Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Oktober 2014, Teil 1
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Filme vom Sterben sind, insbesondere wenn es um die geht, wo Menschen sterben wollen und Sterbehilfe in Anspruch nehmen, die es in Deutschland (noch) nicht gibt, immer ein schwieriges Pflaster. Wir können auch nicht genau sagen, warum uns dieser Film derart unter die Haut ging. Und was unter die Haut geht, muß gut sein.
HIN UND WEG
Das wird jetzt also eine stärker persönliche Filmbesprechung als sonst, obwohl das nicht stimmt. Denn was Filmkritiker mit sachlichen Begriffen oder auch deftigen über die von ihnen besprochenen Film sagen und schreiben, passiert immer auf einem persönlichen Hintergrund. Nun gut, beim selber Sterben kann dieser Hintergrund nicht gegeben sein, sonst könnte man nicht mehr darüber berichten, aber beim Zuschauen am Sterben anderer, trifft dies schon wieder ein. Wir kennen niemanden oder wissen von niemanden der Verstorbenen, die wir kennen, ob sie selber nachgeholfen haben. Sicherlich ist dies eins der meist verborgenen Geheimnisse, wer bei seinem eigenen Tod nachgeholfen hat, weil er so krank oder so lebensüberdrüssig war, daß er einfach nicht mehr wollte.
Dazu ethisch eine Position zu gewinnen, ist zwar schwierig, aber unumgänglich in einer Welt, wo das Private längst öffentlich geworden ist. Über das Thema der Selbsttötung durch Sterbehilfe wird nicht nur in vielen Sachartikeln berichtet, sondern auch literarisch findet sie Niederschlag, beispielsweise erinnern wir uns an eine Kurzgeschichte von Daniel Kehlmann. Das alles ist schwer, todtraurig und man vergißt es besser gleich, wenn man dem eiligen Leben da draußen gewappnet sein will.
Und dann kommt so ein Film daher wie HIN UND WEG und alles ist ganz leicht. Nein, ganz leicht dann doch nicht, denn natürlich fließen Tränen und die Gefühle fahren Achterbahn. Daß es so ist und beim Traurigen nicht bleibt, verdanken alle Hannes, den Florian David Fitz sehr überzeugend gibt. Er, der 36Jährige, hat ASL diagnostiziert bekommen, diese schnell tödlich verlaufende Krankheit des zentralen Nervensystems, die damit beginnt, daß die Muskulatur schwindet. Daß Hannes genau weiß, was bei der Lebenserwartung von sechs Monaten auf ihn zukommt, hat damit zu tun, daß an nämlicher ASL – genetisch vererbbar – sein Vater verstorben war. Was dieser durchmachte, will er nicht erleiden, will es auch seiner Mutter – von Hannelore Elsner sehr zurückgenommen gespielt – nicht zumuten. Er beschließt, noch mitten im Leben, wo er erst die ersten Anzeichen, die aber schon sehr schmerzhaft, verspürt, sterben zu wollen.
Das will er in Belgien tun. Und diesem Kollegen, der hämisch besserwisserisch bemerkte, das sei in Belgien für Ausländer überhaupt nicht möglich, Sterbehilfe gebe es nur für Belgier, ins Stammbuch: das ist hier so was von egal. Belgien ist im Film gewählt, weil der Kranke für die jährliche Fahrradtour der in und um Frankfurt beheimateten Freundesgruppe Belgien bestimmt, da die Fahrstrecke eben eine für eine Gruppe von gut Dreißigern von der Länge und Schwere der Strecke her passende ist.
Doch schon beim ersten Halt im Hause von Hannes Mutter platzt die Bombe von seiner Erkrankung und dem Vorhaben in Belgien. Doch, das ist alles hochdramatisch und menschlich alles gut nachvollziehbar. Die weiteren Mitspieler: Julia Koschitz, Jürgen Vogel – mal wieder ganz anders, echt gut! - Miriam Stein, Volker Bruch, Victoria Mayer und Johannes Allmayer machen ihre Sache glaubwürdig in dieser Melange aus Liebe zum Freund, Angst vor dem Sterben und davor, da mit hineingezogen zu werden, mitten im Leben vom Tod umfangen undsoweiterundsofort. Nachdem die Freunde erst entschieden, schon am ersten Abend die Fahrradtour abzusagen, der sich Hannes auch kaum körperlich gewachsen sieht, die er aber durchstehen will, finden sie sich am nächsten Morgen bei Hannes Abfahrt doch ein und fahren zusammen nach Belgien.
Angenehm am Film ist, daß er immer wieder mal solche Wendungen bereithält, die man als Zuschauer nicht einkalkulierte, die aber in eine neue Richtung führen. Dies wird wohl am stärksten dramaturgisch benutzt, als der belgische Sterbehelfer, ein Arzt, – das alles ist bürokratisch abgesichert und verläuft nach gesetzlich vorgeschriebenen Beratungen – in der Nacht zuvor an einem Unfall selbst verstarb. Aufschub und erneutes Miteinanderleben am Meer. Das sind die stärksten Szenen.
Was uns mißfiel sind solche SZENEN EINER EHE, die im Film bei den Freunden dazu führen, daß unterwegs Eheprobleme auf merkwürdige Arten angesprochen und gar gelöst werden sollen, womit wir jetzt diesen Swingerclub ansprechen, den Regissuer Christian Zübert, der auch das Buch schrieb, besser hätte weglassen sollen. Dieses Füllsel ist mehr etwas, was Aufstoßen verursacht. Man versteht die Absicht, den Weg zum Tod mit viel Leben zu pflastern, aber so was verstimmt. Die Idee aber, den eigenen Tod zu einem intensiven Leben mit den Nächsten zu nutzen, das hat was.
Wahrscheinlich sind wir dem Film gegenüber so positiv gestimmt, weil am morgigen Freitag hier die Beerdigung einer sehr lebendig gelebt habenden Fünfzigjährigen stattfindet, der als ASL-Erkrankte auch dieses halbe Jahr diagnostiziert wurde, was sie durchlitt, aber dabei Abschied von der Welt und ihren Freunden auf ihre Weise nahm und auch ihre Beerdigung – ohne schwarze Garderobe! - sehr licht und heiter organisierte. Es kann nicht jeder leben, wie er will, aber es sollte weder jeder so sterben können, wie er will.
P.S.: Was wir völlig zu schreiben vergaßen, das ist, wie oft wir und alle anderen im Kino gelacht haben, denn der Film drückt nicht auf die Tränendrüse, sondern versucht, die Komik des Geschehens - einfach, weil in allem Menschlichen auch Komik steckt - auch auf die Leinwand zu bannen. Das ist ein Lachen, das einem nie peinlich wird. Mit gutem Recht nennt sich HIN UND WEG eine Tragikkomödie.