Too Big to Tell“ von Johanna Tschautscher - Intimeres zur Finanzwelt - naxos.Kino in Frankfurt

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Jeden Dienstag gibt es im Naxos Theater Kino. „Too Big to Tell“ gab's am 30.September 2014. Die heutige globale Wirtschaft ist zum physikalischen Problem geworden. Das ist eine Tatsache, die nicht mehr dem bloßen Meinen unterliegt. Ungleichgewichte und systemische Risiken verstärken sich.

 

 

Diesen wäre eigentlich mit klassischem Verstand und aufgeklärter Vernunft beizukommen. Das hieße aber auch: Start einer neuen Gesellschaftsverfassung und einer diesbezüglichen Ökonomie, Beginn eines unverzichtbaren, beschlossenen Neuanfangs - der andernfalls sich unkontrolliert Bahn brechen könnte, dann aber kaum in heilsame Bahnen zu lenken wäre.

 

Das System des Täuschens, der Selbstsucht und des rücksichtslos ausgeübten Selbstinteresses, muss überwunden werden. Dazu bedürfte es - darin waren sich die im Anschluss an die Vorführung des Films noch ausgiebig Diskutierenden einig - einer anderen Funktions- und Verwendungsweise des Geldes. In lokalen Währungen meldet sich dieser Anspruch hier und da an, er richtet sich gegen die Anonymität, Virtualität und Abstraktheit des Geldes. Warum waltet das Starren auf die Krise in den Talkrunden so sehr vor? Es ist ein Diskurs wie unter Halbtoten. Warum darf die Phantasie sich nicht einschalten, um Alternativen entwicklungsfähig zu machen?

 

Können Schulden denn wirklich zurückgezahlt werden oder taucht nicht doch schon bald wieder neuer Handlungsbedarf auf, bevor die alte Hypothek abschließend bedient ist? Sollte das begrenzte, einzeln geregelte Risiko nicht doch durch ein - wohl bedacht - eingerichtetes Gemeinwesen „gemittelt“ werden, statt dass unter dem 'Jeder für sich' und 'Alle gegen alle' eine endlos vertagte, hinausgeschobene Risikobehandlung, zumal in den Großwelten des Geldes, vorherrscht? Ein neuer Entwurf von Gesellschaft ist gefragt. Dieser braucht Institutionen der Gemeinwirtschaft, 'checks and balances' inbegriffen.

 

Wovon und worüber der Film handelt, pointiert gefasst

 

Was macht die Bank mit unserem Geld?“, fragte Erwin Wagenhofer in seinem Film „Let's make Money“, ein Markstein des analytisch zeitgeschichtlichen Films. Dennoch ist weiter Raum für andere Betrachtungs- und Annäherungsweisen.

 

Mit dem Film „Too Big to Tell“ ist eine mikrologischere Sicht eröffnet: auf das kleinteilige, verschwiegene und verborgene Tun der Bank im Zusammenhang mit Geldschöpfung und Kreditschaffung - ohne Ende.

 

Geld ist immer schon selbst - der Möglichkeit nach - Derivat, ein Abgeleitetes. Das eröffnet ein offenes Feld. Trotz eigener Stofflichkeit ist es zurückgezogen von den vielen Stoffen, die es repräsentiert. Die Bank geht kreativ mit dem Buch-Geld um. Geht ein Betrag, z.B. eine Million, zur Begleichung eines gelieferten Gutes ein, dann bleibt dieser Betrag nicht stationär, sondern wird in Bewegung gehalten. Es ist Praxis, alles Stehende, jede Position aufzugreifen und weiter zu verwerten, also z.B. das Buchgeld bei einer anderen Bank – wenn auch vielleicht nur kurz – anzulegen, um Zinsen zu beziehen.

 

Die Weiterbucherei ist das Zentralste, worin eine Bank sich ergeht. Es ist möglich, dass über mehrere Stationen ein Buchgeld zum weiteren Mal dieselbe Bank passiert und dass aus dem anfänglichen Betrag Schulden von 2 Millionen und neue Vermögen von
3 Millionen 'erwachsen'. Geld ist erst mal weg, taucht aber immer wieder kurz auf. Wie Geldschöpfung per Ansatz im Buchungssystem in Einzelschritten vor sich geht, erklärt im Film ein Insider.

 

Der Film hat, um ihn fertigzustellen zweieinhalb Jahre benötigt. Studieren hierfür war laut Aussage der Regisseurin unumgänglich und die Form des Films – unter anderem mit skurrilen Szene-Sequenzen am Bankschalter und einem Hin-und Hergerissensein zwischen Banküberfall und Kredit versehen – hat den Sinn, anders aufklärerisch vorzugehen, was durchweg gelingt. Der Streifen hat mehr Konsistenz als das gemeinhin in diesem Zusammenhang Übliche.

