Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. Oktober 2014
Romana Reich
Berlin (Weltexpresso) – Alle warten gespannt auf die Filme von einem der wenigen deutschen Regisseure, die auch im Ausland so richtig angesehen sind: Fatih Akin, der mit seiner „Liebe, Tod und Teufel“-Trilogie auch seine eigenen türkischen Wurzeln anspricht. Mit THE CUT vollendet er diese Trilogie.
THE CUT
Fatih Akin ist filmisch so vielfältig wie kaum ein anderer und seine Filme zeigen immer wieder einen neuen Regisseur mit einer neuen Machart, einem neuen Film. So auch dieser.
Wenn sich herumgesprochen hat, auch weil ihm die Rechten in der Türkei die Pest an den Hals wünschten, wenn sie nicht gleich Mordabsichten hegen, wenn sich also herumgesprochen hat, daß es in diesem Film um den Völkermord an den Armeniern durch die Türken geht, den man in der Türkei nicht ansprechen soll und vor allem nicht als Genozid bezeichnen darf, dann stimmt das zwar, weckt aber Erwartungen auf eine historisches Massendrama, das auf der Leinwand nicht zu sehen ist.
Was ist zu sehen? Sehr vieles,manche schönen, ewig schönen Naturaufnahmen, hauptsächlich von kargem wüstenähnlichem Land mit Sanderhebungen im Gebiet Armenien und der Türkei, dann aber auf einmal die Weiten des amerikanischen Südens und zischende Puffeisenbahnen. Schreckliche Marter von Menschen, was Menschen den Menschen antun, liebevolles Verhalten von Eltern zu Kindern um umgekehrt, erleben wir auch, die Szenerie ist also über die 138 Minuten Film sehr wechselnd, aber die Erzählart ist es nicht.
Sehr ruhig, für manche Zuschauer zu ruhig, erzählt Fatih Akin, der auch Mitdrehbuchautor und Mitproduzent ist in langsamen Bildern vom armenischen Schmied Nazaret Manoogian (Tahar Rahim), der mit seiner Frau Rakel (Hindi Zahra) und den Zwillingstöchtern (Zein und Dina Fakhoury) in Mardin lebt, einem kleinen Ort im nordöstlichen Mesopotamien. Für das friedliche Zusammenleben vieler Völker war das Osmanische Reich bekannt, was der Erste Weltkrieg in Folge änderte, erst einmal, als das mit Deutschland verbündete Osmanische Reich zerbrach und sich dann die bisherige staatliche Klammer so auflöste, daß aus Mitbürgern Feinde wurden.
So erleben wir gleich zu Anfang, wie türkische Polizisten Nazaret und seinen Bruder mitten in der Nacht abtransportieren. Offiziell sollen sie zum Militärdienst, aber sie werden unter den schlimmsten körperlichen Qualen zum Straßen- und Eisenbahnbau eingesetzt, wie Schwerverbrecher, die arbeiten sollen, wenig zu essen bekommen und leicht krepieren.Während sie schuften, sehen sie an sich Kolonnen von Armeniern vorbeiziehen, Alte, Familien und Kinder.
Während wir noch darauf eingestellt sind, jetzt die schrecklichsten Szenen sehen zu müssen, die auch erst einmal mit Überfall durch Söldnertruppen und Sträflingen alle das Leben kostet, geht der Film einen anderen Gang. Denn Nazaret hat die schwere Halsverletzung überlebt, hat allerdings keine Stimme mehr, und wird vom Mehmet, einem Dieb, versorgt. Er kommt in das Lager, in dem die Überlebenden nach den Angehörigen suchen, vergeblich für Nazaret und erst recht, als er auf seine schwerverletzte Schwägerin trifft, die ihm vom Tod seiner Töchter und Ehefrau spricht und ihn bittet, sie durch den Tod zu erlösen, was er tut.
Was dann passiert, ist eines langen Tages Reise durch die Nacht über Kontinente hinweg zu einem versöhnlichen Schluß. Nein, die Geschichte wollen wir jetzt nicht erzählen, sondern davon, daß man diesen Film erst dann richtig wahrnehmen kann, wenn man sich von seinen Erwartungen gelöst hat, hier würde nun ein Geschichtsdrama entfaltet, die ganze Geschichte vom Völkermord endlich auf der Leinwand erscheinen und die Wucht durch vielfältige Tricks des Regisseurs gemildert. Nein, es passiert etwas ganz anderes. Es wird in Ruhe und Tiefe, in Breite und auf großer Leinwand von diesem Nazaret erzählt, den es in die weite Welt verschlägt, weil er auf einem Foto seine Töchter erkannt hat, die also überlebt haben.
Fatih Akin traut sich was. Er gibt einem kleinen Menschenschicksal auf historischem Hintergrund Raum und Zeit und das führt auch zu viel Komik bei all dem Tragischen. Daß es damit in Amerika nicht vorbei ist, konnte man sich auch denken. Empfand man schon Mesopotamien als amerikanische Wüstenlandschaft, kommen wir nun in den Süden der USA wirklich in eine und befinden uns mitten in einem Western. Akin führt uns verschiedene Filmgenres vor, aber sie sind alle getragen durch den ruhigen Erzählton. Und wenn man sich darauf einläßt, dann wird der Film für einen gut.