Eine aufschlußreiche, auch peinliche Dokumentation über das Haus Hannover in der ARD, Teil 2: Die Zwangsarisierung
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die erste Geschichte im Film 'Adel ohne Skrupel' über die Welfen, vom NDR , in der ARD ausgestrahlt am 18. August, in t24 am 21.September 2014 wiederholt, handelt von der Zwangsarisierung der Firma des jüdischen Unternehmers Lothar Ellbogen im damaligen Österreich des Jahres 1938.
Adel verpflichtet - aber nur zu einem betont gruppenbezogenen Regelverhalten, nicht zu einer gemeinsamen Ethik des vereinten Menschengeschlechts oder gar zum Adel der Seele, falls es so etwas gibt.
Wie unterschiedlich Adel ausfallen kann, zeigt sich an der Person von Ernst August, dem Heutigen (und Chef der Welfen), dem Enkel des dokumentierten – Großvaters – Ernst August, 'Herzog'.- Der Heutige ist ein regelrechter Kotzbrocken, allerdings auch ein Ausreißer im Adel.
Der zunächst gezeigte Fall des Welfenherzogs Ernst August (bezeichnet als: E.A.) ist ein Beispiel menschlichen Abgrunds, möglich gemacht durch Gelegenheit. Er handelt von der Ausnutzung der Zwangslage des Opfers Lothar Ellbogen durch den Welfenchef Ernst August, die in dieser Extremform nur durch die Naziherrschaft möglich wurde. Der Film stellt auf die 'dunkle Seite' der Adelsfamilie ab. Er handelt im ersten Teil von einer mit Tücke und Gewalt eingefädelten 'Arisierung' und von der Zwangsarbeit (Vernichtung durch Arbeit) 'in einer Rüstungsfirma der Welfen, die für Nazideutschland produziert' im zweiten Teil.
Ein Arbeiter (Dusan Stefancic) spricht in der Einleitung des Films die Worte: 'Da war kein Mitleid, keine Barmherzigkeit, kein garnix'. (bezogen auf die Zwangsarbeit)
Alle folgenden Zitate entsprechen dem im Film Gesprochenen.
'Im Mittelpunkt immer wieder: Ernst August, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg'.
Fotos zeigen: 'Ernst August und seine unheilvolle Nähe zu den Nazis', die früh einsetzte. Der heutige Ernst August, Neffe des historischen E.A., 'steht für ein Interview nicht zur Verfügung'. Dessen Bruder, Heinrich, Prinz von Hannover, steht in spontaner Aussage und Rede vor der Kamera für Aussagen bereit, was ihm anzurechnen ist, obwohl er nicht der offizielle Sprecher der Familie ist.
Sowohl Großvater als auch Vater des heutigen Welfenchefs stehen der Naziherrschaft wohlwollend oder zumindest sich arrangierend gegenüber.
Der Vater ist in Uniform mit Hakenkreuz zu sehen. Er war Offizier an der Ostfront.
Ein Bekenntnis des E.A. zum Führer, Kanzler Adolf Hitler, liegt aus jener Zeit als Dokument vor. Heinrich Hannover bestreitet aber in Stellvertretung seines Großvaters, dass man 'irgendwo bewusst oder gewollt nationalsozialistisch war'.
Schon vor Beginn der eigentlichen Naziherrschaft entwickelte sich das Adelshaus zu einem Wirtschaftsunternehmen der zu jener Zeit angesagten Art. Unterhalt für die Schlösser war zu finanzieren. Auch Grundbesitz wurde an das Land Braunschweig veräußert als die Nazis schon mit in der Regierung saßen.
Mit dem Jahr 1938 werden diese Art Geschäfte 'skrupellos'. Hintergrund: erpresserischer Druck zwingt deutsche Juden ihre Firmen weit unter deren realem Wert zu verkaufen. 'Auch die Welfen greifen zu und wollen profitieren'. Der Großvater benutzt die sogenannten Judengesetze, um jüdische Unternehmen zu arisieren. Zunächst kommt es zur Arisierung des Bankhauses Auffhäuser. Man redet sich bis dato damit heraus, dass der Vorschlag von Auffhäuser selbst an den Großvater herangetragen worden war.
