Wer bekommt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 62. Berlinale vom 9. bis 19. 2. 2012, 6/25
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) –Der neue Film von Christian Petzold in der fünften Zusammenarbeit mit Nina Hoss, die für YELLA im Jahr 2007 den Silbernen Bären als beste Schauspielerin bekam und nun Barbara, die von und in der DDR finanzierte Ärztin ist, die im Sommer 1980 einen Ausreiseantrag stellt und daraufhin in ein Provinzkrankenhaus versetzt wird.
Der Film setzt mit ihrer Ankunft ein, die eine interessenlose, die miesen Verhältnisse von Wohnung, Nachbarschaft, Zugang zum Krankenhaus gleichmütig ertragende Barbara zeigt, denn in Gedanken ist sie längst schon bei ihrem Geliebter aus dem Westen, Jörg, der sie hier herausholen wird, bald. Nina Hoss spielt diese Ärztin so spröde, daß auch wir beim Zuschauen frieren. Zudem läßt Christian Petzold die Landschaft und die Wetterlage mitspielen. Wie auch immer die DDR war, wir sehen in der Küstenlandschaft unaufhörlich wogende Bäume und Sträucher, immer ist Wind, heftig dazu, das Meer rauscht gefährlich und dunkelt dräuet es auch.
Das ist nicht aufdringlich, aber doch so auffällig, daß man sich Gedanken macht, ob der unbewegten Verhaltensweise der Protagonistin in einer äußerst bewegten äußeren Welt. Und dann entwickelt sich die Geschichte in einer inneren Logik, der die Personen nachkommen, was ihr Spiel widerspiegelt. Barbara - die übrigens Wolff heißt, für die DDR nicht irgendein Name, sondern durch Christa Wolff, Konrad Wolff und Markus Wolff schon als sowohl aufklärerisch bürgerliche wie auch staatserhaltende Elite gekennzeichnet – Barbara Wolff also arbeitet in der Kinderchirurgie unter André, ihrem Chef, obwohl das ‚unter’ nur von ihr so empfunden wird, denn sie ist an einen warmherzigen, spontanen, sehr phantasievollen, zugleich pragmatischen Menschen geraten.
An einen Mann auch. Was nämlich nun – wie gesagt – in einer inneren Logik das Leben und das Verhalten beider verändert, ist ihr Beruf. Wir sehen Barbara das erste Mal auftauen, als sie sich entschieden um Stella kümmert, eine im DDR-Jargon Asoziale, die sie medizinisch und menschlich retten will. Wie weit das geht, sehen wir am Schluß. Den wollen wir hier nicht verraten, sondern endlich von Ronald Zehrfeld berichten, der den verantwortungsvollen Arzt gibt und dies so selbstverständlich tut, daß man ahnt, daß solche Menschen das Salz in der Suppe jeder Gesellschaft sind.
Das ist so wohltuend, in einem deutschen Film einmal nicht Mittelschichtsprobleme von Beziehungen und ihre persönlichen Probleme zu erleben, sondern die Realität von Berufstätigkeit, die das Leben von Menschen bestimmt, wie hier, wozu gehört, daß man das komplexe Krankenhausgeschehen nur gemeinsam bewältigen kann, was man heute Team nennt, damals Kollektiv. Barbara ist diejenige im Film, die sich am meisten bewegen muß, innerlich. Äußerlich tut sie das auf einem Fahrrad, die durch Landschaft fahrradfahrende Nina Hoss nimmt man als Bild mit.
Wer ist dieser ihr zunehmend sympathischer werdende André, ein Spitzel, der auf sie angesetzt ist? Denn sie wird überwacht, in einer so derben Offensichtlichkeit, daß alleine diese Stasipassagen etwas Stereotypes haben, in einem Film, der sonst von richtig individuellen Menschen bevölkert ist. Das gilt auch für Jörg, den Geliebten aus dem Westen, von Mark Waschke sehr unprätentiös gespielt. Es ist wirklich Leidenschaft im Spiel und eine Liebesgeschichte, wo er zwar der Geldgeber aus dem Westen ist, aber ihretwegen sogar auch in die DDR übersiedeln täte.
Allein, eines hat er nicht begriffen, als er voller Liebe ihr erklärt, in Zukunft könne sie ausschlafen, denn er verdiene so viel Geld, daß sie nicht mehr arbeiten müsste. Wir aber erleben den ganzen Film über eine Frau, die in ihrer Arbeit die einzig sinnvolle Tat sieht. Wenn sie an anderer Stelle sagt: „In diesem Land kann man nicht glücklich sein“, so erleben wir Zuschauer die Fortsetzung des Satzes wie folgt: „Man kann aber auch woanders nicht glücklich werden, wenn man auf Kosten von anderen flüchtet.“
Petzold ist ein beeindruckender Film gelungen, in den wir immer stärker eintauchen. So wie diese Barbara auftaut und sich als lebendig im hiesigen Mikrokosmos begreift, so wurden wir Teil dieser Filmgesellschaft und hätten noch weitere Stunden im Kinosessel zugebracht, obwohl uns der Anfang so sperrig war. Im Nachhinein wissen wir: gerade deshalb.