 

Der Film behandelt, wie könnte es anders sein, eine lange Gefahrenkette, ein Großgebiet gegenseitiger Abhängigkeiten, die aber nur Teil desselben Problems sind: der Real- bzw. Realitätsentbindung des Geldes, wobei aber diese mit dem nächsten Crash verheerend zurück käme. Ein Crash-Ereignis wird durchweg von einem informierten Publikum als auf Dauer nicht verhinderbar angesehen. Es sei denn, es käme zu einer Neuorientierung in Bezug auf das Geld und seiner Handhabung. Trotzdem wird weitergemacht, immer im selben Takt, so wie der Postbote täglich Briefe verteilt. Die „finanziellen Massenvernichtungswaffen“, von denen Warren Buffet vor 5 Jahren sprach, sind immer noch in Gebrauch und in Funktion.

 

Ungleichgewichte und Unverhältnismäßigkeiten: Die Kreditvolumina kursieren weltweit mit einem Sechsfachen jenes Geldes, das auf einfachem Sparen gründet, stammen also aus großen Vermögensbeständen und Geldschöpfung. Derivate sind auch vielfach kreditiert und durch Kredit gehebelt. Vermögen schichten sich immer massiver auf, vermehren sich gleichsam wie selbsttätig (Schicht für Schicht als 'leistungslose Einkommen'). Sie speisen sich auf der bodenständigen Ebene dennoch aus der Arbeit, die von den ganz alltäglichen Individuen, den 99%, erbracht wird, die schon seit Anbeginn auf diesem Planeten siedeln, aber irgendwie in Verruf gekommen sind, obwohl sie so emsig arbeiten und die Überlebensbasis erwirtschaften. Sie wurden zu bloßen Kostenfaktoren. Derivate und allerlei Finanzkonstrukte, die spekulativ „arbeiten“, gehören zu der gefährlicheren Art des aggressiv aufgeladenen Kapital-Geldes.

 

Was Kredite angeht, bewegen sich Banken mit dem 12,5-fachen der Eigenkapitalquote. Geldvermögen und Schulden wuchsen stets an. Schuldenbedienung ist zweitgrößter Haushaltsposten. Dennoch, die EZB kämpft verzweifelt mit ihrem 'dem Markt' zur Verfügung gestellten 'billigen Geld', um dem drohenden Geld-Untier Zeit zu verschaffen. Das dürfte in eine lange andauernde Krise führen, wenn nicht die Spielregeln verändert werden. Der coupartige Schnitt in Zypern 2013 hat die kleinen Sparer mit betroffen, aber Lösung nicht erbracht.

 

Schulden und Geldvermögen korrespondieren in einem hohem Äquivalenzverhältnis. Sie sind einander spiegelbildlich. Die großen Vermögen versammeln die meisten Zinsen auf sich, denen auf der anderen Seite Schulden entsprechen. Der Abbau progredierender Schulden ist nur möglich, wenn auch Vermögen 'zurückgeführt' werden.

 

Bündelungen und Kreditausfallversicherungen kleisterten 2007/2008 die drohenden Verluste aufgrund der betrügerischen Hypothekenpapiere zu. Die verkauften Häusle waren vielfach nicht in Augenschein genommen worden.- Erschreckend zeigt eine Film-Sequenz auf auf: um das Jahr 2030 könnte es 'zum Ende' kommen. Wer meint, dass Produkte und produktive Dienstleistungen die Hauptsache sind im wirtschaftlichen Prozess, der wird belehrt: bis zu jenem Jahr könnte die Zinsbedienung auf 100% anwachsen, das BIP aber auf 0 runtersacken.

 

 

Siebziger und Achtziger Jahre

 

Die Nachkriegsordnung kannte die Goldbindung der US-amerikanischen Währung. Im Gefolge des Vietnam-Krieges druckten die USA viel Geld, so dass die Bindung nicht gehalten werden konnte. „Am 15. August 1971 zog US-Präsident Nixon die Notbremse und löste die Gold-Dollar-Bindung in gewohnter Großmachtmanier – ohne sich vorher mit seinen Verbündeten abzusprechen.“ (Ernst Wolff, Weltmacht IWF, Chronik eines Raubzugs, 2014) Im Vorfeld des Dezember 1971 kam es zur Abwertung des Dollars.