Der geschichtliche Blick muss von nun an sich ganz nach Österreich richten. Recherchen im österreichischen Staatsarchiv ergaben den bislang weitgehend unbekannten Beleg: E.A. 'hat sich 1938 an der Enteignung eines jüdischen Unternehmers – [Lothar Ellbogen] – beteiligt'.
Ein 'Generalbevollmächtigter' wird für E.A. zum Werkzeug aus dem Apparat des nationalsozialistischen Unrechts- und Terrorstaats: Herbert Uebersberger (Ingenieur), ab 1939 Sturmbannführer, einer, der in der NSDAP für illegale Aktionen zuständig war. 'Kurz nach dem Einmarsch der Nazis in Wien 1938 füllen sich die Gefängnisse mit Juden, die um Geld und Gut gebracht werden'.- 'Auch Lothar Ellbogen wird verhaftet und ins Untersuchungsgefängnis gebracht'. Die Historikerin Ulrike Felber 'hat seinen
Leidensweg recherchiert'.
Lothar Ellbogens Firma 'genießt hohes Ansehen', er ist 'sehr freundlich und humorvoll', 'er besitzt mehrere Bergwerke und handelt weltweit mit Talkum'. Die hochbetagte Zeitzeugin Annie Parolini ('Es war ein wirkliches Vergnügen in seiner Gesellschaft zu sein'), heute in den USA lebend, kann noch aus den Zeiten berichten. Ihre Schwester Grete war mit L.E. befreundet und die beiden wollten heiraten. Diese Hochzeit aber sollte es nie geben.
Sofort nach dem Anschluss Österreichs 1938 'beginnt die Jagd auf Juden'. Lothar Ellbogen ist gezwungen, sein Unternehmen zu verkaufen, will aber einen fairen Preis, den er auch aufgrund eines Interessenten hätte realisieren können, aber die NS-Führung schaltete sich ein. E.A. wurde derjenige, der den Zuschlag bekam. Wie kam es dazu? Die Recherchen finden heraus: 'es gab ein braunes Netzwerk von Ernst August, das 'bei der Arisierung geholfen' hat. Einer der Beteiligten war Herbert Uebersberger, der im Dienst des Herzogs aktiv wurde.
Was Lothar Ellbogens Haftzeit angeht, so sprach er 'von der dunkelsten Zeit seines Lebens', von 'wüstem Zwang...Sadismus und Willkür, die Triumphe feierten'; er wurde 'erpresst, um Informationen freizugeben...er wurde bewusstlos geschlagen...'. - 'Ernst August macht dem jüdischen Unternehmer ein Angebot. Es liegt weit unter dem, was das Unternehmen tatsächlich wert ist'.
'Ellbogen ist verzweifelt und empört über das Verhalten des Welfenchefs'.
Er schreibt an seinen Anwalt: 'Ich kann nicht glauben, dass seine Durchlaucht die Intention hat, so einen Vertrag mit einem Industriellen abzuschließen'. Er schreibt auch, wenn er mit dem Vertrag gehe, wäre er 'buchstäblich ein Bettler', sobald er 'das Land verlassen habe'. Auf die Frage des Interviewers, ob Mittelsmänner dafür gesorgt hätten, dass der Eigentümer unter Druck gesetzt wurde, äußert sich Heinrich Hannover: 'Nein'. - 'Grundsätzlich war die Marktwirtschaft schon auch da'. - So bezahlt E.A. 'nur die Hälfte des Unternehmenswertes'. 'Er profitiert von der Zwangslage des verzweifelten Lothar Ellbogen'.
'Nach über einem Jahr in Haft ist Ellbogen zermürbt. Er kann sich nicht mehr wehren. Unterschreibt den Arisierungskaufvertrag'. Es gab also 'kein freiwilliges Einverständnis'. Er hofft jetzt, 'endlich freigelassen zu werden', 'aber ein brauner Helfer des Herzogs verhindert dies'. 'E.A. lässt seinem Bevollmächtigten Uebersberger freien Lauf'. 'Die Österreichische Kontrollbank war...der Meinung, man könne Ellbogen nicht freilassen' (Historikerin Ulrike Felber). Ganz offenbar bestanden Befürchtungen vor einer juristischen Gegenwehr Ellbogens. Es kommt aber noch härter: 'Ellbogen soll auch ausländische Guthaben an die Welfen übertragen'.
