Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. Januar 2015, Teil 2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das wird immer üblicher, bei Filmen den Originaltitel beizubehalten und einen deutschen hinzuzunehmen. Leider aber eben doch nicht der originale (Relatos salvajes), sondern der weltweite englische. Hier nun gefallen uns die wilden Erzählungen vom Leben besser als das Durchdrehen für jedermann, denn auch dieses will gelernt sein, wenn es so beglückend anarchisch verläuft wie in diesem Film.

 



Wild-Tales – Jeder dreht mal durch



Dieser sechsteilige Epsisodenfilm kommt aus Argentinien und gerne möchte man aus diesen Filmen auf das äußerst lebendige Miteinander in Argentinien schließen, wenn es nicht die ebenfalls höchst lebendigen Romane der Claudia Pinero gäbe, die uns die argentinische Mittelschicht dann eher als gebändigte Kraft vorstellt. Hier aber geht es absolut unbändig zu und das nun wiederum erweckt im Betrachter eine starke emotionale und mentale Kraft. Will sagen: aus diesem Film kommt man stärker heraus als man hineinging.



Im Ernst, wenn Sie derzeit an Kleinigkeiten herummosern, lassen Sie alles liegen und schauen Sie, wie die Mücke zum Elefanten wird, wie aus wenig viel wird, wie man systematisch in alles hineindappt, was als Falle herumsteht, wie die uns gezeigten Argentinier in der Tat das befolgen, was einst Paul Watzlawick in seiner ANLEITUNG ZUM UNGLÜCKLICHSEIN so bilderreich beschrieb. Denken Sie dann noch an bestimmte Filmsequenzen bei Pedro Almodóvar, die eine Wehmut über das automatische Lachen legt, dem man erst einmal folgen muß, so daß der letzte Juchzer einem tatsächlich im Hals stecken bleibt.



Und Pedro Almodóvar ist auch wirklich nicht weit, denn er hat zusammen mit seinem Bruder diesen Film produziert, dessen Regisseur Damián Szifrón auch das Drehbuch zum über zweistündigen Film schrieb. Die erste Episode ist dann zusätzlich eine Erinnerung an den letzten Almodóvarfilm mit dieser verrückt-erotischen Flugzeuggeschichte. Auch hier stellen die Passagiere fest, daß sie alle ein- und denselben Mann kennen, der – natürlich abwesend – für ihre Buchungen zuständig war. Pech halt, daß sie diesem Kerl alle mehr als übel mitgespielt, ihn übervorteilt oder betrogen haben.



Das ist allerdings noch ein gesitteter, weil technisch gelöster Fall. Sehr viel tiefer in die menschlichen Eingeweide führt uns dann der Fall des Sprengmeisters Simon Fischer, der uns vormacht, wie man nicht implodiert, sondern explodiert. Das Irre an dieser eben nicht irren, sondern aus dem normalen Leben genommenen Geschichte, die einst auch einem gewissen Kohlhaas passiert, nur halt anders, das Irre also ist die Normalität des Vorgangs, denn es handelt sich jeweils um Vorgänge, die gesetzlich und behördlich geregelt sind und ein bestimmtes Prozedere voraussetzen, an das sich Menschen halten sollten, so unsinnig es auch ist, denn tun sie es nicht, kommen sie in den Reißwolf.

Dieser Simon Fischer (Ricadrdo Darín) ist beim Sprengen seiner Gebäude von großer Ruhe und äußerster Präzision. Das verfolgen wir, genauso wie seinen Gang zu seinem Auto, weil er rasch nach Hause möchte zum Geburtstag seiner Tochter und unterwegs noch die Torte für die Kindergesellschaft mitnehmen soll. Doch, sein ordentlich geparktes Auto ist abgeschleppt. Und dann nimmt alles seinen Lauf und wir erleben hautnah, wie einer nach und nach aus der Haut fährt. Mit gewaltigem Resultat.



Nein, wir können nicht alle Geschichten erzählen, aber die Erzählfäden schon, wenn in einem Schnellrestaurant die Bedienung (Julieta Zylberberg) in dem einzigen und späten Gast den Kredithai erkennt, der ihren Vater in den Tod trieb. Wie gut, daß im Nebenraum noch das Rattengift steht, das man brauchte...



Sicher nie vergessen wird man auch die STRASSE ZUR HÖLLE, die dritte Episode, wo zwei Autofahrer – schmuck der eine Junge in seinem neuen Audi, derb der andere Ältere in seinem ollen Landvehikel – aus einer Bagatelle einen Kampf auf Leben und Tod bestreiten. Man selber denkt dabei auch: Männer, Männer, Männer, Gewalt, Gewalt,Gewalt.....Auch DIE RECHNUNG ist nicht ohne, in der wieder einmal der Gärtner zwar nicht der Mörder ist, aber die Schuld dafür übernehmen soll, daß der junge Schnösel der reichen Leute eine schwangere Frau überfahren hat und liegenließ...



Noch doller wird es dann in BIS DASS DER TOD EUCH SCHEIDET. Hier kann man gut reflektieren, daß bei Frauen die Wut, die hervorbricht, bis alle Dämme vor ihr brechen, grundsätzlich eine andere ist als bei Männern. Sicher gibt es Schnittmengen, aber auf den ersten Blick wird doch klar, Frauen geraten aus Verletzungen, aus Liebesverlust, aus schlimmen Gefühlen heraus in solche Extremsituationen der Wutentäußerung durch die Tat. Bei Männern hingegen schaukelt sich das Gefühl von Konkurrenz, von Demütigung, von fehlender Kommunikation systematisch hoch, bis es zur Entladung kommt.



Daß einem das HB-Männchen dabei in den Sinn kommt, ist eine mitteleuropäische Generationenfrage. Auch dabei hat man früher deshalb so darüber gelacht, weil man das Gefühl vom In die Luft gehen teilen konnte. Uns ging es hier in jeder der Geschichten genauso. Nur trauen wir uns nicht, genauso zu reagieren oder sind vernünftiger geworden, weil wir wissen, wie hart der kleine Moment des Triumphs erkauft wird durch die Folgen der Tat, die den eigenen Tod einschließt. Das klingt aber jetzt zu dramatisch, auch zu eindimensional. Denn manchmal führt das Luftherauslassen auch zu neuer Einigkeit. Die Geschichten bleiben deshalb spannend.