisse muss sie quasi verdrängen, denn Johnny will, dass Nelly „offiziell“ nach Berlin zurückkehrt und dabei wieder so strahlend und elegant aussieht wie früher. ‚Die Leute interessieren sich nicht für das, was Ihnen angetan wurde‘, meint er zu ihr - und während ihrer Verwandlung fragt sie sich bald selbst, ob sie das alles überhaupt erlebt hat.“
Auf die Frage, wie es für sie war, diese Figur wieder zum Leben zu erwecken, erzählt Nina: „Es ist eine große Verantwortung, wenn man eine KZ-Überlebende spielen soll, kann, darf… dem musste ich mich erst mal ganz offen annähern. Ich habe mich gefragt, wie komme ich denn an diesen Zustand des absoluten Traumas heran, an einen Menschen der eigentlich ausgelöscht ist, denn das ist ja passiert im Lager, man hat Nelly entmenschlicht, ihr die Würde genommen. Es geht nicht darum, dass ich als Nelly wieder ‚schön‘ bin, wie die Freundin zu mir sagt. Es geht darum, dass ich nicht mehr weiß wer ich bin, dass ich nicht weiß, wie ich in dieser Welt zu Recht kommen soll. Ich, als Nelly, frage mich ja sogar, ob ich das Grauen überhaupt wirklich erlebt habe.“
Nina Hoss hat viel zum Thema gelesen, sich intensiv mit Traumatherapie beschäftigt: „Es gibt ja nur wenige Menschen, die direkt von der Lagererfahrung erzählt haben. Sie wurden nicht gefragt, aber sie haben auch alles erst einmal verdrängt um weiterzuleben. Nellys Antrieb ist die Liebe gewesen, die hat sie am Leben gehalten. Nun kann sie nicht akzeptieren, dass es diese nie gegeben haben soll, das war für mich sehr nachvollziehbar.“
Regisseur Petzold sagt im Gespräch mit uns, dass er den Film chronologisch gedreht habe und Nina im Team immer etwas außen vor war. Sie wurde morgens lange geschminkt, zwei bis drei Stunden, und musste den ganzen Tag lang „mit dieser Scheiße“ herumlaufen. Wenn sie dann in den Pausen mit ihren Verbänden kam, entstanden ganz seltsame Situationen. „Alle Gespräche verstummten. Sie war nicht Teil unserer Gesellschaft, sie war außenstehend, das hat sie aber mit in ihre Figur eingearbeitet“, berichtet er voller Bewunderung.
Der Philosoph Theodor W. Adorno misstraute der künstlerischen Umsetzung des Entsetzlichen, sie berge die Gefahr einer ästhetischen Stilisierung hin zu einem „Genuss“ und einem „Sinn“: „Es wird verklärt, etwas von dem Grauen weggenommen; damit allein schon widerfährt den Opfern Unrecht!“, schrieb er. Petzold war sich dieser Problematik bewusst und schmiss das Filmmaterial des ersten Drehtags weg. „Es geht ja nicht darum, den Holocaust nachzustellen“, meinte er, „sondern um Leute die ihn überwinden wollen.“ Zu stark hatte er die erste furchtbare Szene ästhetisiert - einen impressionistisch wirkenden Wald gedreht, in dem man nur auf den zweiten Blick die herumliegenden Leichen sah, aus denen sich die schwer verletzte Nelly erhebt und weggeht.
„Phoenix“ überwältigt nicht brutal wie „12 Years a Slave“, aber auch emotional „tropft die Depression nicht von der Decke“, wie Petzold sagt.
Foto: Hanswerner Kruse im Gespräch mit Nina Hoss
INFO:
„Phoenix“, Deutschland 2014, 98 Minuten
Regie Christian Petzold, mit Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf u. a.
Filmstart 25. September