Die Wettbewerbsfilme der 65. Berlinale vom 5. bis 15. Februar 2014, Teil 27

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Da möchte ich wirklich jemanden treffen, der den Goldenen Bären für TAXI vom iranischen Regisseur Jafar Panahi nicht angemessen fände. Und zwar nicht, weil es uns allen ins Bild paßt, daß der von den Muftis und Mullahs seines Landes gerichtliche verfolgte und verurteilte Regisseur einen Preis bekäme, sondern weil er trotz Drehverbot listig und tiefschürfend einen menschlichen Film über das Leben in einer Diktatur gemacht hat, wo die Lächerlichkeit dieser aufgeblasenen Sittenwächter überall durchfunkelt.

 

Ja, das ist das Erstaunliche. In keinem Film hatte ich soviel lachen müssen wie in TAXI. Und in keinem hatte ich mich so wohl gefühlt. Das liegt daran, wie Jafar Panahi uns auf seinen Taxifahrten mitnimmt. Der Film beginnt ganz starr. Man blickt auf eine Straße, minutenlang, denkt man, vielleicht waren es nur 50 Sekunden. Man sieht Autos und Fußgänger und registriert unten im Bild: aha, wir blicken durch die Frontscheibe. Sofort überlegt man, wie macht er das, Jafar Panahi, dem ja das Drehen von Filmen verboten ist, übrigens sein Beruf, ein echtes Berufsverbot, und der zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde, die anzutreten Panahi die ganze Zeit nicht aufgefordert wurde, weil sich das Regime entweder nicht traut oder...? Auf jeden Fall würde die Inhaftierung nach diesem Preis noch mehr Spott und Hohn auf die Machthaber häufeln.

Panahi äußert sich politisch völlig klar, daß er auf jeden Fall in seiner Heimat bleiben werde. Exil ist für ihn keine Option. Wenn man diesen so persönlichen wie Teheran- wie politischen Film sieht, erkennt man warum. Panahi ist dort einfach zu Hause, Teil des Mikrokosmos' dieser Stadt.

 

Wir wollen nicht den ganzen Film, der übrigens nach der Preisvergabe, dem Galapublikum jeweils gezeigt wird, erzählen. Nur die Grundkonstellation. Es geht um ein Sammeltaxi, in dem nimmt er die Leute mit, die am Straßenrand stehen und in die selbe Richtung wollen, beispielsweise wie andere Fahrgäste im Taxi. Nachdem wir mit dem Taxi also standen und den Verkehr und die Leute beobachteten, fährt es los und hält dann wieder, um Fahrgäste einzulassen. Eine Frau sitzt hinten, ein Mann vorne neben dem Fahrer, von dem wir nur seine Hände am Steuer und seine Stimme hören. Die Unterhaltung, die jetzt losgeht, hat es in sich. Der klotzige Mann mit derben Sprüchen von Kopfab für das Gesindel, findet in der hinter ihm sitzenden Lehrerin – dachte ich's doch, sagt irgendwann der Fahrgast und wir mit ihm – eine, die die Wörter und auch die Gesetze besser beherrscht als er und ihn intellektuell auseinandernimmt, daß dem Hören und Sehen vergeht. Als er aussteigt, gibt er als Beruf: Straußenräuber an. Das ist völlig glaubhaft, denn dranglauben sollen die anderen, nie man selbst.

 

Es folgen Szenen von solch unglaublicher Komik und so zutiefst menschlichen Konflikten, daß man gar nicht aufhören kann, sich in die Fahrgäste hineinzuversetzen, wie der Mann, von dem man glaubt, gleich stirbt er, ins Handy des Chauffeurs sein Testament spricht, in dem er alles der neben ihm sitzenden Ehefrau vererbt. Doch kann der Taxifahrer, seit dem 3. Fahrgast wissen wir durch unseren Blick und durch das Erwischtwerden durch diesen Dritten, daß es Jafar Panahi selbst ist, sein Handy nicht hergeben, verspricht aber, der Frau das Video zu schicken. Der Mann überlebt, die Frau braucht jetzt das Video eigentlich nicht mehr, bittet aber den Taxifahrer dringlich, das Video nicht auf das mobile Gerät ihres Mannes, sondern ihr eigenes zu spielen, man wisse ja nie, wofür man solche Testament noch einmal brauchen könne.

Voll von solchen Szenen ist dieser Film, andere Beispiele wären viel politischer oder auch auf das Kino zugeschnittener, aber egal, welcher Fahrgast welches Problem an den Taxifahrer heranträgt, sie alle sind für die jeweiligen existentiell und manche davon, wie das Gespräch mit seiner Nichte – die für ihn in Berlin den Preis entgegennahm - zeigen die Dummheit der Machthaber in ihren Richtlinien besonders peinlich, weil derart offensichtlich auf.

 

Wie schön, daß es schon bald nach der Aufführung des Films am zweiten Berlinaletag hieß, ein deutscher Verleih werde TAXI in deutsche Kinos bringen. Das sollte von einem großen Presseecho begleitet werden, damit sich herumspricht, wie man mit den einfachsten Mitteln die hervorragendsten Filme machen kann.

 

Ansonsten: Statt 'acht' mach 'zehn', war eine Methode der Jury. dann doch noch mehr Preise vergeben zu können, als grundsätzlich ausgelobt. Dazu muß sie nur die Entscheidung ex aequo treffen, denn damit kann 'gleichermaßen' ein weiterer Kandidat den Preis gleichwertig erhalten. Dies tat die Jury sowohl beim Preis für die Beste Regie, wie auch für eine herausragende künstlerische Leistung.

 

EL CLUB, aus Chile, ja man hätte sich auch andere Filme als Preisträger vorstellen können, aber man kann gegen die Auswahl nichts einwenden. So geht es auch mit IXCANUL, der eine eigene Filmsprache spricht. Interessant ist der Preis für den Rumänen Radu Jude für seinen Film AFERIM insofern, als sehr viele Kritiker ihm genau eine miese Regie attestiert hatten. Die bestand darin, daß er die Erzählung der zwei, die durch die Pampa, hier die Walachei von 1835, reiten, zu distanziert erzählt habe, die Personen immer nur im Bild gezeigt hätte, nie in richtigen Nahaufnahmen, daß er nichts dafür getan habe, diese Personen an uns heranzuführen, damit wir Identifikation entwickeln könnten...alles filmische Methoden, mit denen Hollywood in uns Gefühle zu erzeugen gelernt hat.

 

Wir schreiben das so deutlich, weil wir gegensätzlicher Auffassung sind. Die Stärke des Films liegt gerade darin, daß er nicht so tut, als ob wir einem Melodram – denn inhaltlich ist es eins – von heute zuschauten, sondern mit dem Blick von heute in eine Vergangenheit richten, von der der Regisseur betont, daß damals als die gesellschaftlichen Fallstricke gebunden wurden, die das Miteinanderleben in Rumänien noch heute beschweren. Der Film ist eine vollendete Komposition in Schwarzweiß mit Erzähldichte und hat einen Preis verdient.

 

So geht es uns grundsätzlich. Auch für die anderen Preise gilt, daß man sie nachempfinden kann, nur für den besten Darsteller hätten wir dann doch gerne einen jungen genommen. Der tolle Christian Friedel als ELSER stand nicht zur Verfügung, weil außer Konkurrenz, aber andere wären auch in Frage gekommen. Fortsetzung folgt.