Die Wettbewerbsfilme der 65. Berlinale vom 5. bis 15. Februar 2014, Film 1

 

Kirsten Liese

 

Berlin (Weltexpresso) – Grönland 1908. Ein Eisbär und eine Frau mit einem Gewehr. Sie wird es doch nicht tatsächlich fertig bringen? Doch, die Frau legt an, drückt ab, trifft dem prächtigen Tier mitten ins Herz und ist noch mächtig stolz darauf. Die mitleidlose Jägerin (Juliette Binoche) hat eine weite Reise aus New York in die Arktis unternommen, um ihren Mann, einen ehrgeizigen Forscher, zu treffen, der unbedingt als erster den Nordpol entdecken will.

 

 

In ihrer Naivität ignoriert die Egomanin auch die Warnungen erfahrener Polarreisender, die sie vor dem einbrechenden Winter und einer Fortsetzung der Expedition warnen. Im Vertrauen auf Gottes Beistand verlangt sie von ihren Begleitern große Opfer, um bis zu dem Basislager ihres Mannes vorzudringen.

 

Die katalanische Regisseurin Isabelle Coixet porträtiert eine Pionierin, die es tatsächlich gegeben hat: Josephine Peary (1863-1955), eine USA-Amerikanerin mit deutschen Wurzeln, bereiste tatsächlich als eine der ersten Frauen die Arktis und schrieb in ihren Büchern über die Kultur der Inuit. Allerdings trug sich vieles anders zu als in dem unnötig melodramatisch endenden Drehbuch von Miguel Barros. Und es ist mehr als schade, dass Coixet die Heldin zu einer streckenweise unsympathischen Größenwahnsinnigen stilisiert, die sie gar nicht war.

 

Die echte Josephine reiste 1891 gemeinsam mit ihrem Mann Robert in die Arktis und maßte sich keineswegs an, in ihrer Unerfahrenheit riskante Entscheidungen zu treffen.

Sie kümmerte sich um das Essen für die Forschertruppe, half ihrem Mann bei seinen Forschungen und brachte 1893 auf ihrer zweiten Expedition das erste weiße Kind in der Arktis zur Welt.

 

Auf der Leinwand fantasiert sich die Katalanin eine sehr dramatische, unglaubwürdige Geschichte zusammen. Die willensstarke Josephine findet hier das Basislager verlassen vor, von ihrem Mann ist weit und breit keine Spur. Angesichts der gefährlichen Witterungsverhältnisse reisen auch die Männer bald wieder ab, die sie bis dahin mit ihren Schlitten gebracht haben, nur Josephine weigert sich in ihrer Sturköpfigkeit umzukehren.

 

Es kommt, wie es kommen muss, bald bahnt sich in der Eiswüste ein unerbittlich harter Überlebenskampf zwischen starken Wirbelstürmen und Hunger an, den nur eine Person mit der Heldin teilt: die Eskimofrau Allaka (Rinko Kikuchi), von der sich herausstellt, dass sie die Geliebte von Josephines Ehemann ist und ein Kind von ihm erwartet. Ihre anfängliche Eifersucht aber überwindet Josephine, das Schicksal schweißt die ungleichen Frauen zusammen, die in der Not sogar ihren letzten treuen Schlittenhund töten und dessen rohes Fleisch essen.

 

Nobody Wants The Night“ ist nicht Coixets erster Film, der auf einer Berlinale seine Weltpremiere erlebt, aber er ist nach den früheren Wettbewerbsbeiträgen „Mein Leben ohne mich“ (2003) um eine krebskranke Frau und „Elegy“ (2008), einem Drama um eine große Leidenschaft, auch in künstlerischer Hinsicht der schlechteste. Immerfort übertüncht von einem dicken sinfonischen Soundtrack, verlieren selbst die an und für sich eindrucksvollen Cinemascope-Bilder schneeweißer Landschaften ihren Reiz.

 

Schade, dass eine interessante Biografie so verschenkt wurde, noch dazu, wo sich eine Frau des Stoffes angenommen hat. Nachdem es bei den Filmfestspielen in Cannes schon Jahrgänge gab, in denen sich ausschließlich männliche Regisseure präsentierten, hat es sich die 65. Berlinale ausdrücklich auf die Fahnen geschrieben, die weiblichen Kreativen zu unterstützen. Das ist ausdrücklich zu begrüßen, allerdings wäre es noch besser, wenn die ausgewählten Produktionen die Filmemacherinnen von ihrer starken Seite zeigen würden.

Leider lässt sich das – soviel sei schon verraten- auch über das jüngste, in der Reihe Berlinale Special gezeigte Werk von Margarethe von Trotta, „Die abhandene Welt“, nicht sagen.

 

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