Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. November 2014, Teil 2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Vorab: Wir sind sehr froh, daß es diesen Film gibt, in dem deutlich ausgesprochen wird, wie naziverseucht die Bundesrepublik bis in die 60er Jahre war – und zwar nicht nur auf Seiten der Bevölkerung, von denen manche unverhohlen sagten, sie wollten ihren Adolf wiederhaben, sondern – und jetzt kommen wir zum Film – weil in deutschen Amtsstuben, ob Rentenbehörden, Gerichte, Polizei oder Verfassungsschutz und Ministerien die Nazis protegiert und deren Opfer erneut verhöhnt wurden.



Nicht überall, aber doch so erschreckend flächendeckend, daß diejenigen, die sich dieser Zeit erinnern, froh sind, daß diese Seite des Wirtschaftswunderlandes auch heute für die Nachwelt angesprochen wird, obwohl es ja damals auch zeitgenössische Filme gab, wie ROSEN FÜR DEN STAATSANWALT von Wolfgang Staudte aus dem Jahr 1959, die eine deutliche Sprache sprechen, was mit denen passierte, die statt „Weitermachen“ von „Aufarbeiten“ sprachen. Vor allem die westdeutsche Justiz war in dem Vertuschen der Nazivergangenheit und Naziverbrechen ihrer eigenen Leute führend.



Die eigentliche Hauptperson, auch die im Film IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS, ist Fritz Bauer, physiognomisch völlig bauerfremd, aber mit beeindruckender auratischer Würde von Gert Voss in seiner letzten Kinorolle – er starb im Juli 2013 – gespielt, hat diese Situation gegenüber der ihm befreundeten Strafrechtsreformerin Helga Einsele mit dem berühmten Zitat deutlich genug ausgedrückt: „Wenn ich mein (Dienst)zimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland.“ Der Film zeigt diese Situation, wenn Fritz Bauer aus seinem Schreibtisch die ständigen schriftlichen Drohungen dem jungen Staatsanwalt Johann Radmann (Alexander Fehling) zeigt, die er aufgrund seiner Tätigkeit als Generalstaatsanwalt von Hessen, kontinuierlich erhielt und die dieselbe Sprache sprechen: man habe vergessen, ihn, den Verräter, zu vergasen...



Allein dies und die im Film ebenfalls gezeigten bundesdeutschen Lebenswirklichkeiten ab 1958 zwischen Vespa, Vico Torriani, Wienerwaldhähnchen, VW, Petticoat und der Tatsache, daß das Wort Auschwitz den allermeisten Deutschen noch Ende der Fünfziger Jahre kein Begriff war, rechtfertigen einen Film, der die gesellschaftlichen Umstände von Verdrängung der Nazigreul, von Leugnung von Schuld und der Beteiligung, zumindest dem Wegsehen der Nation an den nationalsozialistischen Verbrechen deutlich aufzeigt. Auch den Hintergrund, warum die Amerikaner mit der Entnazifizierung angesichts des neuen Feindes: Kommunismus aufgehört hatten und dem Verdrängen und damit dem normalen Weiterleben von Verbrechern zusahen. Eigentlich wünschten wir uns bei den Passagen, wie der junge Staatsanwalt bei den Amis im IG-Farbengebäude nach dort gehorteten Nazi-Unterlagen sucht, schließlich hatten die Verbrecher, gut deutsch, auch ihre Verbrechen säuberlich dokumentiert, daß sich auch die amerikanische Filmindustrie dieses Themas des Wechsels des Feindbildes mit den negativen Auswirkungen auf das Verbleiben der Nazis einmal annähme.



Das 1928 in der Hochphase der Chemischen Industrie und ihres Zusammenschlusses als IG Farben gebaute Haus hatten sich die USA schon vor ihrem Kriegseintritt als künftiges Headquarter über Europa aus den selben Gründen ausgesucht, aus denen es die IG-Farben damals bauen ließen: Schönheit und Repräsentanz. (Heute Standort der Goethe Universität.) Die benachbarten Farbwerke Hoechst hatten das in die KZs geschickte Giftgas Zyklon B hergestellt, mit ein Grund, warum der Auschwitzprozeß in Frankfurt möglich wurde. Aber so weit sind wir noch lange nicht. Denn wir haben erst einmal aufgeführt, aus welchen Gründen, die im Film auch deutlich benannt werden, dieser Film in Deutschland eine gewissermaßen sozialpsychologische Funktion erhält.



Ansonsten kann man an dem munteren, von Geschichten nur so überladenen, sehr bunten Film mit seinem pausenlosen Geschehen und einer übertrieben genauen Ausstattung von Räumen und Menschen allerhand und auch pausenlos Kritik üben, cineastische vor allem. Grundsätzlich, das ist das Fazit, vertraut Regisseur Giulio Ricciarelli, der mit Elisabeth Bartel das Drehbuch schrieb, seiner Geschichte nicht. Denn die hätte er ruhig und ohne so viele Neben- und Seitenwege mit viel geringerem Aufwand doch ohne weiteres dichter erzählen können. Die Schauspieler dazu hatte er auf jeden Fall, die im Zusammenspiel die damalige Gesellschaft glaubwürdig wiedergaben.



