Wer bekommt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 62. Berlinale vom 9. bis 19. 2. 2012, 1/25

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Dieser französische Film ist der Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale. Er handelt vom Beginn der französischen Revolution am Hofe Ludwig XVI. aus der Sicht seiner Bediensteten. Warum er zur Eröffnung ausgewählt wurde, bleibt ein Rätsel. Eröffnungsfilme unterliegen noch stärker als andere Wettbewerbsfilme außerfilmischen Kriterien wie: das Land war mal wieder dran – Frankreich - oder bestimmte Schauspieler und Regisseure – wie Diane Kruger und Benoit Jacquot - oder die Thematik ist die des Tages, Revolution nämlich.

 

An der Thematik kann es nicht gelegen haben, denn da findet man es einigermaßen merkwürdig, wenn angesichts von Volkskämpfen wie in Ägypten oder Syrien ausgerechnet Fragen des Ancien Regimes in herrlicher Optik und wunderbaren Kostümen und perfekten Perücken die Leinwand bevölkern und nicht das Volk eben. Jacquot begründet, er habe einen neuen Blick auf die politischen und menschlichen Ereignisse geworfen, indem er die Vorleserin der Königin – Sidonie Laborde in Person der glaubwürdigen Léa Seydoux – zur Hauptperson machte und alles aus deren Perspektive die Zuschauer erleben läßt, sie sich also mit ihr identifizieren sollen.

 

Das aber ist ein Trick. Ja, man identifiziert sich mit der neugierigen und ihrer Königin tief ergebenen jungen Frau, aber da diese sich mit der durch die Revolutionsunruhen gefährdeten Königin identifiziert, kommt doch wieder die alte Optik heraus: die junge schöne Habsburgerin, Marie Antoinette – jung und schön ist auch Diane Kruger – spielt die Hauptrolle und ihre jeweiligen Launen bestimmen das Geschehen. Das ist wenig Handlung, denn deren hier mehr als angedeuteten lesbischen Neigungen (?) sind auch keine Provokationen und wirken eher verspielt. Insgesamt also mehr soziologische, höchst bunte und perfekt gestaltete Anschauungslehre angewandter Kunst der Vergangenheit, eine Ausstattungsorgie.

 

Vor allem die Brüstlein der vielen Damen, der Hochgeborenen wie des niederen Standes, haben es der Kamera angetan, wenn sie hin und her wogen, allein durch den Atem bestimmt, so eng sind die Korsette geschnürt und die Brüste gehoben. Muß man dann noch durch Gänge laufen, oder sich sonst wie beeilen- ständig ist jemand unterwegs –, dann gibt es für die Kamera noch mehr zu sehen. Die Kamera folgt der Vorleserin. Deren Aufgabe ist nicht nur das Vorlesen, sondern erst einmal überhaupt die Lektüre zu finden, die zur jeweiligen Stimmung der Monarchin paßt. Das alles sind höchst vergnügliche Momente im Film, der insgesamt von einem hervorragenden Ensemble getragen auch viel Komik besitzt.

 

Innere Bewegung entsteht im Film erst im letzten Teil, als die Bastille schon gestürmt ist und es um die Flucht der Könige geht. Insbesondere die Favoritin der Königin – apart Virginie Ledoyen – soll gerettet werden und verdankt dies ausgerechnet der Vorleserin, von der Marie Antoinette dies verlangt und die trotz ihrer Eifersucht in den Rollentausch einwilligt: in der Kutsche sitzt sie als die Adlige und diese als ihre Bedienerin. Diesmal geht es gut aus, aber daß sie eine Schachbrettfigur für ihre geliebte Königin war, versteht nun auch die Vorleserin. Aber dafür 100 Minuten brauchen?