Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. November 2014, Teil 3
Hanswerner Kruse
Fulda (Weltexpresso) - Eine Mischung von Polit- und Psychothriller - der Film über den Frankfurter Auschwitzprozess: Kino solle nicht langweilen, ernste Themen müssten auch unterhalten, fordert Regisseur Giulio Ricciarelli. Konsequent macht sein Film „Im Labyrinth des Schweigens“ aus der mühseligen Vorbereitung des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, Ende der 50er-Jahre, spannendes Kino.
„Ihr wart doch alle Nazis!“ Betrunken wankt Johann Radmann durch das nächtliche Frankfurt und pöbelt Bürger an. „Näh doch Hakenkreuze an Deine Kleider!“, beschimpft er seine Freundin, eine Mode-Designerin. In Alpträumen quält ihn KZ-Arzt Mengele mit Operationen ohne Betäubung. Der junge Staatsanwalt wollte ein Held werden, aber die monströsen, bis dahin verschwiegenen Nazi-Verbrechen überfordern ihn. Filmemacher Ricciarelli erzählt seine fiktive Geschichte, auf der Grundlage realer Ereignisse und Personen:
1958 beginnt der ehrgeizige Staatsanwalt Radmann (Alexander Fehling), voller Glauben an die Gerechtigkeit, seine Arbeit. Zufällig erlebt er, wie Journalist Thomas Gnielka (André Szymanski) vergeblich versucht, bei Gericht eine Anzeige gegen einen ehemaligen SS-Mann vorzubringen. Er beschäftigt sich mit dem Fall, gerät in eine Clique von Künstlern und Intellektuellen um Gnielka und verliebt sich in Marlene Wondrak (Friederike Becht). Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (Gert Voss) betraut den engagierten Radmann mit der Vorbereitung des Auschwitz-Prozesses, nachdem der ein amtliches Dokument mit Tätern aufspürte. Doch er warnt ihn: „Das ist ein Labyrinth. Verlieren Sie sich nicht!“
Gegen den Widerstand von Polizei und Bundesnachrichtendienst nehmen die Frankfurter ihre Ermittlungen auf. Selbst die Amerikaner sind erstaunt: „Der neue Feind heißt doch Russland“, meint ein US-Offizier, als Radmann um Amtshilfe bittet. Mühevoll forsten er und sein kleines Team alle deutschen Telefonbücher durch, um Adressen von Tätern zu ermitteln. Durch die Vernehmung vieler Opfer macht sich die Gruppe ein Bild von den Gräueltaten im Lager Ausschwitz. Entsetzt erkennt Radmann, „die Täter waren keine Monster, das waren ja Menschen wie wir.“ Bald verliert er sich tatsächlich im Labyrinth aus Schuld und Lügen, kündigt den Job und will juristisch für einen dubiosen Fabrikanten arbeiten…
Der Film endet mit dem Beginn des Prozesses im Frankfurter Römer. „Meine Herren, heute schreiben wir Geschichte!“, meint Bauer. Zum ersten Mal wurde in der Bundesrepublik das Schweigen über die Nazi-Verbrechen gebrochen. Das ist bekannt, jedoch durch den fiktiven Juristen Radmann bekommt der - zwischen Polit- und Psychothriller changierende - Film seine immense Spannung.
Die bestialischen Delikte der KZ-Mörder sind nur angedeutet, lediglich die Filmfiguren werden überwältigt - nicht wir Zuschauer. Durch den kleinen Kreis um Radmann wird die damalige Zeit wie durch ein Vergrößerungsglas deutlich: Die Wirtschaftswunderjahre, die Verdrängung der NS-Verbrechen, die unbehelligten Täter und die Opfer, die niemand hören will.
Der Film ist kein Gerichtsdrama, auch kein Heldenepos, er lässt die Gegner der Aufklärung zu Wort kommen, ohne sie als Neonazis abzustempeln. „Wollen Sie, dass sich jeder junge Mensch in diesem Land fragt, ob sein Vater gemordet hat?“, fragt ein älterer Staatsanwalt, der nie Parteimitglied war. „Ja!“, ruft Radmann und wenige Jahre später fragen das auch die 1968er-Rebellen.
In den Nürnberger Prozessen Ende der 1940er-Jahre richteten die Sieger über die führenden Verbrecher, im Auschwitz-Prozess wurden auch ihre Helfer belangt. Heute ist es noch genauso unfassbar wie damals, dass keiner der Mörder jemals Reue zeigte oder seine Schuld bekannte. Dabei ging es nicht um Rache, ja nicht einmal um Strafe (fast alle Täter kamen glimpflich davon), sondern dass die Überlebenden gehört wurden. Deshalb verlässt man das Kino auch im Glauben an Gerechtigkeit.
INFO I:
„Im Labyrinth des Schweigens“, D 2014, 123 Minuten ab 12 Jahren
Regie Giulio Ricciarelli mit Alexander Fehling, André Szymanski, Friederike Becht, Gert Voss und anderen, Filmstart 6. November, Verleih Universal Pictures
INFO II:
Der Jurist und Sozialdemokrat Fritz Bauer (1903 – 1968), sofort 1933 als jüngster Amtsrichter Deutschlands wegen seiner Parteizugehörigkeit, nicht als Jude entlassen und kurzfristig in ein Konzentrationslager eingesperrt, konnte in der NS-Zeit nach Dänemark, später nach Schweden flüchten. Einige Jahre nach Kriegsende kehrte er nach Deutschland zurück und arbeitete zunächst bei der Staatsanwaltschaft, dann als Generalstaatsanwalt in Braunschweig und rehabilitierte im Remer-Prozess 1953 die bis dato als Vaterlandsverräter geltenden Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 („Der NS-Staat war kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat“).
Später wurde er auf Initiative des hessischen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn Hessischer Generalstaatsanwalt. Gegen immense Widerstände aber mit Zinns politischer Rückendeckung übte er sein Amt aus und leitete Ermittlungen gegen Nazi-Verbrecher ein. Er war der Initiator des Frankfurter Auschwitz-Prozesses und gab Adolf Eichmanns Aufenthaltsort in Südamerika an den israelischen Geheimdienst weiter, weil sich deutsche Behörden geweigert hatten, Auslieferungsanträge von Naziverbrechern zu stellen und noch schlimmer: denen sofort das Untertauchen zu empfehlen. Bauer starb 1968 unter mysteriösen Umständen. Zu Lebzeiten meinte er, „wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland.“, was sich auf die mit Altnazis besetzte westdeutsche Justiz, auch in Frankfurt bezog.