"MITTENDRIN. Persönliches Tagebuch der BERLINALE 2015 vom 5. bis 15. Februar, Tag 6

 

Hanswerner Kruse

 

Berlin (Weltexpresso) - Ich staune, wie schnell die Zeit vergeht: Heute ist schon die Halbzeit des Festivals und ich schreibe etwas über Ärger und Aufregung. Eine Unsitte ist es, in Pressekonferenzen große Aufnahmegeräte in die Luft zu halten.

 

Könnt ihr die Tablets runternehmen? Das ist ja widerlich“ entfuhr es mir – das Zitat fand tags darauf Eingang in die „Berliner Zeitung“. Die Verkehrsverhältnisse und das Schlangestehen (auch der Journalisten) sind ebenfalls entsetzlich; an Schlaf ist nicht zu denken.

Trotzdem bin ich glücklich, denn ich habe schon sehr viele, sehr unterschiedliche Filme gesehen und kann die übliche Festivalkritik nicht nachvollziehen. Etwa das Gemecker über „Mainstream“: Einige Wettbewerbsfilme, die mit Juliette Binoche am Nordpol oder Nicole Kidman in der Wüste, sollte man nur im Kino mit riesigen Leinwänden sehen. Ich tauche lustvoll in die opulenten Bilder ein, aber klar, diese Filme sind nichts für Arthouse-Fans oder gar das Fernsehen. Andere Arbeiten sind zwar interessant, bedienen aber wohl mehr das TV-Format und sind von großen Leinwänden überfordert.

Sebastian Schippers „Victoria“ im Wettbewerb ist dramaturgisch und vom Gewackel her eher ein Handyfilm. Diese cineastische Zumutung bildet fast in Echtzeit den Alltag und das dröge Gelaber von Berliner Jugendlichen ab. Natürlich, „Die Freiheit des Filmemachens ist immer die Freiheit der Andersfilmenden“, verfremdet eine Zeitung das berühmte Zitat Rosa Luxemburgs. Und so soll es sein – die ganze Weite des aktuellen Kinos ist auf der Berlinale vertreten. Das Genöle einiger Kollegen, die „bleiernen“ Festspiele „bieten einen konturlosen Anblick, bräuchten den „Ausweg aus der Beliebigkeit“ und „ein klares Programm“ ist schlicht nicht nachvollziehbar. Die Berlinale, das größte Publikumsfestival der Welt, lebt gerade von diesen unglaublichen Gegensätzen.

Kleines Nachschiebsel zum neuen Film von Andreas Dresen „Als wir träumten“, nach dem gleichnamigen Roman von Clemens Meyer. Der Film hat ein ähnliches Thema, Leipziger Jugendliche machen in der Wendezeit die Straßen und Nächte unsicher. Aber Dresen versteht sein cineastisches Handwerk, auch wenn ihm eine Kollegin in der Pressekonferenz „seine Handschrift“ absprechen wollte und „verwirrt“ war. „Ich habe den Film mit sehr viel Herzblut gemacht“, meinte der Regisseur, „wenn es bei Ihnen nicht angekommen ist, tut es mir leid.“ Das sehenswerte Werk kommt schon am 19. Februar in die Kinos, ich werde es einige Tage vorher hier besprechen.