 

Während der Siebziger nutzte die OPEC - genauer 1973 - die Auseinandersetzung zwischen Ägypten und Israel aus. Sie fuhr die Öl-Liefermenge zurück und konnte die Preise um das 24-fache erhöhen. Petrodollars schwemmten in die Banken. Wohin bloß mit all dem Geld, war wohl der verbreitetste Seufzer. Resultat: Geld floss in Form von Krediten nach Südamerika, nach Afrika und Asien, weil auch die USA in eine Rezession geraten waren.1974/75 war weltweit Rezession. Damals herrschte eine neue, angespannte Situation in den Banken vor. Die Sockelarbeitslosigkeit begann zu diesem Zeitpunkt anzuwachsen.

 

Seit den Achtzigern wurde dann nachdrücklicher versucht, Regierungen Geld anzudrehen, Verleihen von Geld, Kapitalrendite bekam unbedingten Vorrang, auch in den Finanztöchtern der Konzerne. Das entwickelte sich zu dem anschwellenden Prozess der Finanzialisierung, der heute epidemisch ist und die Realwirtschaft im Griff hält. Das war die entschiedene Wende weg von der relativ stabilen Nachkriegsordnung.

 

Motto ab den Siebziger und Achtziger Jahren: Möglichst jeden dazu bringen, Kredite aufzunehmen. Immer mehr Geld drängte nach. Hier zeigte sich schon, wie einerseits von Schuldenabbau dahergeredet wird, andererseits aber Geld unter die Völker gebracht werden soll, um die Schuldenfalle aufzubauen und das Spiel des Geldes ohne rechten Sinn weiter zu treiben. Besonders wurden Diktatoren mit Krediten bedient. Warum wohl?

 

 

Strukturierte“ Wertpapiere

(strukturiert heißt: verschleiernd)

 

Jüngst“ dann, ab den beginnenden 2000er Jahren bereits wurden Hypotheken in Wertpapiere „strukturiert“, sie wurden gebündelt, verbrieft, der drohende Verlust wurde gleichsam umwickelt, damit aber nur vertuscht. Von Einsturz gefährdete Kartenhäuser wurden gezimmert. In der sich verschärfenden Krise haben die Banken die besten Gewinne gemacht.

 

Abgründiges Thema: 'Accounting', 'Buchgewinne'. Greespan senkte die Zinsen. Der Wert des Kredit“zettels“, der Anschaffungskosten, wuchs von 1000 auf 1500, somit ergaben sich 500 Euro Buchgewinn, benannt dann mit „Fair Value“. Greespan löste das aus. Sonst hatte sich nichts geändert. Buchgewinne erhöhen das Eigenkapital, so sind noch weitere Zielgruppen dazu zu bringen, einen Kredit aufzunehmen.

 

Der Streit, die Diskussion um das Bankenkonzept ist länger schon im Gang. Universalbanken sind Einheitsbanken - Geschäfts- und Investmentbanken ein einem. Einlage, Kreditgeschäft, Hochfrequenzhandel, der Handel mit unglaubwürdigen Papieren, alles bleibt faktisch unter einem Dach. Das aber bringt ein fatales Risiko mit sich. Das Investmentbanking infiziert das traditionelle Geschäft. Handelsvolumen von 'Geschäft': 175 Bill. Dollar, Volumen von 'Investment': 700 Bill. Dollar. 175 Billionen können nicht für die viruserkrankten 700 Billionen einspringen. Der Staat sieht sich im Krisenfall gezwungen, die Banken zu retten.

 

Gefahr auch: das systemische Risiko durch 'Too big to fail' verschafft Gelegenheit, ein immer größeres Rad zu drehen. Denn man weiß unter heutigen Bedingungen, dass Rettung sicher naht. Die Finanzwirtschaft der Wetten und Spekulationen droht die Werte schöpfende Wirtschaft mit sich hinabzureißen, wie es 2008 geschah. Damals war es ganz knapp vor dem Unheil. Teil der Lösung könnte sein: Wiedererrichtung des Trennbankensystems, wie 2013 in den USA, wo es dieses Modell vor der Deregulierung schon einmal gegeben hatte, als Folge der Erfahrung der großen Weltwirtschaftskrise. Für das neue US-Modell gibt es aber 'hundert Hintertüren' und die 'hochbezahlten Spezialisten'.

 

Überwinden der Buchungstricks, des Schwimmens auf der Geldblase, wo Geld, wie wir es lange verstanden, kaum eine ehrliche Rolle mehr spielt (Firmen haben es gleichwohl schwer Kredite zu bekommen). Gewinn und Verlust werden merkwürdig zueinander gleichgültig. Es wird auf der großen Tide geritten. Fazit: Geld muss in die Realität zurückkehren: Dies ist das Anliegen eines hellen Geistes, des Hans Scharpf, der sich nicht mit Leuten abfinden will, die vorgeben, 'Kleider an zu haben'. Er entwickelt seine unabhängigen Einsichten trefflich gegen Ende des Films.

