Die Wettbewerbsfilme der 65. Berlinale vom 5. bis 15. Februar 2014, Film 16

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Der rumänische Regisseur Rade Jude führt uns in die Walachei 1835, als es noch keine Nationalstaaten gab, und dieses Gebiet Teil des Osmanischen Reichs war.Unter Berücksichtigung historischer Fakten und der Wiedergabe von Volksbräuchen und ihrer rhythmischen Musik ist daraus ein lebendiger, sinnlicher, tief menschlicher Film geworden.

 

Es gibt eine Grundkonstellation, die die den Filmablauf bestimmt. Der Gendarm Constandin und sein Sohn sollen einen, seinem Bojaren – das sind Adlige und Großgrundbsitzer unterhalb des Fürstenranges - entlaufenen „Zigeunersklaven“ wieder einfangen. Der hat nicht nur mit der Frau des Bojaren geschlafen, sondern vor seiner Flucht noch Geld gestohlen. Die Suche nach, das Auffinden von und das Ausliefern dieses als Sklaven gehaltenen Zigeuners nimmt uns mit auf die Reise durch die Walachei, die die beiden, die die Ordnung der Herrengesellschaft bewahren und wiederherstellen sollen, auf ihren Pferden durchreiten. Was mit Dolmen und einer hügeligen, steinernen Landschaft beginnt, ändert sich dann zu bewaldeten Hügeln, Wasserläufen, fruchtbarem Land, es ist ein Ritt durch eine karge, aber schöne Gegend, die der Film in Schwarzweiß abbildet, was dem Charakter der Landschaft entspricht.

 

Noch wichtiger als die Landschaft, werden allerdings die Menschen, die die beiden Gesetzeshüter, unterwegs treffen. Da kommt - in diesem Roadmovie würde man heute sagen - ein Völkchen zusammen, wo die verschiedenen Ethnien aufeinandertreffen, und ihre Religionen fröhlich Urständ feiern: Türken, Russen, Christen und Juden, Rumänen und Ungarn. Pralles Leben in Dörfern, Essen, Trinken, Hurerei mit dem Höhepunkt eines Jahrmarkts, einschließlich des Kasperletheaters. Besonders schlecht kommt die Kirche, die orthodoxen Popen weg, die sich als Büttel der Obrigkeit erweisen und nichts als Sprechblasen sind. Wie klar die Urteile aufgrund von Vorurteilen gegenüber anderen Völkern sind, wird an einer Stelle zum großen Lacherfolgt, so witzig ist der Text. Lachen kann man immer wieder, auch wenn es um ernste Themen geht,weil die Dialoge ausgefeilt sind.

 

Während der leicht hinkende Constandin für jede Situation den passenden Spruch auf den Lippen hat und sich so durchs Leben schlägt, sich als Gesetzeshüter auf der einen Seite korrekt verhält und von anderen das Einhalten von Recht und Ordnung einfordert, ist es sein Sohn, der – man möchte sagen, unsere, des Zuschauers Position einnimmt – nach dem Beweis der Unschuld des Zigeunersklaven, seinem Vater vorschlägt, diesen laufen zu lassen. Denn sie haben ihn endlich aufgefunden, den Weggelaufenen und beim Heimreiten über das Pferd gelegt und die Füße im Stock festgeschraubt.

 

Der Gendarm untersucht die Sache, die Frau des Bojaren bestätigt ihm, daß sie an dem Beischlaf nicht unschuldig war, aber dennoch bringt er den Entlaufenen zum Bojaren, der ihm flugs die Eier abschneidet, was kommentiert wird, er sei ja immerhin nicht umgebracht worden. Man sieht, rauhe Sitten, was das Bild vom lustigen Leben auf dem Lande und der Gutherzigkeit der Bevölkerung trotz der hinreißenden Volksszenen auf die Wirklichkeit reduziert. Man hat die ganze Zeit während des Films das Gefühl, dabeizusein, so sehr entwickeln sich die Handlungsstränge vor unseren Augen.

 

Wer sich Gedanken machte, weshalb ein rumänischer Film von 1835 produziert wurde, dem halfen die Worte der Macher in der Pressekonferenz, die sich klar dazu bekannten, daß die heutigen gesellschaftlichen Probleme Rumäniens seit vielen Generationen immer weitergereicht wurde, weshalb es so wichtig ist, die Vergangenheit zu bearbeiten. Auch mit den Mitteln des Films. Der Sprachwitz, den man empfindet und die vielen Zeitbezüge verdanken sich dem Material, das man aus dem 19. Jahrhundert gesammelt hat, eben auch Musikdokumente, Volksbräuche, Witze. Natürlich handele es sich um eine subjetive Rekonstruktion der Vergangenheit, eine andere ist gar nicht möglich.

 

Im Film fällt stark auf, daß der Antisemitismus so weit geht, Juden noch hinter Tieren einzugruppieren. Das verwundert uns, denn im 20. Jahrhundert bot Rumänien seinen Juden stärker Schutze als alle anderen Länder. Was die Zigeunersklaven angeht, heute als Roma bezeichnete Minderheit in Rumänien, seien diese dort immer noch ein Tabuthema. Die Roma harren der geschichtlichen Aufarbeitung, in welcher Weise sie grundsätzlich ausgegrenzt und betrogen worden sind. Aber das wäre ein anderer Film und war auch nicht für Filme, sondern für die Gesellschaft gedacht.

 

 

INFO:

 

R: Radu Jude

Rumänien, Bulgarien, Tschechische Republik 2015

Rumänisch,108'

D: Teodor Corban, Mihai Comanoiu, Cuzin Toma, Alexandru Dabija, Luminita Gheorghiu, Victor Rebengiuc, Alberto Dinache, Mihaela Sirbu, Alexandru Bindea, Adina Cristescu