'Als Ellbogen völlig mittellos ist und seine Firma dem Herzog gehört, wird er aus der Haft entlassen'. 'Er hat sich dann sofort entschlossen, zu fliehen, weil: er hatte immer noch keine Reisedokumente und er fühlte sich noch immer massiv bedroht'. (U.Felber) Er flieht nach Jugoslawien, das zu dieser Zeit noch nicht besetzt war. Von dort schreibt er nochmal an seinen Anwalt und beklagt, 'dass er nur unter Zwang an die Welfen verkauft habe'. Weitere Worte sind: 'zermürbt'; 'Hunger und Durst und Kerker'; 'des freien Willens beraubt...'. 'Unter Todesdrohungen zwang man mich, zu unterschreiben'.
'Als Alleineigentümer hat sich E.A., Herzog zu Braunschweig-Lüneburg ins Handelsregister eintragen lassen'. Die Historikerin Ulrike Felber schließt mit den Worten: 'Man kann sagen, dass der Herzog unter Ausnutzung der diskriminierenden Bedingungen zum damaligen Zeitpunkt das Unternehmen erworben hat'. - 'Und die Welfen heute?'
Sprecher im Film über die Person Ernst August, Prinz: 'E.A. [der Gegenwärtige] hat die Arisierung seines Großvaters einmal als einvernehmlich mit dem jüdischen Eigentümer bezeichnet'. Und sein Bruder Heinrich Hannover 'erkennt auch kein Problem'. Dieser sagt (Satzbau bleibt brüchig): 'Diese Übernahmen sind ohne Hass, ohne rassistische Grundgedanken vorgenommen worden, einfach der Zeitgeist und diese Problematik; es war einfach die Zeit, ungeheuerliche Zeit, meine Familie, mein Gott, man kann es immer kritisch sehen, jeder von uns, aber ich glaube, sie haben niemanden geschädigt'.
Ellbogen versucht sich in Jugoslawien ohne Pass und Geld durchzuschlagen. 'Schließlich gerät er in die Fänge der Wehrmacht. Lothar Ellbogen, der seine Firma weit unter Wert verkaufen musste, wird bei einer Vergeltungsaktion von Deutschen ermordet, am 12. Oktober 1941'.
Nach dem Ende der Naziherrschaft finden in Wien Gerichtsprozesse statt, die die erzwungene Arisierung 'aufklären sollen'. Auch die Rolle des Herzogs soll beleuchtet werden. 'Was genau wusste er?' - Zahlreiche Zeugen werden vernommen. 'Sie zeichnen ein klares Bild'. Es kommt heraus: 'Das Ganze war ein Komplott'. - 'Uebersberger war immer in Rücksprache mit dem Herzog'. (Ulrike Felber)
Herzog E.A. war 'ein Profiteur der Arisierung'. Auch Heinrich Hannover gibt zu, pflichtet dem Interviewer bei, dass sein Großvater über alle Schritte informiert war. 'Ja, auf jeden Fall'. Die Entscheidung 1950 ergab, dass L.E. damals sein Unternehmen unter Zwang an den Herzog verkaufen habe müssen, für weniger als die Hälfte des eigentlichen Wertes. 'E.A. wird verpflichtet, den Erben die Mehrheit des Unternehmens zu überlassen und sie rückwirkend am Unternehmensgewinn zu beteiligen'.
Hat sich der Herzog bei Lothar Ellbogens damaliger Verlobter, Grete Klug, die von ihm als Erbin eingesetzt war, entschuldigt? Die Inhaber seien zu Besuch gekommen. Der Vater von Heinrich Hannover habe sie getroffen. Heinrich selbst: Mehr könne er nicht sagen. 'Keine Dokumente'.
Foto: Das Welfenopfer Lothar Ellbogen
INFO:
Film: 'Adel ohne Skrupel', Die dunklen Geschäfte der Welfen, NDR 2014
Ein Film von Michael Wech und Thomas Schuhbauer
Weltexpresso hatte direkt zur Ausstrahlung des ersten Teils einen Artikel veröffentlicht:
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/3372-adel-ohne-skrupel-die-dunklen-geschaefte-der-welfen
Der heutige Artikel, Teil 2, beschäftigt sich noch einmal, aber viel ausführlicher mit dem ersten Beitrag. In einem weiteren Artikel, Teil 3 wird dann der zweite Teil des Fernsehbeitrags über das Haus Hannover der Welfen rezensiert.