Das ist vor allem André Szymanski als FR-Reporter Thomas Gnielka, der im wahren Leben derjenige war, der von einem Auschwitzüberlebenden die Papiere erhielt, auf denen die Namen derjenigen standen, die in Auschwitz Dienst taten und auch welche Arten von Dienst, nämlich Erschießungen, diese Listen zu Fritz Bauer brachte, der die juristische Brisanz erkannte und diese Papiere zur Grundlage des Auschwitzprozesses machte, den er nicht selbst führte, sondern von drei jungen Staatsanwälten führen ließ, aus denen im Film der zusammengewürfelte Staatsanwalt Radmann wird, der die Papiere zusammen mit Gnielka findet ,seinen Fund stolz zu Bauer bringt und diesen gewissermaßen erst zum Jagen tragen muß.



Nein, das geht überhaupt nicht. Man kann nicht aus dramaturgischen Gründen die Lebensleistung von Bauer einem Jungspund anvertrauen, der im Film all zu schnell von einem aufstrebenden Jüngling zu einem peniblen Verkehrsrichter, zu einem verliebten Galan, zu einem dienstlichen und privaten Naivling, dann zu einem verbissenen Ermittler wird. Endlich dann zu einem Enttäuschten, den Staatsdienst Kündigenden mutiert, der aber auf einmal seine eigentliche Aufgabe doch in der Ermittlung der Nazi-Verbrechen sieht, von Fritz Bauer wieder aufgenommen, den Auschwitzprozeß in Gang setzt. Ende des Films. Und doch erst der Beginn der eigentlichen Geschichte, von der man hört, daß sie schon in Filmproduktion ist und sogar weitere Filme über Bauer folgen sollen.



Hoffen wir, daß Lars Kraume als nächster Regisseur endlich die Wahrheit sagt und darauf verweist, was weder Christian Petzold mit der Widmung seines ergreifenden Films PHOENIX an Fritz Bauer, noch Ricciarelli mit diesem Film, noch das Fritz Bauer Institut mit seiner Ausstellung über Fritz Bauer thematisierte, noch der Justizminister Heiko Maas mit seinem neuen Fritz Bauer Preis, daß diese gewissermaßen als Bauer-Renaissance wahrzunehmende, längst überfällige, weil völlig verdiente gesellschaftliche Beschäftigung mit Fritz Bauer allein dem 2010 erstmals auf der Berlinale aufgeführten Dokumentarfilm FRITZ BAUER-TOD AUF RATEN von Ilona Ziok zu verdanken ist.



Erst seit dieser Zeit regen sich die Erinnerungen und wurde auch das Fritz Bauer Institut auf seinen Namensgeber aufmerksam. Das Institut sollte, statt FRITZ BAUER - TOD AUF RATEN zur Quantité Negligeable zu machen, was dazu führte, daß der Film selbst in der Fritz Bauer gewidmeten Ausstellung ignoriert wurde, endlich zu seiner Sache machen, ihn aufführen und zukünftige Filme und deren Begleitung durch das Institut am Wahrheitsgehalt des Zioksfilms entlang beraten. Im Ziokfilm wird auch zurecht gerückt, wer seitens der Anklage die Verantwortung trug. Ausführlich kommt der inzwischen (2012) verstorbene Joachim Kügler zu Wort, der zusammen mit dem ebenfalls schon 2007 gestorbenen Georg Friedrich Vogel die Frankfurter Ermittlungen leitete, aber auch die heute noch lebenden Richter Heinz Düx und Johannes Warlo berichten aus ihrer Arbeit, von der Zeit und über die Person des Fritz Bauer. Gerhard Wiese kommt in diesem Film nicht vor. Das sagt auch etwas aus.



FAZIT: Anschauen, im Miteinander von Jung und Alt bereden, auch streiten, sowohl wie es wirklich war, wie auch, was daraus geworden ist. Immer eingedenk des Buchtitels vom Mediävisten Johannes Fried: „Vom Schleier der Erinnerung“. Und gespannt auf die nächsten Filme warten, die nun zur eigentlichen Hauptperson, zum Wirken und der Persönlichkeit Fritz Bauers entstehen. Für Frankfurter ist der Film eh Pflicht und Kür zugleich, denn er zeigt soviel aus dieser Stadt, was Gebäude, Lebensgefühl und Bewohner angeht.



P.S. Doch, da ist noch was. Bedenkt man die viel zu vielen Geschichten im Film, die hier Hauruck erledigt werden, bedauert man, daß aus dem Stoff nicht eine mehrteilige Fernsehserie entstand, in der die vielfältigen Ansätze und menschlichen Probleme in der ihnen zustehenden Zeit hätten abgehandelt werden können. Allein, daß auf einmal jeder einen Nazivater aus dem Hut holen muß. Auch die heldenhafte Arbeit von Hermann Langbein. So bleibt vieles Stückwerk, was mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Zudem kann die heutige Generation mit nur Angedeutetem wenig anfangen, man muß es ihr sinnlich wahrnehmbar im Detail erzählen.



Literatur:

Gerade ist in der Europäischen Verlagsanstalt ein kleiner Band erschienen: Hrsg. von Kerstin Gnielka und Werner Renz, „Als Kindersoldat in Auschwitz. Die Geschichte einer Klasse“ von Thomas Gnielka, ein Romanfragment mit einer Dokumentation, die wir im Zusammenhang mit dem Film besprechen werden.

Ebenfalls dort erschienen ist von Bernd Naumann, Der Auschwitz-Prozess. Bericht über die Strafsache gegen Mulka u.a. vor dem Schwurgericht Frankfurt am Main 1963-1965, aktualisierte Neuausgabe mit einem Vorwort von Werner Renz.