 

Szenen bei Finance Watch, Brüssel. In diesem Umfeld ist auch Sven Giegold (Grüne) zu hören (er parliert), seinen Standpunkt für die Regulierung und die Probleme bei deren Umsetzung erläuternd - er ist in laufende Regulierungsprozesse eingebunden, vertritt diesen Part genuin, wie schon bei Attac; spricht aus der Innenwelt der umfangreichen Brüsseler Bürokratie, ohne selbst Bürokrat zu sein (so hoffen wir).

 

Speziell über das Filmische am Film

In einem Text der Besprechung ist das meiste nur verkürzt wiederzugeben. Der Film
„Too Big to Tell“ ist von künstlerisch-ästhetischem Rang, er bietet eine Film-Form dar, ist filmsprachlich weiter gefasst als es für diesen Themenkreis zu erwarten wäre. Er prägt sich ins Gedächtnis ein, macht das behandelte Großproblem einsichtiger, verstehbarer, anschaulicher. Das Abstrakte des Themas, obwohl es in der Realität stattfindet, ist eine Herausforderung für Menschen der Lebenswelt, auch wenn diese nicht mehr ist, was sie einmal war. Das schwerlich nachvollziehbare Thema ist ausgesucht illustrativ und durch besondere szenische Arrangements deutlicher gemacht. Es gibt keine öde Filmsprache.

 

http://www.tschautscher.eu/

 

Der Film bleibt souverän, weil die Regisseurin (die auch Schriftstellerin ist) sich nicht allein auf einen eng gefassten Begriff des Themas fixiert, sondern über den sonst eher üblichen Horizont hinaus Elemente der künstlerischen Sprache einzusetzen weiß, die den thematisch im Genre nur der Ökonomie Verpflichteten weitgehend etwas Fremdes bleibt.

 

Mit dem Film kommt alles angeregt wieder in Erinnerung, was die kritische Öffentlichkeit seit mindestens 5 Jahren bewegt. Aber die Erkenntnis über diese Abgründe ist niemals erschöpfend möglich. Da lebt sich etwas aus, was die Theologen als Hölle bezeichnen. Um das zu sagen, muss man kein Theologe sein!

 

Es diskutierten nach dem Ende des Films: die Regisseurin Johanna Tschautscher, der Frankfurter Wirtschaftsanwalt Hans Scharpf (!) sowie Raimund Brichta, TV-Moderator, Finanzjournalist und Buchautor („Die Wahrheit über Geld“). Moderiert hat hr2-Moderator Florian Schwinn. (aus der Ankündigung des Naxos-Kinos)

 

Einige zentrale Thesen aus der anschließenden Diskussion:

 

  • Banken schöpfen Geld aus Nichts

  • will man von den Schulden wegkommen, muss man Vermögen abbauen

  • Grundschuldbestellung ist zu radikal, sie gefährdet Menschen die Lebensgrundlagen

  • Richter wissen nicht, worüber sie richten (in Wirtschaftssachen)

  • In der Finanzkrise wurden die Akteure geschützt, die Verluste sozialisiert

  • EZB kaufte marode Papiere auf – sie wurden auf die Allgemeinheit verlagert

  • BIP-Wertschöpfung nimmt tendenziell ab

  • gut für die Banken: Hypotheken werden nicht bar abgeholt

  • Bargeld wird von der Finanzverwaltung nicht mehr akzeptiert

  • Buchgeld sind Bits & Bites, sie geleiteten zu einem Glaubenssystem an Nichts

  • für 200 Mrd. Bankenrettung gibt es keine Nachweise über die Verwendung

  • Banken haben eine Eigenkapitalquote von wenigen Prozent, Unternehmen brauchen

    für Kredit aber 40% Sicherheit

  • der Zusammenhang zwischen Buchungstechniken und Liquiditätsflüssen ist entscheidend, weniger die Vertragsbeziehungen zwischen Banken und Kunden

  • aus Realgeld wurde Virtualgeld

  • Buchgeld ist rechtlich nicht gesichert

  • Ethische Banken als Alternative

  • Alternativen auch zum heutigen Geldsystem mit bedenken und entwickeln

  • besonderer Aspekt: Hans Scharpf versucht von den Banken einzufordern, dass sie belegen, dass sie aus realem Geld Kredite geschaffen haben

 

Kontakt: Wolf Linder

Naxos-Halle

Wittelsbacher Allee 29

Eingang Waldschmidtstraße 19

60316 Frankfurt/Main