Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. September 2014, Teil 2

 

Corinne Elsesser

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Zwei Frauen fahren im Auto durch die Nacht. Juni 1945. An einer Straßensperre der Alliierten hält ein Soldat das Auto an und fordert die Passierscheine. Die Beifahrerin ist schwer verletzt. Ihr Kopf ist verbunden, eine Gesichtskontrolle nicht möglich. Der Soldat befiehlt, den Verband abzunehmen. Langsam beginnt die Frau, den Mull abzuwickeln. Sie jammert. Da winkt der Soldat ab.

 

 

PHOENIX

 

Ein Aussehen wie Marlene Dietrich oder doch lieber wie Zarah Leander?“, fragt der Chirurg wenig später in einem Berliner Krankenhaus. Die junge Frau sagt, sie wolle einfach so aussehen wie früher. Da muss der Arzt kapitulieren.

 

Das Elternhaus liegt in Trümmern. Nichts als ein Haufen Steine und Schutt ist übriggeblieben. Wie auch nichts mehr geblieben ist von Nellys (Nina Hoss) Gesicht. Sie will dennoch ihr altes Leben zurück. Lena, die Freundin aus Vorkriegszeiten - kühl und nüchtern dargestellt von Nina Kunzendorf - arbeitet in einer jüdischen Organisation und ist fest entschlossen, ein neues Leben in Palästina zu beginnen. In Berlin versucht sie inmitten der Trümmer eine bürgerliche Normalität aufrechtzuerhalten.

 

Doch Nelly genügt das nicht. Sie macht sich auf die Suche nach ihrem Ehemann Johnny (Ronald Zehrfeld), der ihren Abtransport nicht verhinderte und nun glaubt, sie sei längst tot. Sie will wissen, ob er sie noch liebt. Sie spürt ihn schließlich dort auf, wo sich unter Trümmern das Nachtleben schon wieder regt. Sie ruft seinen Namen, als er aus der Phoenix-Bar heraustritt, doch er erkennt sie nicht. Sie könne bei ihm übernachten, wenn sie nichts habe, das biete er nicht jedem an, aber sie erinnere ihn an jemanden. Er hat inzwischen soviel kriminelle Energie angesammelt, dass auch sie ihn kaum wiedererkennt. Doch sie schaut darüber hinweg. Sie ist durch den Krieg, durch die Lager eine andere geworden. Er schaut an ihr vorbei wie an einer Unbekannten. Ihm schwebt das Erbe seiner Ehefrau vor. Da kommt ihm diese Fremde gerade recht. Sie soll seine Frau spielen und das Erbe einfordern.

 

Es entspannt sich eine absurde Geschichte zwischen Fremdheit und Vertrautheit, zwischen Erinnerung und Sehnsucht. Der Phönix aus der Asche der Lager ist zu einem neuen, anderen Vogel geworden. In ihrem Inneren aber ist Nelly dieselbe geblieben. Sie tut gehorsam, was der Ehemann von ihr verlangt. In ihrer Doppelrolle wartet sie insgeheim auf den Augenblick, da ihm die Augen aufgehen. Doch sein Blick bleibt verstellt. Sie widerspricht nicht, als er sie in seinen Plan einweist. Sie soll neue hohe Schuhe anziehen, die er über seine Beziehungen zu den amerikanischen Soldaten bekommen hat. Und ein rotes Kleid aus Paris. „Aber so kommt man nicht zurück aus dem Lager“, wendet sie ein. Er beharrt auf seiner Idee. Er wundert sich auch nicht, dass sie die Schrift seiner Ehefrau so mühelos nachmachen kann, dass sie ihre Haare färbt wie sie. Doch gekrümmt und gebückt schleppt sie sich durch die Küche der schäbigen Kellerwohnung. „So geht man nicht in solchen Schuhen!“ ruft ihr Johnny zu. So geht man aber im KZ, sagt ihr Blick, doch sie spricht es nicht aus.

 

Nina Hoss vollzieht die zaghaften unsicheren Schritte der Nelly als langsame Entwicklung der Figur so überzeugend, dass die gebrochene Frau, die ihr Gesicht in den Lagern verlor, zusehends an innerer Stärke gewinnt. Roland Zehrfelds nachdenkliche Blicke bleiben leer und man nimmt ihm ab, seine Ehefrau nicht wiederzuerkennen. Beide Schauspieler erweisen sich einmal mehr als ein eingespieltes Team. Bereits 2012 haben sie gemeinsam in „Barbara“, ebenfalls unter der Regie von Christian Petzold, vor der Kamera gestanden. Am Drehbuch hat diesmal der vor wenigen Wochen verstorbene Harun Farocki mitgearbeitet. Eine schwermütig tragende Erzählung ist entstanden, die das Scheitern am Holocaust aus einem neuen Blickwinkel zeigt.

 

INFO:

Phoenix“, Deutschland 2014, 98 Minuten

Regie Christian Petzold, mit Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf u. a.

Filmstart 25. September